Dobrindt testet die Grenzen
Von Kristian Stemmler
Die Regierung Merz bemüht sich vom ersten Tag an, Wählerinnen und Wähler, die die Unionsparteien im Laufe der vergangenen zehn Jahre an die AfD verloren haben, wieder zurückzugewinnen. Der neue Bundesinnenminister, Alexander Dobrindt (CSU), hat am Mittwoch die Aufstockung der Zahl der an den Landesgrenzen eingesetzten Bundespolizisten und eine Verschärfung der Kontroll- und Zurückweisungspraxis veranlasst. »Nach mündlicher Weisung ist der Aufwuchs der Kräfte an den Grenzen angelaufen«, sagte der Vorsitzende der sogenannten Gewerkschaft der Polizei für den Bereich Bundespolizei und Zoll, Andreas Roßkopf, der Rheinischen Post. Laut Spiegel sind die Grenzdienststellen angewiesen worden, Dienstpläne umzustellen, »um mehr Verfügbarkeit zu erreichen«.
Details der Pläne wurden bis zum späten Nachmittag nicht offiziell verkündet. Dobrindt wollte sich noch am Mittwoch mit Bundespolizeipräsident Dieter Romann und dem Präsidenten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Hans-Eckhard Sommer, beraten, hieß es. Bild trompetete – ganz im Sinne Dobrindts – bereits am frühen Nachmittag von einem »Asyl-Stopp an allen Grenzen«, den Dobrindt per sofort angeordnet habe. Demnach habe der Minister angeordnet, »die Grenzkontrollen zu verstärken und Zurückweisungen bei illegalen Einreisen zu erhöhen«. Außerdem soll er eine »mündliche Weisung« von 2015 aufgehoben haben, wonach »Drittstaatsangehörigen ohne aufenthaltslegitimierende Dokumente und mit Vorbringen eines Asylbegehrens« die Einreise zu gestatten sei.
Die laut EU-Recht zeitlich befristeten Grenzkontrollen sind an der Grenze zu Österreich bereits 2015 eingeführt worden; die Ampel weitete sie schrittweise auf alle Grenzabschnitte aus. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist vereinbart worden, »in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen« vorzunehmen.
Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, begab sich aus Protest gegen Dobrindts Agenda am Mittwoch nach Frankfurt/Oder. Sie kritisierte, die Intensivierung der Grenzkontrollen werde »nur zu mehr brutalen Zurückweisungen führen und auch dazu, dass Menschen, die Schutz suchen, in noch gefährlichere Situationen gezwungen werden«.
Am Dienstag abend hatte sich der neue Kanzler Friedrich Merz mit den frisch vereidigten 17 Ministerinnen und Ministern im Kanzleramt getroffen. Inhaltlich verlautete aus der Sitzung nur, dass, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Zahl der Beauftragten, Bevollmächtigten und Koordinatoren der Regierung von 43 auf 18 reduziert werden soll. Damit sollte, wie es hieß, ein Zeichen gesetzt werden, dass man es mit dem »Bürokratieabbau« ernst meine.
Unter den in Wegfall kommenden Posten ist auch das Amt des »Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen«, das erst Anfang 2023 geschaffen und mit dem FDP-Politiker Joachim Stamp besetzt worden war. Er sollte andere Staaten zu mehr Engagement bei der »Rücknahme« ihrer ausreisepflichtigen Staatsbürger bewegen. Es wird künftig auch keine »Botschafterin für feministische Außenpolitik« mehr geben – ein von Exaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) kreiertes Amt.
Verschiedene Verbände kritisierten die Streichung des »Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik« im Auswärtigen Amt. So erklärte ein Sprecher von Oxfam, mit dieser Entscheidung schalte die Bundesregierung in der internationalen Klimapolitik einen Gang zurück. Der ebenfalls im Auswärtigen Amt angesiedelte »Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus«, Felix Klein, darf dagegen weitermachen. Auch das Amt des Polizeibeauftragten des Bundes beim Bundestag wird nicht abgeschafft.
Für merkliche Unruhe in der CDU sorgt unterdessen, dass der zweite Wahlgang bei der Kanzlerwahl am Dienstag nur durch Zustimmung der Linke-Fraktion zeitnah möglich wurde, weil für die Fristverkürzung eine Zweidrittelmehrheit erforderlich war. Der neue Kanzleramtsminister, Thorsten Frei (CDU), plädierte im Deutschlandfunk dafür, dass die Partei über den 2018 gefassten Unvereinbarkeitsbeschluss nachdenkt. Wenn das Land in eine krisenhafte Lage gerät, sei das Staatswohl »immer über die Interessen der Parteien zu stellen«. Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) bekräftigte dagegen gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland den Unvereinbarkeitsbeschluss. Bei der Kanzlerwahl sei es nur »um einen geschäftsmäßigen Antrag zur Tagesordnung« gegangen.
Geschäftsmäßig geht auch der alte und neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zu Werke. Einem Bericht zufolge will er den Wehretat auf mehr als 60 Milliarden Euro erhöhen. Der SPD-Politiker wolle die Erhöhung bereits für den Haushalt 2025 festzurren, ein ähnlich hoher Betrag solle in der mittelfristigen Finanzplanung festgeschrieben werden, erklärten Insider der Nachrichtenagentur Reuters. Pistorius will demnach zehn Milliarden Euro mehr ansetzen als die 53 Milliarden, die im Haushaltsentwurf der Ampelregierung für 2025 vorgesehen waren.
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