Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 10.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Tagebuch – In dieser großen Zeit

Großkundgebung in Breitenblödisorla

Von Pierre Deason-Tomory
imago0151842346h.jpg
In manchen Landkreisen sind Gülle und Misthaufen knapp geworden …

Freitag, 2. Februar

Die Ampel will die Legalisierung von Cannabis nun doch durchziehen, das Bundesbubatzgesetz soll im März beschlossen werden. Die CDU, der Deutsche Brauerbund und der Deutsche Dealerverband kündigten Proteste an. Sonst: Demos u. a. streikender Bus- und Tramfahrer.

Samstag, 3. Februar

Heute wieder Bürger gegen rechts und Bauern gegen alles. In manchen Landkreisen sind Gülle und Misthaufen knapp geworden.

Sonntag, 4. Februar

Spitzenkräfte von SPD, Grünen und FDP besuchen Bürger- und Bauerndemos, um sich abwechselnd auspfeifen und mit Kuhscheiße bewerfen zu lassen. Gleichzeitig überbieten sie sich mit Vorschlägen für eine Senkung der Unternehmenssteuern. Die Regierung hat Sorge, die Kapitalisten auf Sylt könnten in den Hummerstreik treten.

Montag, 5. Februar

Überall Demos.

Dienstag, 6. Februar

Demos.

Mittwoch, 7. Februar

D.

Donnerstag, 8. Februar

Herr Hinz trifft Frau Kunz beim Rauchen auf dem Hof. »Sie sind heute gar nicht protestieren, meine Liebe?« – »Nein, donnerstags habe ich betroffenheitsfrei. Werden Sie mich morgen begleiten?«

Freitag, 9. Februar

Nach Polizeiangaben haben in dieser Woche 26 Millionen Deutsche demonstriert, die Veranstalter zählten 2,6 Milliarden. Die Zahl der Anlässe hat sich vervielfacht, weshalb das Ordnungsamt der Stadt Breitenblödisorla einen Demodispatcher eingestellt hat, der hier gerade Herrn Hinz und Frau Kunz berät:

»Sie möchten also demonstrieren. Ist Ihr Protest angemeldet oder spontan?«

»Chronisch. Ich protestiere quasi andauernd.«

»Wogegen heute?«

»Haben Sie was im Angebot?«

»Ein Restposten Bauerndemo wäre noch übrig. Führen Sie zufällig einen Misthaufen mit sich?«

»Gibt’s nur Bauern oder auch noch was anderes?«

»Wir haben gleich noch eine Gegendemo.«

»Gegen wen?«

»Gegen vieles. Es gibt Anmeldungen für insgesamt zehn Gegenkundgebungen, die simultan vor dem Rathaus stattfinden werden.«

»Zehn gleichzeitig?«

»Ja, das geht nicht anders, wir haben keine zehn Rathäuser, und vor der Post will immer keiner. Wo möchten Sie mitmachen: gegen die GEZ, gegen Gendern, gegen Ausländer, gegen rechts, gegen die Klimakatastrophe, gegen Wärmepumpen, gegen Elektroautos, gegen Elektrorasierer, gegen Homophobie oder gegen Schwule?«

»Für mich bitte einmal gegen Gendern, Wärmepumpen und Schwule.«

»Geht nicht.«

»Warum?«

»Das sind ja drei Kundgebungen! Nach der Flächensondernutzungsverordnung Gegendemo (FsnvGd) Absatz drei dreizehnter Anstrich dürfen Sie nur an einer geraden Anzahl von Simultankundgebungen gleichzeitig teilnehmen, also an zweien oder vieren oder sechsen etc.«

»Dann nehme ich noch einmal gegen Ausländer dazu.«

»Herr Nachbar! Sie sind ja reaktionär!«

»Bei welcher Kundgebung darf ich Sie eintragen, gnädige Frau?«

»Für Gendern, Wärmepumpen und schwule Ausländer!«

»Tut mir leid. Das um 17 Uhr ist eine reine Simultan-Gegenkundgebung. Die Fürkundgebung ist erst um sechs dran, und da ist nur ein Thema übrig.«

»Nämlich?«

»Für Frieden!«

»Okay! Was meinen Sie, Herr Hinz?«

»Ich war schon immer für den Frieden. Jedenfalls in unserer Zeit.«

»Wie schön! Rechte und Linke zusammen auf einer Demo …«

»Ich bin nicht rechts! – Sie meinen, da laufen vielleicht auch Antifas mit?«

»Oder Höckes Hitler-Heinis?«

»Nein, das ist beides nicht zu erwarten. Zu dieser Friedenskundgebung haben eingeladen Hofreiter, Strack-Zimmermann und der Chef von Rheinmetall.«

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (10. Februar 2024 um 15:54 Uhr)
    Herrlich, wir haben Tränen gelacht! Loriot lässt grüßen …

Mehr aus: Feuilleton