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Aus: Ausgabe vom 26.02.2024, Seite 1 / Titel
Israel - Palästina

Netanjahu will Kontrolle

Israel: Polizeigewalt bei Protesten in Tel Aviv. Hamas-Führung in Kairo für Friedensgespräche. Regierung diskutiert Nachkriegsplan
Von Gerrit Hoekman
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Wasserwerfer gegen Protest für Geiseldeals (Tel Aviv, 24.2.2024)

Der innenpolitische Druck auf Israels ultrarechten Premier Benjamin Netanjahu wächst. Am Sonnabend abend ging die Polizei in Tel Aviv mit Wasserwerfern und berittenen Beamten gegen eine spontane Kundgebung vor dem Verteidigungsministerium vor. 21 Personen wurden verhaftet, mehrere verletzt. Israelische Medien sprechen von den heftigsten Auseinandersetzungen seit den neuerlichen Antiregierungsprotesten nach dem 7. Oktober. In der Nähe fand zur gleichen Zeit eine Kundgebung statt, auf der mehrere tausend Teilnehmende den Rücktritt der Regierung Netanjahu forderten. Ferner verlangten sie eine diplomatische Lösung des Konflikts mit den Palästinensern und die sofortige Rückkehr aller Geiseln.

»Die Polizeigewalt heute abend gegen Demonstranten, darunter die Familien der Geiseln, ist gefährlich, antidemokratisch und kann so nicht weitergehen«, reagierte der israelische Oppositionsführer Jair Lapid laut der Onlinezeitung Times of Israel auf das Vorgehen der Einsatzkräfte. »Das Recht auf Protest ist ein Grundrecht und kann Demonstranten nicht mit Schlagstöcken und Wasserwerfern genommen werden.«

Unterdessen trafen sich am Wochenende in Paris Vertreter von Israel mit den vermittelnden Ländern USA, Katar und Ägypten, um einen Waffenstillstand von sechs Wochen im Gazastreifen zu erreichen. Die Vermittler hätten sich bei ihrem Treffen in Paris »auf die Grundzüge eines Geiselabkommens für eine zeitweise Feuerpause« verständigt, sagte der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jacob Sullivan, am Sonntag gegenüber dem Sender CNN. Die Verhandlungen dauerten weiter an, die Details müssten noch ausgearbeitet werden, sagte Sullivan.

Die palästinensische Seite scheint weniger optimistisch. »Während Israel sich auf den Versuch konzentriert, jedes Abkommen in ein Gefangenenaustauschabkommen umzuwandeln, besteht die Hamas darauf, dass jedes Abkommen auf einer Verpflichtung der israelischen Besatzungsmacht basieren muss, den Krieg zu beenden und ihre Streitkräfte aus dem Gazastreifen abzuziehen«, sagte ein palästinensischer Offizieller, der anonym bleiben wollte, am Sonnabend gegenüber Reuters. Israel besteht aber nach wie vor darauf, dass ein Waffenstillstand nicht das Ende des Krieges im Gazastreifen bedeute. Aus einer anderen palästinensischen Quelle erfuhr die Nachrichtenagentur, es habe bis jetzt »keine Diskussion über die Gefangenen gegeben«.

Am Freitag hatte Netanjahu seinem Kabinett seinen Nachkriegsplan zur Diskussion vorgelegt. Darin schlägt er laut Reuters vor, dass Israel die Kontrolle über das gesamte Land westlich von Jordanien behält, also auch über die Westbank und den Gazastreifen. Ein souveräner Staat Palästina sei ein Sicherheitsrisiko für Israel. Im Gazastreifen soll die Verwaltung, die bislang von der Hamas dominiert wurde, mittelfristig auf lokale Vertreter übergehen, die »nicht mit terroristischen Ländern oder Gruppen verbunden sind und von ihnen nicht finanziell unterstützt werden«. Der Plan sieht ferner vor, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) aufzulösen und durch andere internationale Hilfsorganisationen zu ersetzen. Bereits am Donnerstag hatte die Regierung angekündigt, 3.000 neue Wohnungen in den völkerrechtswidrig errichteten Siedlungen auf der Westbank zu bauen. Die israelische Landnahme schreitet also weiter voran.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (25. Februar 2024 um 21:30 Uhr)
    Die israelische Regierung sieht in einem souveränen Staat Palästina ein Sicherheitsrisiko für Israel. Bislang wurde dies in diplomatischerem Ton als das »Friedensprozent« ausgedrückt. In Wirklichkeit jedoch untergraben sowohl die Palästinenser als auch die Israelis von Anfang an eine Zweistaatenlösung. Dies erklärt die gegenwärtige Situation. Es ist bedauerlich, dass trotz der fortschreitenden Globalisierung die internationale Gemeinschaft seit 1947 nicht in der Lage war, auf diesem kleinen Flecken Erde Frieden zu schaffen. Dies stellt entweder eine Schande dar oder wird einfach nicht ernsthaft angestrebt.

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