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Aus: Ausgabe vom 06.05.2025, Seite 8 / Inland
AfD zeigt Nazigegner an

»Faschistische Parteien können nicht die Opfer ehren«

Berlin: Ermittlungsverfahren gegen Antifaschisten wegen Protest bei Pogromgedenken. Ein Gespräch mit Gerhard Langguth
Interview: Carmela Negrete
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Gedenkstein am Standort der Synagoge in Berlin-Hohenschönhausen (Berlin, 20.5.2021)

Als Nachfahre von Opfern der faschistischen Diktatur sowie von Widerstandskämpfern gegen die Nazis engagieren Sie sich in Berlin für antifaschistisches Gedenken. Die AfD will Sie vor Gericht zerren. Weshalb wurden Sie von der Partei angezeigt?

Am 9. November des vergangenen Jahres fand am Gedenkstein für die Opfer des Faschismus in der Konrad-Wolf-Straße in Berlin-Lichtenberg eine Gedenkveranstaltung anlässlich der Reichspogromnacht statt. Dort waren auch zwei Vertreter der AfD anwesend, die bereits von einem Redner aufgefordert wurden, die Veranstaltung zu verlassen. Am Ende der Gedenkveranstaltung legen die Teilnehmenden traditionell Blumen und Kränze nieder. Auch die AfD-Vertreter hatten einen Kranz dabei und wollten ihn niederlegen. Wir haben gesagt: Das geht nicht.

Warum wollten Sie das nicht zulassen?

Die AfD ist eine faschistische Partei – und faschistische Parteien können nicht die Opfer des Faschismus ehren. Das wäre eine Verhöhnung und Diskreditierung der Opfer. Deshalb haben Antifaschisten den Gedenkstein umstellt, so dass die AfD nicht herankam. Deren Vertreter riefen die Polizei. Durch die Entscheidung eines Beamten wurde der Zugang zum Gedenkort freigegeben. Die AfD konnte dann – unter Polizeischutz – ihren Kranz niederlegen. Dagegen haben wir protestiert. Daraufhin hat einer der AfD-Vertreter Strafanzeige wegen Nötigung erstattet. Da ich mit Symbolen der VVN-BdA vor Ort war, wurde ich als Beschuldigter benannt, und die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Das Verfahren wird vom Landeskriminalamt, im Dezernat für linksextremistische Straftaten, bearbeitet.

Dafür drohen bis zu drei Jahre Haft, oder?

Das wäre die Höchststrafe, ja. Aber wir haben keine Tatbestandsmerkmale erfüllt – weder Gewalt angewendet noch jemanden mit empfindlichem Übel bedroht. Es ist trotzdem ein Skandal, dass die Staatsanwaltschaft die Anzeige überhaupt angenommen hat.

Unter Ihren Vorfahren sind auch Opfer des Faschismus?

Ja, ein Teil meiner Familie fiel dem faschistischen Rassenwahn zum Opfer. Mein Urgroßvater, meine Großeltern, mein Großonkel und mein Großcousin wurden in Auschwitz beziehungsweise Theresienstadt umgebracht. Mein Vater wurde wegen seines Widerstands gegen den Faschismus vom Volksgerichtshof der Nazis wegen Hochverrats zum Tode verurteilt – in Abwesenheit, da er bereits im Exil war.

Wie erklären Sie sich, dass die AfD bei Wahlen so viele Stimmen holen kann?

Das erinnert mich stark an 1933. Auch damals konnte die NSDAP durch ihre demagogische Politik die Menschen für sich gewinnen. Die AfD bedient sich derselben Methoden – und hat deshalb soviel Zulauf. Alle demokratischen Kräfte müssen sich dem entschieden entgegenstellen.

In Umfragen liegt die Partei mittlerweile auf dem Niveau der Unionsparteien.

Viele Deutsche sind heute nicht mehr in der Lage, politisch klar zu denken. Das ist das Ergebnis jahrelanger ideologischer Beeinflussung durch Medien, auch öffentlich-rechtlicher.

Gehen Sie davon aus, dass die Menschen anders wählen würden, wenn etwa die Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus anders gestaltet würden?

Ich glaube schon. Wenn man Vertreter Russlands oder der Nachfolgestaaten der Sowjetunion auslädt und gleichzeitig die Symbole der Siegermächte verbietet, stellt man sich letztlich auf die Seite der Verlierer – also Hitlerdeutschlands. Und das dürfen wir nicht zulassen.

Gerhard Langguth ist Mitglied der VVN-BdA Lichtenberg und Nachkomme von Opfern des Faschismus sowie Widerstandskämpfern gegen Hitler

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