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Aus: Ausgabe vom 15.05.2023, Seite 10 / Feuilleton
Deutscher Filmpreis

Versteckte Kamera

Man kennt’s von jedem Dorffest, die eigene Tristesse erträgt sich leichter in Gesellschaft. Nicht anders in der deutschen Filmbranche, dafür hat’s die »Lolas«: Am Freitag abend räumte erwartungsgemäß Edward Bergers Weltkriegsmissverständnis »Im Westen nichts Neues« ab und holte neun Trophäen. Mit fünf Statuen gleich dahinter und mit der Goldenen Lola für den besten Spielfilm besonders geadelt: »Das Lehrerzimmer« von Regisseur Ilker Catak. In dem spielt die als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnete Leonie Benesch eine idealistische junge Paukerin, die im Lehrerzimmer ihrer Schule eine versteckte Kamera anbringt, um eine Diebstahlserie aufzuklären. Für Catak handelt der Film »von unserer Debattenkultur, von der Suche nach Wahrheit, der Suche nach Gerechtigkeit, der Verdrehung von Wahrheit. Es geht um Fake News, um Cancel Culture. Es geht darum, wie man als Lehrkraft alles richtig machen will und doch einiges falsch macht.« Um die ganzen erdschweren Fragen also, natürlich ein Kritikerliebling. Catak erhielt auch die Lola für die beste Regie, wobei er die Preisübergabe für eine Verbeugung vor Fatih Akin nutzte, mit dessen Filmen er groß geworden sei: »Er war ein Leuchtturm und ich konnte zu ihm aufschauen.«

Die Silberne Lola gab es für den Netflix-Film »Im Westen nichts Neues«, die erste Produktion eines Streaminganbieters, die für den Deutschen Filmpreis nominiert war. Natürlich das Mindeste für einen Oscargewinner. Die Schauspieler Felix Kammerer und Albrecht Schuch erhielten jeweils eine Lola als bester Haupt- und Nebendarsteller, daneben gab es Preise für Musik, Kameraführung und Tongestaltung. Die Lola in Bronze ging an den Thriller »Holy Spider« über einen Frauenmörder im Iran. Regisseur Volker Schlöndorff wurde für herausragende Verdienste um den deutschen Film geehrt. Die Auszeichnung für den besten Dokumentarfilm ging an »Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen«. Bester Kinderfilm wurde »Mission Ulja Funk«. Schauspielerin Jördis Triebel wurde als beste Nebendarstellerin für ihre Rolle in »In einem Land, das es nicht mehr gibt« geehrt, das vom Mode­betrieb in der DDR handelt.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), deren Haus für die drei Millionen Euro aufkommt, die jedes Jahr mit den Preisen für neue Projekte ausgeteilt werden, hatte zu Beginn der Veranstaltung pflichtschuldig eine offene Auseinandersetzung mit Missständen angemahnt. Zuletzt hatten Berichte über Auffälligkeiten am Set eines betrunkenen Til Schweiger zu einer Debatte über Abhängigkeitsverhältnisse, Machtmissbrauch und Übergriffe in der Branche geführt. (dpa/jW)

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