Pakistan am Tropf
Von Eike Seidel
Der Süden Pakistans ist trocken – so trocken, dass er ganz und gar vom Wasser des großen, aus dem Norden kommenden Indus abhängt. Doch um dessen Wasser gibt es Zoff. Am Dienstag hat Indiens hindunationalistischer Ministerpräsident Narendra Modi den Indus-Wasservertrag gekündigt, der seit 1960 Pakistan das Wasser des Indus sowie der beiden großen Zuflüsse Jhelam und Chenab, Indien hingegen das Wasser der drei Zuflüsse Ravi, Beas und Satluj zuteilt. »Jetzt wird Indiens Wasser zum Nutzen Indiens fließen«, wurde Modi von der BBC zitiert.
Auch die Zuflüsse aus dem Westen, aus Afghanistan, bereiten Probleme. Afghanistan weist pro Kopf weitaus mehr fließendes Wasser auf als seine Nachbarn Iran und Pakistan. Die Flüsse Amudarja, Hilmend und Kabul lieferten vor 15 Jahren etwa 57 Milliarden Kubikmeter Wasser, von denen damals nur etwa 17 Milliarden genutzt wurden. Heute wird circa doppelt so viel entnommen. Etwa 25 Milliarden Kubikmeter fließen über die Flüsse in die Nachbarstaaten. Buchstäblich hängen weltweit »Unterlieger«, wie flussabwärts liegende Staaten genannt werden, am Tropf.
Seit 1973 regelt ein Vertrag mit dem Iran, wieviel Wasser im Hilmend über die Grenze fließen muss. Den Fluss wiederum reguliert die Kajaki-Talsperre, die der Bewässerung von 142.000 Hektar afghanischen Ackerlandes dient. 2021 wurde am Unterlauf des Hilmend kurz vor der iranischen Grenze der Kamal-Khan-Staudamm eröffnet. Dessen Abflussmenge liege unter dem vereinbarten Minimum, kritisierte und kritisiert der Iran. Die Taliban behaupten dagegen, dass die Wassermengen des Vertrags aufgrund des Klimawandels nicht länger eingehalten werden könnten. Diese Kontroverse führte 2023 zu kleineren Feuergefechten an der Grenze. Seitdem schwelt der Konflikt.

Einen vergleichbaren Vertrag zwischen Afghanistan und Pakistan gibt es bis heute trotz einiger Verhandlungen nicht. Hier sorgt vor allem der Kabul für Konflikte. Pakistan will aufgrund einiger Zuflüsse des Kabuls auf seinem Territorium Wasserrecht geltend machen. Insbesondere der Kunar, größter Zufluss des Kabuls, führt erheblich mehr Wasser als der im Sommer oft nahezu trocken fallende Kabul, in den er kurz vor der Stadt Dschalalabad mündet. Die Wasserversorgung letzterer hängt ebenso wie jene Kabuls, der gleichnamigen Hauptstadt Afghanistans, von diesem Fluss ab. Insgesamt führt der Kabul etwa ein Viertel des afghanischen Frischwassers.
Am Kunar plant Afghanistan seit Jahren, zwecks Stromerzeugung einen Staudamm zu bauen. Ehemals wollte die Weltbank das Projekt fördern. Geschehen ist bis zum neuerlichen Machtantritt der Taliban aber nichts. Inzwischen haben dank der Unterstützung durch die Volksrepublik China konkrete Planungen von oder erste Bauarbeiten an drei größeren Staudämmen am Kunar begonnen, berichtete The Diplomat im Sommer 2024. Bis zu 2.000 Megawatt Kraftwerksleistung sollen demnach entstehen. Strom- und Wasserversorgung der Städte Kabul, Dschalalabad und des Umlands wären gesichert.
Nur wird das Wasser, das im Kunar nach Afghanistan, dort in den Kabul und mit diesem zurück nach Pakistan fließt, letzterem fehlen. Pakistanische Nationalisten haben hinter diesen Staudämmen darum stets Angriffe des Erzfeinds Indien vermutet. Auf pakistanischer Seite wird der Kabul, bis er in den Indus mündet, bereits mehrfach gestaut. Er versorgt die Provinz Khyber Pakhtunkhwa mit Energie. Bei Peschawar bildet der Kabul ein großes Binnendelta, das eine Bewässerung landwirtschaftlicher Gebiete ohne aufwendige technische Einrichtungen möglich macht. Eine Verringerung der Wassermenge des Kabuls durch weitere Wasserentnahmen in Afghanistan hätte in Pakistan folglich dramatische Verluste zur Folge. Ob hier die VR China den Wasserkonflikt seiner beiden Verbündeten moderieren kann, bleibt abzuwarten.
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