Leserbrief zum Artikel Fakten gegen Panikmache: Kleines Corona-Kompendium
vom 19.04.2020:
»Corona« ist nicht harmlos
Zur Letalität von Corona:
Eine entscheidende Größe für die Gefährlichkeit einer Pandemie ist die Letalität, d. h. die Wahrscheinlichkeit zu sterben, wenn man sich infiziert hat (Infection Fatality Rate, IFR). Diese ist für »Corona« relativ schwer zu bestimmen, da viele Krankheitsverläufe nur mild oder symptomlos verlaufen und entsprechend unsicher. Bisherige wissenschaftliche Arbeiten zur IFR sprechen für einen Wert um ein Prozent: R. Verity et al. [3] kommen in der angesehenen medizinischen Fachzeitschrift The Lancet auf eine IFR von 0,7 Prozent für China. Umgerechnet auf Europa mit seiner älteren Bevölkerung, ergibt sich eine IFR von 1,3 Prozent für Deutschland [4]. M. Famulare kommt auf eine wahrscheinlichste IFR von 0,94 Prozent [5]. Lothar H. Wieler, Leiter des
Robert-Koch-Instituts, nahm in einer Pressekonferenz am 27. Februar 2020 eine Letalität von ein bis zwei Prozent an [6], die WHO macht die Annahme einer Letalität von 0,3 bis ein Prozent [5]. Die Heinsberg-Studie mit einer IFR von 0,37 Prozent liegt im unteren Teil dieses Bereichs, hat aufgrund der geringen Fallzahlen aber eine große statistische Unsicherheit [1] (welche die Autoren aber leider nicht angeben).
Vergleich von Corona mit Grippe:
Lothar H. Wieler, Leiter des Robert-Koch-Instituts (RKI), bezifferte in einer Pressekonferenz am 27. Februar 2020 die IFR für eine leichte Grippesaison mit einer Letalität von 0,1 bis 0,2 Prozent [6]. Dies ist also fünf- bis 20mal kleiner als die wahrscheinliche Letalität von Corona. Im jetzigen Winter 2019/2020 wurden dem RKI nur 265 Grippetote gemeldet. Laut junge Welt lag die IFR für Grippe im Winter 2017 bei 0,3 Prozent. Diese Grippeepidemie war allerdings auch die tödlichste Grippeepedemie der letzten 30 Jahre [2], wobei die häufig zitierte Zahl von 25.000 Grippetoten in Deutschland im Winter 2017 nur geschätzt ist: Dem RKI wurden tatsächlich nur 1.674 Grippetote im Winter 2017 gemeldet.
[1] https://scilogs.spektrum.de/menschen-bilder/die-heinsberg-studie-zu-covid-19-ein-weiterer-fall-von-unzureichendem-studiendesign/
[2] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/106375/Grippewelle-war-toedlichste-in-30-Jahren
[3] Verity R, Okell LC, Dorigatti I, Winskill P, Whittaker C, Imai N, et al. Estimates of the severity of coronavirus disease 2019: a model-based analysis. Lancet Infect Dis 2020; https://doi.org/10.1016/S1473-3099(20)30243-7
[4] https://www.uni-goettingen.de/de/606540.html
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie#Gef%C3%A4hrlichkeit_der_Krankheit
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie#Vergleich_mit_Influenza_(Grippe)
Kommentar jW:
Auf diese Zuschrift antwortete unser Autor Andreas Wessel:
Sehr geehrter Herr Mayer,
die öffentliche debatte zeigt uns, wie schwierig der diskursive Umgang mit Statistiken ist. Das »Kleine Corona-Kompendium« verschweigt diese Schwierigkeiten nicht, auch nicht die starken Unsicherheiten in unserer derzeitigen Kenntnis, und legt gerade keinen sorglosen Umgang mit dem neuen Virus nahe.
Zu Ihrer Anmerkung:
Die zahlen zur Wintergrippe 2017 kommen direkt vom RKI, wo die Probleme der Abschätzung von Todesopfern einer Grippe detailliert dargelegt werden (siehe u. a. hier: https://influenza.rki.de/Saisonberichte/2018.pdf). Die zahl von 25.100 Toten wird dort als »konservative Schätzung« der Exzess-Mortalität geführt. Etwas genauere Daten gibt es für Berlin mit einer Übersterblichkeit von etwa 1.100.
Etliche studien korroborieren inzwischen den Schätzwert von einer Untererfassung der Infizierten um den Faktor 10, was für Deutschland einen Letalitätswert von aktuell 0,42 Prozent ergäbe. Für andere länder liegt er z. T. deutlich höher, die Gründe sind noch unklar.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Wessel