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Aus: Ausgabe vom 08.11.2018, Seite 10 / Feuilleton
Droste

Wahre Tierrechte (31)

Von Wiglaf Droste

In der elektronisch gesteuerten Tür der Bank rasselte er beinahe mit einem Mann etwa seines Alters zusammen, der im Gehen Kontoauszüge las und deshalb auf nichts anderes geachtet hatte. Jochen wollte schon etwas motzen wie: »Ey, können Sie nicht aufpassen?« oder: »Seien Sie doch gefälligst achtsam!« – »Achtsamkeit« war, neben »Nachhaltigkeit« und »Entschleunigung«, eins seiner Lieblingsidiotenwörter, die er oft rein ironisch verwendete, ohne dass sein jeweiliges Gegenüber das bemerkt hätte, sondern im Gegenteil ganz begeistert vom inflationären Gebrauch der Phrase war und heftig nickte. Jochen verkniff sich den Jokus und betrachtete den Mann, der ihm auf einmal bekannt vorkam, ohne dass er genau gewusst hätte, wo in der Truhe seiner Erinnerungen er ihn hätte hinstecken sollen.

Auch der Mann vor ihm musterte ihn nun genauer, und dann dämmerte es beiden fast gleichzeitig. »Mensch Jochen! Das is’ ja’n Ding!« entfuhr es dem Mann, der seine Kontoauszüge in die Innentasche seiner Jacke steckte, um seine Hände für eine kräftige Umarmung frei zu bekommen. »Andreas! Das gibt’s – das gibt’s ja nicht!« Jochen stammelte fast, er freute sich, sein Lächeln sprach Bände. »Ich habe hier etwas Dringendes zu erledigen. Hast du Zeit zu warten? Oder nein, komm doch am besten mit, und danach schnacken wir. Ich bin allerdings nicht allein.« Er zeigte ins Runde, wo die Tiere herumliefen oder an Automaten schnüffelten und damit die Neugierde oder den Argwohn der Kundschaft erweckten; einige Gesichter zeigten aber auch freundliche, beinahe menschliche Züge.

Fortsetzung folgt

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