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Aus: Ausgabe vom 22.04.2024, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Die Lümmeljahre sind vorbei

Peter Hacks’ Goethe-Essays in einem Band
Von Erwin Grave
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Nur echt mit Zigarettenspitze: Peter Hacks (1978)

Nachdem der Dramatiker Peter Hacks seinen Kampf um das DDR-Theater praktisch verloren hatte, ging er in die Defensive. Dies ging so: Er kündigte eine Schaffenskrise an, indem er länglich die gleichsam politischen wie persönlichen Gründe einer solchen bei Goethe behandelte. Zum vorläufigen Abschied lieferte er mit »Jona« (1986) außerdem noch ein direkt politisches Stück – man sollte ihm nicht nachsagen können, dass ihn der sich abzeichnende Untergang der DDR unbeeindruckt gelassen hätte. Ansonsten betätigte er sich ein wenig als Philologe und ein wenig als Historiker, blieb dabei aber ganz Dichter, sprich sein Positivismus dient der Idee. Heraus kam eine recht ausführliche »Verteidigung Goethes«. Die diesbezüglichen Kampfschriften sind nun unter ebendiesem Titel von Marlon Grohn im Eulenspiegel-Verlag herausgegeben und mit einem Nachwort versehen worden.

Der Abwehrkampf besteht dabei zu einem guten Teil darin, Goethe seine politisch-weltliche Grundlage zurückzugeben. So erfahren wir, das »Herzogtum Weimar war durchgehend illuminatisch beschaffen« und dass Goethe von Wieland für die Weimarer Illuminaten rekrutiert wurde. Versteht man einmal dies, versteht man auch die sonst als Tratsch erscheinenden Kapriolen rund um Goethe, etwa den Grund, warum Goethes Jugendfreund und Mit-Sturm-und-Dränger Lenz aus Weimar verbannt wurde: Der Weimarer Flügel der Illuminaten mag nicht so sittenstreng gewesen sein, wie man es vom Jesuiten Weishaupt kennt, eine gewisse Disziplin war aber nötig. Lenzens Punk­allüren waren Goethe durchaus nicht fremd; in Lenz wird gewissermaßen sein romantischer Part exorziert. »Goethes Lümmeljahre« sind vorbei.

Die Illuminaten wieder waren die Vertreter Frankreichs in Deutschland und in Weimar war man insbesondere für Napoleon. Goethe also war selbstredend auch für Napoleon. Es geht hier aber nicht um dessen Verteidigung, die Hacks präziser in seiner Schrift »Ascher gegen Jahn« besorgt. Goethe hat das Vorrecht des Dichters und der berittene Weltgeist galt ihm nur als solcher, insoweit er als Inkarnation der allgemeinen »Staatsvernunft« auftrat. Ansonsten war er schlichter »das Weltelend in seiner fortgeschrittensten und annehmbarsten Gestalt« und Weltelend bleibt Weltelend; Goethe mag, wie uns Hacks versichert, »ein guter Absolutist und ein noch besserer Bonapartist« gewesen sein, er stellte seine politische Tätigkeit schon vor der französischen Revolution ein und setzte sich nach Italien ab.

Was Goethe an der folgenden Entwicklung beschäftigte, war der »Widerspruch zwischen der Wirklichkeit der französischen Revolution und den Forderungen der Humanität«, zwischen Feuer und Wasser. Man kann nicht sagen, dass er das Feuer rundherum ablehnte, aber er fühlte sich eher für den Löschvorgang zuständig. Goethes Festspiel »Pandora« handelt diesen Widerspruch innerhalb der bonapartistischen Partei ab. Hacks’ Verteidigungsschlacht wieder wurde von ihm durch eine Bearbeitung eben dieses Stücks eröffnet. Sein obligatorischer Begleittext hierzu bildet das Ende der vorliegenden Sammlung.

In dem Stück geht es grob um folgendes: Nachdem der Feuerdieb Prometheus einige Bewegung und damit Unheil in die Welt gebracht hatte, bleiben die Götter fair und schicken die wunderschöne Pandora, Sinnbild der Hoffnung und des Überflusses. Prometheus hält das für eine List und entzieht sich, sein Bruder Epimetheus dagegen verfällt ihr, worauf sie ihn ihrerseits verlässt, nicht ohne ihm eine Tochter zu hinterlassen. Hier setzt die Handlung ein. Der »dichtende Titan« Epimetheus hat Pandora einen Tempel errichtet und sitzt davor, dem Wahnsinn verfallen. Nachts findet er keinen Schlaf, Tags träumt er von seiner im Dunst verschwundenen Geliebten. Aus diesem Zustand wird er jäh befreit, als der »tätige Titan« Prometheus mit seiner Armee anrückt und Geschichte macht: Der Tempel wird niedergebrannt, da er der modernen Industrie weichen soll. Die Sache ist gelaufen, Weimar durch Napoleon erobert. Nicht aber bei Goethe. So keusch war auch Prometheus in seiner Abwehr der Pandora nicht gewesen und so hatte die Hoffnungsdame ihm einen Sohn geboren. Die Liebesheirat der Titanenkinder zaubert dann den Widerspruch ihrer Eltern aus der Welt, die Morgenröte Eos hat ihren Auftritt und kündet von Pandorens Wiederkunft. Halleluja. Der Witz dabei: »Prometheus wird in die Segensherrschaft der Pandora nicht einbezogen.« Napoleon verliert gegen Goethe, und diese Niederlage war »furchtbarer als die durch Wellington oder Blücher; denn sie war die Niederlage vor dem Weltgericht und letztinstanzlich.«

Die Bearbeitung folgt zunächst treu dem Vorbild. Verse werden übernommen, leicht umgedichtet, ummontiert, gestrichen und zunehmend durch neue Verse ergänzt. Mag sein, dass sich Goethes Verse besser reimen, die Handlung reimt sich besser bei Hacks. Geschändet wird das Stück erst zum Ende. Epimetheus erscheint als der Phantast, der er ist: Statt der von ihm gewünschten Liebesheirat der Kinder gibt es eine Vergewaltigung und seine gedemütigte Tochter fügt sich in ihr Schicksal. Eos wird gestrichen und durch eine zweite, ganz Hacks angehörende Handlung gleicher Länge ersetzt: Der vorgeschichtliche Streit zwischen Humanität und Geschichte wird auf modernsten sozialistischen Niveau neu geführt. Die wahre Morgenröte besteht dabei im vom Sozialismus zu schaffenden Reichtum. Pandoras Wiederkunft wird endlich denk- und darstellbar, gerade durch die richtig angewandte Industrie, mithin eben durch den von Goethe geschlagenen Prometheus. Die Niederlage Napoleons wird in neuer Letztinstanz zurückgenommen.

Das bearbeitete Stück soll Goethe begreif- und dadurch endlich spielbar machen, am Ende auch die Pandora im Original. Es erhellt außerdem die Bedeutung der Goethe-Essays von Hacks, die neben ihrem unbestreitbaren historischen wie philologischen Eigenwert eine weitere Brücke zu diesem Ziel bieten. Sie mögen dabei die Wahrheit Goethes auf ihre Weise ausdrücken, sie gehört doch in das Gewand der Poesie. Die Verteidigung Goethes kann ihren Erfolg erst auf der Bühne feiern.

Peter Hacks: Die Verteidigung Goethes. Essays zur Klassik. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Marlon Grohn. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2024, 272 Seiten, 20 Euro

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