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Aus: Ausgabe vom 22.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Buchmarkt

»Die meisten Läden haben schon geschlossen«

In Kooperation mit der Leipziger Buchmesse findet die 30. Leipziger Antiquariatsmesse statt. Ein Gespräch mit Stefan Lenzen
Von Mawuena Martens
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Ein überragendes Zeugnis deutscher Buchdruckkunst und nicht wohlfeil zu haben: Die Schedel’sche Weltchronik

Das gedruckte Buch wurde schon häufig totgesagt. Nun stellen Sie sogar noch alte – einige würden vielleicht sagen verstaubte – Bücher aus. Sind Buchantiquariate heute überhaupt noch interessant?

Das ist eine gute Frage. Den Staub kann man ja wegwischen, die Frage ist wohl eher: Ist auch der Inhalt verstaubt? Natürlich gibt es Bücher, die man nicht mehr unbedingt lesen muss, die aus der Zeit gefallen sind. Aber viele Bücher zeigen auch heute noch, wie Entwicklungen verlaufen und bestimmte Dinge gewesen sind und wie der Zeitgeist damals war. Warum gibt es zum Beispiel ein Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum, das übrigens auch auf der Messe einige Stücke seiner bedeutenden Sammlung ausstellt? Weil Kurt Tucholsky eben ein extrem wichtiger Schriftsteller für den deutschsprachigen Raum war und es Sinn macht, das auch heute noch an die Frau bzw. den Mann zu bringen. Was hat dieser Mensch Anfang des 20. Jahrhunderts gemacht? Ich würde also sagen, die Frage, ob Bücher angestaubt oder veraltet sind, erübrigt sich.

Was und wer stellt dieses Jahr aus? Gibt es Highlights?

Insgesamt haben wir in diesem Jahr 43 Aussteller zum größten Teil aus Deutschland, aber auch aus den Niederlanden, Österreich, Tschechien und der Slowakei. Besonders zu nennen, ist das Antiquariat Walter Markov mit schönen Ausgaben zur Exilliteratur. Es gibt mehrere Sonderausstellungen zur Literatur der Konzentrationslager oder auch zur Typographie oder Einbandgestaltung. Auch das Kurt-Tucholsky-Museum stellt Verschiedenes in einer Vitrine aus. Ich habe eine kleine Ausstellung zu den Büchern der Inselbücherei. Das ist eine Reihe mit kleinformatigen Bändchen zu Literatur, Geschichte, also Wissen, Geschichte, ein bisschen Kunst, die es seit Anfang des 19. Jahrhunderts gibt. Mittlerweile gibt es über 2.500 verschiedene Titel, die klassische Sammlerobjekte sind. Das Schöne daran ist, dass so ein Bändchen heute in der Regel antiquarisch nur rund fünf Euro kostet. Das können sich junge Menschen und solche mit kleinem Geldbeutel leisten. Viele weitere Antiquare bieten Literatur in Erstausgaben an oder signierte Bücher, Autobiographien von Künstlern oder von Schriftstellern, Kunstbücher mit Originalgrafiken. Ebenfalls vertreten sind handwerklich gut gemachte, handgebundene Bücher und Originalfotografien. Die Bandbreite ist also riesengroß.

Sammlerspezialisten sind ja häufig alt, ist ein Generationenwechsel absehbar?

Es ist eindeutig so, dass die klassischen Sammler von Erstausgaben deutscher Literatur, besonders deutscher Nachkriegsliteratur, zwischen den Weltkriegen oder auch noch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden. Die meisten sind inzwischen tot. Und tatsächlich gibt es so gut wie keinen Nachwuchs, daher kann man eigentlich nicht von einem Generationenwechsel sprechen. Natürlich gibt es in einigen Bereichen noch Interesse, zum Beispiel bei Kunstbüchern oder alter und moderner Grafik. Die wird durchaus auch von jungen Menschen gekauft und gesammelt.

Ist dementsprechend auch das Publikum der Messe weißhaarig?

Der Altersdurchschnitt ist tatsächlich relativ hoch. Aber was mich an der Leipziger Antiquariatsmesse so fasziniert, ist, dass die Literaturmeile, also der Bereich neben den höherwertigen Büchern, der mit günstigen antiquarischen Büchern, ein Magnet ist, der auch sehr viele Jüngere anzieht. Märchenbücher zum Beispiel gehen da weg wie geschnitten Brot. Und vielleicht ist das eine Möglichkeit, die »Jungen« für das alte oder schön gemachte Buch zu interessieren.

Dass vor allem Ältere auf die Messe kommen, ist vielleicht auch eine Frage des Geldes, oder?

Sicherlich. Und man muss ganz klar sagen, dass die Bücher, die da teilweise angeboten werden, für den jungen Leser in der Regel nicht erschwinglich sind, und sie sind es auch nicht für einen großen Teil der Bevölkerung in Deutschland. Sammler, die sich ein Buch für 12.000 Euro leisten können, sind also häufig Lehrer, Beamte, Selbständige, Ärzte und Rechtsanwälte.

Gibt es Veränderungen beim Interesse an Antiquariaten und der Ausstellung?

