Besatzung vor Gericht
Von Jakob ReimannAn diesem Montag enden die Anhörungen vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zu Israels Besatzung palästinensischer Gebiete. Eine Woche lang haben sich die Richter in Den Haag mit der Frage beschäftigt, ob die seit Jahrzehnten dauernde Besatzung völkerrechtswidrig ist, und welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus für Israel und alle anderen Staaten ergeben. In einem historischen Verfahren äußern sich Vertreter von 52 Ländern sowie von drei internationalen Organisationen und legen ihre Einschätzungen dar.
Israel blieb den Anhörungen fern und denunzierte im Vorfeld das Verfahren als »Missbrauch des internationalen Rechts«. Es ist unabhängig vom sogenannten Genozidprozess gegen das Land, der im Januar vor demselben Gericht begann und den aktuellen israelischen Krieg gegen die Bevölkerung in Gaza verhandelt. Der IGH war bereits im Dezember 2022 von der UN-Generalversammlung beauftragt worden, dieses rechtlich nicht bindende Gutachten zu erstellen. Zusammen mit Israel, den USA und mehr als 20 weiteren Ländern hatte Deutschland damals dagegen gestimmt, die Legalität der israelischen Besatzung vom IGH auch nur untersuchen zu lassen.
Zunächst trug ein Vertreter Palästinas über drei Stunden lang seine Argumente vor: »Ich stehe hier vor Ihnen, während 2,3 Millionen Palästinenser in Gaza, die Hälfte davon Kinder, belagert und bombardiert, getötet und verstümmelt, ausgehungert und vertrieben werden«, so Riad Al-Maliki, der palästinensische Außenminister, »während mehr als 3,5 Millionen Palästinenser im Westjordanland einschließlich Ostjerusalem der Kolonisierung ihres Gebiets und der rassistischen Gewalt ausgesetzt sind.« Weil »1,7 Millionen Palästinenser in Israel als Bürger zweiter Klasse und unwillkommene Eindringlinge auf dem Land ihrer Vorfahren behandelt werden«, rief Al-Maliki dazu auf, »der Straflosigkeit Israels ein Ende zu setzen«. Aufeinanderfolgende israelische Regierungen hätten den Palästinensern nur drei Möglichkeiten gelassen: »Vertreibung, Unterwerfung oder Tod«; dies entspreche den »Alternativen: ethnische Säuberung, Apartheid oder Genozid«. Doch »unser Volk ist hier, um zu bleiben«, schloss Al-Maliki, »und es wird seine Rechte nicht aufgeben«.
Militärische Besatzungen können im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht stehen, solange diese »nur vorübergehend« seien, hieß es in einer Pressemitteilung von Amnesty International Deutschland zum Auftakt der Verhandlungen vergangene Woche. Doch im Laufe der Jahrzehnte »hat sich die militärische Besatzung der palästinensischen Gebiete durch Israel zu einer Dauerbesatzung entwickelt, die klar gegen das Völkerrecht verstößt«, so die Mitteilung weiter. »Die Besatzung ist zudem ein zentrales Element des bestehenden Systems der Apartheid.«
Zumeist waren es Vertreter des globalen Südens, die sich in Den Haag solidarisch mit den Palästinensern zeigten. Israel strebe in den besetzten Gebieten »einen Punkt an, an dem es kein Zurück mehr gibt«, so der algerische Rechtsprofessors Ahmed Laraba, um so »jede Möglichkeit der Schaffung eines palästinensischen Staates zu verwerfen«. Bolivien, Kolumbien, Kuba und Brasilien brachten auch Reparationszahlungen Israels an die Palästinenser ins Spiel. Der Vertreter Chinas stellt den palästinensischen Kampf explizit in den Kontext antikolonialer Befreiungskämpfe und unterstrich dabei das Recht, mit Waffengewalt gegen die israelische Besetzung vorzugehen; dies sei ein »unveräußerliches, im Völkerrecht verankertes Recht«, zitierte das britische Onlinemagazin Middle East Eye Äußerungen des chinesischen UN-Botschafters Zhang Jun am Donnerstag. »Verschiedene Völker haben sich von der Kolonialherrschaft befreit«, so Zhang weiter, indem sie »alle verfügbaren Mittel einsetzten, einschließlich des bewaffneten Kampfes«.
Eine Entscheidung des IGH in der Sache wird in den nächsten sechs Monaten erwartet. Diese könne dazu beitragen, »den Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden zu ebnen«, sagte Riad Mansour, der UN-Botschafter Palästinas in seinem Vortrag zu Beginn der Anhörungen. »Eine Zukunft, in der keine Palästinenser und keine Israelis getötet werden. Eine Zukunft, in der zwei Staaten Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben.«
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