Klingbeil muss hinnemachen!
Von Ralf Wurzbacher
Solchen Besuch hätte sich Lars Klingbeil (SPD) am ersten Tag seiner Amtszeit als Bundesfinanzminister gewiss gern erspart. Punkt zwölf Uhr schlugen am Mittwoch Vertreter der »Bürgerbewegung Finanzwende« vor seinem Dienstsitz in Berlin-Mitte auf, um ihn an seine Pflichten zu erinnern. Neben dem Verwalten von Geld gehört dazu das Eintreiben desselben – bei Steuerbürgern und Steuerräubern. Um mindestens 28,5 Milliarden Euro ließ sich der deutsche Staat durch Aktienschiebereien der Sorte Cum-Cum erleichtern. Aber bis dato hat er sich lediglich 200 Millionen Euro zurückgeholt, weniger als ein Prozent des Schadens. Klingbeils Vorgänger seien als Strafverfolger »zu lange untätig« gewesen, lautet der Vorwurf der Aktivisten und der Appell an den neuen Hausherrn, endlich in die Vollen zu gehen.
Allerdings ist es damit höchste Eisenbahn. Weshalb die Protestler von »Finanzwende« mit einer riesigen Sanduhr anrückten. Dazu trugen sie Schilder bei sich mit Slogans wie »Klingbeil: Cum-Cum-Milliarden retten!« oder »Die Zeit läuft ab!« Warum ist das so? Gründe sind die ablaufenden Verjährungsfristen einerseits sowie andererseits das seit Januar geltende sogenannte Bürokratieentlastungsgesetz. Mit dem Regelwerk sollen administrative Abläufe vereinfacht werden und der deutschen Wirtschaft jährlich rund 944 Millionen Euro weniger an Kosten entstehen. Ein zentraler und folgenschwerer Passus tritt 2026 in Kraft: Die handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege werden dann von zehn auf acht Jahre verkürzt. Damit ist es unter anderem auch Banken, Fonds und Versicherungen gestattet, Dokumente, die für steuerliche Prüfungen und strafrechtliche Ermittlungen unerlässlich sind, früher als bisher zu schreddern.
Passiert also nicht schnell etwas, sind die Cum-Cum-Betrüger bald fein raus, weil nicht mehr zu belangen. Was die Frage aufwirft, wer wohl an dem Gesetz mitgeschrieben hat. Und, ob ausgerechnet Klingbeil der Mann sein wird, der den Steuerdieben mit Feuereifer auf die Pelle rückt. Immerhin hatte er der besagten Regelung als SPD-Fraktionschef zu einer Mehrheit verholfen. Man denke außerdem an seine Nähe zu Exkanzler und Parteifreund Olaf Scholz, der sich bislang nur auf Erinnerungslücken berufen konnte, als es um die Cum-Ex-Gaunereien des Warburg-Bankiers Christian Olearius ging. Cum-Cum wird gemeinhin als großer Bruder der Cum-Ex-Geschäfte bezeichnet, weil die Verluste für den Fiskus noch einmal deutlich größer ausfallen. Bei beiden Maschen handelt es sich um illegale Deals, bei denen die Kapitalertragsteuer auf Dividenden unrechtmäßig zurückerstattet wird. Cum-Cum läuft allerdings grenzüberschreitend, und es mischten auch kleinere Institute wie Volksbanken oder Sparkassen mit.
»Der Finanzminister muss jetzt handeln, bevor es endgültig zu spät ist«, bekräftigte »Finanzwende«-Vorständin Anne Brorhilker bei der gestrigen Aktion. Brorhilker war bis April 2024 Deutschlands führende Cum-Ex-Jägerin, hatte als Kölner Oberstaatsanwältin eine Reihe spektakulärer Prozesse gegen Schlüsselfiguren und Profiteure der Wirtschaftsverbrechen angestoßen und fünf Schuldsprüche erwirkt. Bei ihren Vorgesetzten – allen voran Justizminister Benjamin Limbach (Bündnis 90/Die Grünen) – sammelte sie damit keine Pluspunkte. Nach einem gescheiterten Versuch, Brorhilker zu entmachten, intrigierten interessierte Kreise so lange gegen sie weiter, bis sie frustriert das Handtuch warf. Nach ihrem Abgang hat Nachfolger Tim Engel keine weitere Anklage in Sachen Cum-Ex erhoben. Aber es soll bald so weit sein …
Ob Klingbeil mehr Elan zeigt? Konkret fordert Brorhilker ihn dazu auf, die Causa Cum-Cum intern zu priorisieren und den Behörden in seinem Geschäftsbereich im Rahmen der Fachaufsicht entsprechende Anweisungen zu geben – insbesondere dem Bundeszentralamt für Steuern. Eine von »Finanzwende« initiierte Petition mit dem Titel »Zeit ist Steuergeld« zählt inzwischen mehr als 445.000 Unterstützer. Protest ist bitter nötig: Laut Brorhilker sind die krummen Machenschaften immer noch im Gange.
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