Antiquare haben heute das Problem, dass bestimmte Dinge nicht mehr gefragt sind. Vor 30, 40 Jahren konnten Antiquare ganz gut von Erstausgaben deutschsprachiger Literatur leben. Das waren dann solche Sachen wie Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Hermann Hesse oder Thomas Mann. Ein paar von diesen sind noch immer gefragt. Doch Autoren der Nachkriegszeit nicht mehr. Es gibt auch kaum noch Sammler, die versuchen, jedes Buch oder jede Schrift von diesen Schriftstellern in der Erstausgabe, möglichst signiert, im Regal stehen zu haben.

Die Problematik besteht überhaupt bei Kulturinstitutionen. Es ist ja nicht nur das Buch, das scheinbar nicht mehr gefragt ist. Es sind auch solche Kulturinstitutionen wie das Kurt-Tucholsky-Museum. Dahinter steckt auch das Problem der Finanzierung und politischer Fragestellungen: Wo werden Gelder reingesteckt? Das sind Diskussionen, die besonders bei bestimmten Schriftstellern geführt werden. Denn damit kann man auch Schriftsteller wie Tucholsky loswerden oder eben so ein Museum.

Auch haben die Digitalisierung beziehungsweise der Onlinehandel stark zugenommen. Früher haben Leute einfach mal so vorbeigeschaut, irgendwelche Haufen durchwühlt und etwas mitgenommen. Das passiert so gut wie gar nicht mehr. Wenn man ein bestimmtes Buch sucht, geht dies über das Internet natürlich viel einfacher, und man kann dort auch direkt die Preise vergleichen. Früher hingegen haben Sammler richtige Touren durch verschiedene Städte gemacht und dort die Antiquariate abgesucht.

Wie wirkt sich der Onlinehandel auf Antiquariate aus?

Die allermeisten Läden haben eigentlich schon geschlossen. Es ist ja in Berlin genauso, da bleibt eine Handvoll Antiquariate übrig, die noch ein Ladengeschäft hat. Die meisten fragen sich: Wozu habe ich eigentlich einen Laden? Der Laden ist eher so etwas wie ein begehbares Lager. Hier in Düsseldorf zum Beispiel gab es vor 30 Jahren noch ein Dutzend Antiquariate. Heute sind es noch drei, vielleicht vier.

Wie haben sich die Preise für antiquarische Bücher in den vergangenen Jahren entwickelt?

Es gibt einen eindeutigen Preisverfall. Das Angebot an gebrauchten Büchern ist unglaublich groß, viel größer als die Nachfrage, mal abgesehen von wenigen raren Exemplaren, wie zum Beispiel der Schedel’schen Weltchronik. Bestimmte Bücher braucht man gar nicht mehr anzubieten, das ist einfach Zeitverschwendung.

Überleben durch diese Entwicklungen nur die Großen?

Klar, es ist wie in allen Bereichen. Es gibt ein paar große oder ein paar riesengroße, die tatsächlich den Markt für bestimmte Dinge auch ein bisschen kaputtgemacht haben. Da ist zum Beispiel Medimops. Die kaufen Bücher von Privatleuten in riesigen Mengen für nur wenige Cents, haben Sonderkonditionen bei der DHL und können versandkostenfrei versenden. Dadurch und durch die entsprechende Organisationsstruktur können sie Bücher zu sehr niedrigen Preisen anbieten. Normale Antiquare können da nicht mehr mithalten. Dann gibt es noch die klassischen Seiten wie ZVAB (Zentrales Verzeichnis Antiquarischer Bücher) oder auch Abebooks, wo Antiquare anbieten. Beide sind reine Amazon-Töchter. Da hat man quasi eine Monopolisierung in dem Sinne, dass die den Markt beherrschen und die Kostenstruktur vorgeben. Die Antiquariatsseite Antiquariat.de andererseits ist eine genossenschaftliche Seite, auf der Kollegen Bücher anbieten. Aber die müssen natürlich unglaublich kämpfen.

Seit 30 Jahren gibt es die Antiquariatsmesse auf der Leipziger Buchmesse. Was hat sich mit den Jahren verändert?

Vor 20 Jahren waren in Leipzig 70 bis 80 Aussteller vertreten. Und es hat Zeiten gegeben, da konnte man sich als Aussteller anmelden und kam erst einmal auf eine Warteliste. Das ist natürlich heute nicht mehr so. Heute müssen wir mächtig kämpfen und Überzeugungskraft aufbringen, um auf so eine Zahl wie 43 Antiquare zu kommen. Die Kollegen sehen, sie können über das Netz die Bücher genauso verkaufen wie auf der Messe, auch teure Bücher – und das ohne die Kosten und den ganzen Aufwand, den so eine Messe mit sich bringt. Allerdings muss man auch klarmachen, dass wir ohne eine Präsenz vor Ort völlig aus dem öffentlichen Blickfeld verschwinden.

Stefan Lenzen ist Antiquar in Düsseldorf und ist Mitorganisator der Antiquariatsmesse in Leipzig auf der Leipziger Messe in Halle 5.

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