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Aus: Ausgabe vom 02.05.2024, Seite 8 / Inland
Militarisierung

»Dürfen Kinder nicht als Kanonenfutter preisgeben«

Hessen: Gewerkschaftssenioren fordern Widerstand gegen Militarisierung im Bildungswesen. Ein Gespräch mit Eberhard Enß
Interview: Gitta Düperthal
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Expertin für Verteidigungslinien: Wahlplakat mit FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann in Köln

Der SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius will Deutschland »kriegstüchtig« machen. Und FDP-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger wünscht sich an Schulen Katastrophenalarme zur Wehrertüchtigung. Dagegen haben sich die Offenbacher Senioren der GEW mit einer Erklärung zu Wort gemeldet. »Nein zur Militarisierung von Schule und Gesellschaft« fordern Sie. Sind Sie damit allein?

Bevor wir als Seniorinnen und Senioren dazu einen Beschluss gefasst haben, hatte ich das Thema beim GEW-Kreisvorstand eingebracht. Dort schien es nicht ausgemacht, dass wir eine antimilitaristische Gewerkschaft sind. Der Ukraine-Krieg habe alles geändert, hieß es. Man könne eine Erklärung verfassen, dass wir uns für den Frieden einsetzen, dürfe aber nicht so hart auftreten. Sollen wir uns etwa mitten im Aufrüstungsprozess mit einer Friedenskerze hinstellen? Eine nach eigener Aussage früher in der Friedensbewegung aktive Kollegin meinte, sie wolle im Grunde nicht, dass ihr Sohn, jetzt 19 Jahre alt, zur Bundeswehr gehe. Nach Putins Angriff auf die Ukraine sei sie sich nicht mehr sicher. Will sie ihn jetzt dem Töten und Sterben ausliefern? Eine andere Kollegin lehnte die Losung »Unsere Kinder nicht für ihren Krieg« ab.

Sie sagen, die Auseinandersetzung um gewerkschaftlichen Widerstand gegen Militarisierung an Schulen und Hochschulen müsse jetzt geführt werden. Wie wollen Sie diese Debatte anstoßen?

Die Seniorinnen und Senioren der GEW Offenbach waren sofort dabei. Unser Beschluss dazu ist der GEW im Bund bekannt und auf der Webseite GEW Südhessen veröffentlicht. Wir müssen die Lehrenden sowie die Schüler und Studierenden gegen die Kriegshetze mobilisieren. In Frankfurt fahren Straßenbahnen mit aggressiver Werbung der Bundeswehr herum. Beim »Girls’ Day« der Truppe wurde behauptet, Mädchen seien dort gut aufgehoben. Möglicherweise ist die von der Bundesregierung und der Union betriebene Kriegstreiberei so massiv, dass viele sich nicht trauen, eine andere Meinung zu vertreten.

Wie kontern Sie Behauptungen, Ihr Widerstand gegen eine Militarisierung sei naiv und nur im Sinn von Autokraten?

Auf beiden Seiten des Ukraine-Krieges – unter Putin und Selenskij – sind Oligarchen aktiv. Sie haben sich das Volksvermögen mit Privatarmeen und Waffengewalt unter den Nagel gerissen, hetzen ukrainische und russische Arbeiterinnen und Arbeiter aufeinander. Die NATO nutzt die Lage, um Russland an der »Ostflanke« wegen seiner Rohstoffe auf die Pelle zu rücken. Die Bundeswehr stationiert 5.000 Soldaten in Litauen.

Mit seinem Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern ist das Land Vorreiter der Militarisierung. Was ist von der Gewerkschaft dort zu vernehmen?

Der dortige GEW-Landesverband bezog bei der Anhörung zum Gesetz deutlich Stellung. Er befürwortete ein Friedensgebot für alle Bildungseinrichtungen. »Wir sind Teil der Friedens- und antimilitaristischen Bewegung«, hieß es. Und: »Das Gebot zur Zusammenarbeit ziviler Hochschulen mit der Bundeswehr ist unvereinbar mit der im Grundgesetz verankerten Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre.« Das sind klare Worte.

Können Sie Beispiele für Aktionen gegen die Militarisierung an Schulen und Universitäten nennen?

Die Freie Deutsche Jugend machte eine Aktion an der Uni Regensburg mit einem als Bundeswehrsoldat verkleideten Genossen. Der faselte den ganzen Irrsinn von Kriegstüchtigkeit, Resilienz und Zivilklausel sowie von Wissenschaft, die so frei sein müsse, für die Sicherheit zu forschen. Der Professor drängte ihn aus dem Vorlesungssaal. Aus Reihen der Studierenden erklang der Ruf »Bundeswehr raus«. Laut einem Fake-Plakat auf dem Unigelände, mit Panzer und Kühen darauf abgebildet, forderte die CSU dazu auf, Universitäten müssten »unsere Heimat verteidigen«.

Und wie sollte nun dagegen gewerkschaftlicher Widerstand aussehen angesichts der Wehrpflichtdebatte und der Einführung des »Veteranentags«?

Wir brauchen eine Antikriegsfront. Lehrerinnen und Lehrer müssen dafür eintreten, unsere Kinder nicht als Kanonenfutter preiszugeben.

Eberhard Enß ist Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Offenbach

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