»Politisches Engagement ist nicht erwünscht«
Interview: Matthias Rude
Das Komitee für Palästina an der Universität Tübingen hat Protest gegen eine Veranstaltung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, DIG, angekündigt, bei der an diesem Dienstag über jüdische Studierende und deren Umstände gesprochen werden soll. Was kritisieren Sie und die Organisation »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« daran?
Die DIG ist keine jüdische Gruppe und kein Kulturverein, sondern eine Lobbyorganisation für deutsch-israelische Außenpolitik, die die Kriegführung in Gaza unterstützt. Auf ihrer Website bekundet die DIG Stuttgart prominent ihre »Solidarität mit den israelischen Streitkräften«. Wenn eine solche Organisation eine Veranstaltung zur »Situation jüdischer Studierender« durchführt, wird jüdische Identität mit der politischen Ideologie des Zionismus gleichgesetzt – eine inakzeptable Vereinnahmung.
Stören Sie sich somit auch am Veranstaltungsort?
Wir halten die Ausrichtung dieses Events an unserer Uni für vollkommen unverantwortlich und einer Bildungsinstitution nicht würdig. Will die Universität Tübingen Antisemitismus kritisch beleuchten, dann muss sie dafür sorgen, dass Menschen zu Wort kommen, deren Stimmen die Vielseitigkeit jüdischer Identität widerspiegeln. Ziel dieser Veranstaltung ist es nicht, einen Dialog zu führen, sondern Akzeptanz zu schaffen für Repression im Dienst der Staatsräson.
Genau das ist auch die Agenda von Stephan Grigat, dem für die Veranstaltung angekündigten Politikwissenschaftler. Was können Sie über ihn sagen?
Er zitiert Marx und Adorno, während er staatliche Repression gegen die Palästina-Solidarität und Militärschläge gegen den Iran fordert. Er macht sich zum Handlanger, denn er liefert dem kapitalistischen Staat in akademischem Jargon Vorwände, um gegen Linke vorzugehen. Das spricht Bände über die ideologische Ausrichtung der Universität. Noch empörender ist die Teilnahme des Unikanzlers Andreas Rothfuß an der DIG-Podiumsdiskussion. Überraschend ist das aber nicht – er steht der oft christlich-zionistisch eingestellten evangelikalen Bewegung nahe.
Wie hat die Hochschule bislang auf Ihr Engagement reagiert?
Wir sind eine studentische Initiative, die seit dem Beginn des Gazakriegs Aufklärungsarbeit zur Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung durch den israelischen Staat leistet. Unser Protest richtet sich gegen den andauernden Völkermord in Gaza und im Westjordanland. Im Juni 2024 hatten wir Forderungen an die Universität gestellt – etwa, dass sie sich konsequent für den Frieden und die Umsetzung ihrer Zivilklausel einsetzen sowie Forschungskooperationen überprüfen soll, die in Krieg und Völkermord involviert sein könnten. Eine öffentliche Reaktion der Unileitung blieb aus.
Während die Universität mit Beginn des Ukraine-Kriegs alle Kooperationen mit Russland aussetzte, positioniert sie sich »fest an der Seite ihrer israelischen Partner«. Wie bewerten Sie diesen institutionellen Doppelstandard?
Das zeigt, dass Neutralität hier nur behauptet wird – tatsächlich ist die Universität tief ideologisch eingebunden. Die deutsche Komplizenschaft am Völkermord in Gaza durchzieht nahezu alle Institutionen. Politisches Engagement ist an der Universität nicht erwünscht. Wir haben aus der Kommunikation mit Dozenten und Mitgliedern des Rektorats wiederholt Hinweise darauf erhalten, dass ein Klima der Einschüchterung herrscht und dass die Unileitung palästinasolidarische Redner lieber nicht in ihren Räumen haben will.
Welche Bedeutung hat angesichts dessen Ihr Protest?
Mit der jüngsten Protestwelle ist immerhin ein Funke Politisierung zurückgekehrt. Wir wollen auch langfristig Bewusstsein für die Ursachen von Krieg und Ausbeutung schaffen. Universitäten sind zentrale Institutionen in unserer Gesellschaft, studentischer Protest kann Bewegungen, die als Randerscheinung gelten, in den gesellschaftlichen Mainstream holen. Deswegen auch der panische Ruf nach Repression, sobald linkes Engagement die herrschende Ideologie angreift. Die Gewaltexzesse des Imperialismus werden für immer mehr Leute sichtbar.
Marie R. spricht für das Unikomitee für Palästina (UKFP) von Studenten der Universität Tübingen
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