Gegründet 1947 Freitag, 26. April 2024, Nr. 98
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben

Leserbriefe

Liebe Leserin, lieber Leser!

Bitte beachten Sie, dass Leserbriefe keine redaktionelle Meinungsäußerung darstellen. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zur Veröffentlichung auszuwählen und zu kürzen. Leserbriefe sollten eine Länge von 2000 Zeichen (etwa 390 Wörter) nicht überschreiten. Kürzere Briefe haben größere Chancen, veröffentlicht zu werden. Bitte achten Sie auch darauf, dass sich Leserbriefe mit konkreten Inhalten der Zeitung auseinandersetzen sollten. Ein Hinweis auf den Anlass Ihres Briefes sollte am Anfang vermerkt sein (Schlagzeile und Erscheinungsdatum des betreffenden Artikels bzw. Interviews). Online finden Sie unter jedem Artikel einen Link »Leserbrief schreiben«.

Leserbrief zum Artikel Nach Thüringer Wahldebakel: Hauptsache gegen links vom 08.02.2020:

Schlechter Politkrimi

Ein schlechter Politkrimi hat uns seit Mittwoch, den 5.Februar, erschüttert. Das Ergebnis der Wahl zum Ministerpräsidenten in Thüringen ist bekannt. Die nachfolgenden Tage ließen und lassen uns in die Tiefen politischer Verlogenheit und schlimmer Tricksereien blicken. Ein klarer Wahlsieger und zugleich beliebter und erfolgreicher Ministerpräsident wurde durch einen Politiker ersetzt, dessen Partei die Fünfprozenthürde mit 70 Stimmen überschritt. Die nach der Wahl schnell an die Öffentlichkeit gelangten Fakten lassen nur einen Schluss zu: Alles war durch CDU, FDP und AfD sorgfältig geplant, durchgerechnet und diszipliniert durchgeführt. Deutlicher kann dazu die wörtliche Aussage von Mike Mohring nicht gewertet werden: »Ich habe vor diesem Tsunami gewarnt, ausdrücklich und ausführlich.« Da helfen alle Pirouetten nicht, die Kramp-Karrenbauer, Lindner und Kubicki drehen, um mit lächerlichen Argumenten und Ausreden die Unschuldsengel zu spielen und zu vertuschen, dass sie diesem Politikskandal zustimmend nahestanden.
Unerträglich für mich waren die Versuche von AKK und dem sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer, es so darzustellen, dass an diesem schmutzigen Deal Bodo Ramelow selbst die Schuld trage, weil er keine bürgerliche Mehrheit zusammengebracht habe. Unerträglich deshalb, weil das die Handlungen von CDU und FDP zur Nutzung der AfD für die Wahl von Kemmerich relativieren sollte.
Mit der ganzen Aktion wurde ein Beispiel geschaffen, wie es gehen könnte, denn Vorstellungen für eine schrittweise Zusammenarbeit mit der AfD gibt es ja bekanntlich in CDU-Kreisen. Damit bestätigt sich für mich ein anderer Fakt, den man nicht ernst genug nehmen kann. Bisher wird kritisiert und bedauert, dass so viele Menschen den Argumenten und der Politik der AfD erlegen sind. Vergessen wird dabei, wer denn die gesellschaftlichen Bedingungen dafür geschaffen hat. Aber der Fall Thüringen hat Fenster geöffnet, in dem Politikgrößen plötzlich ihr Gesicht zeigen. Die anfängliche Rumeierei von AKK, Lindner und Kubicki war schon beschämend genug, ehe sie es nun wortgewaltig »geklärt« haben.
Aber was soll man denn vom Ostbeauftragten der Bundesregierung Christian Hirte und vom Innenminister Brandenburgs, Michael Stübgen, halten, die beide nach dem gelungenen Coup, vom Glück übermannt, schnellstens herzliche Glückwünsche und Kampfesgrüße dem neugewählten Ministerpräsidenten übermittelten. Die Personalie Hirte hat sich in der Zwischenzeit nach einem persönlichen Gespräch mit Frau Merkel richtigerweise erledigt.
Dass ausgerechnet ein Innenminister, meines Wissens der einzige in der BRD, in Potsdam in Jubelstimmung gerät, als mit Hilfe der AfD ein linker Ministerpräsident verhindert wird, überrascht schon. Ist es doch vor allem seinem Amt zugeordnet, rechte Demokratie zerstörende Politik und Aktionen zu bekämpfen und zu verhindern. Dazu hat seine Partei, die CDU, Beschlüsse gefasst, die für ihn bindend sein sollten. Und hier das blanke Gegenteil! Ein Tiefpunkt der Demokratie wurde von einem Innenminister mit Beifall honoriert. Das kann doch nicht einfach so weggewischt werden, als wäre es nur eine kleine, spaßige Episode gewesen. In Potsdam und Berlin bis heute, 9. Februar, eisiges Schweigen dazu. Ob die Frau Bundeskanzlerin doch noch einmal Zeit für ein klärendes Gespräch finden kann?
Helmut Andrack, Zeischa
Veröffentlicht in der jungen Welt am 11.02.2020.
Weitere Leserbriefe zu diesem Artikel:
  • Antikommunistisches Gen

    Leider ist es nun doch nicht gelungen, den »Linksextremisten« Bodo Ramelow in die Wüste zu schicken: Antikommunismus ist nun einmal ein Gen der CDU. Auf Postkommunisten zuzugehen, würde die eigene CDU...
    Iri Wolle, Berlin
  • Verursacher sind die gleichen

    Wie vor circa 90 Jahren: die erste Faschistenregierung in Thüringen. Die AfD kommt aus CDU und FDP. »Bürgerliche Demokratie« ist das Pseudonym, der Deckname für die Diktatur der Bourgeoisie. Großbanke...
    Horst Jäkel, Potsdam
  • Böhmers Schleichwerbung

    Kommentar zur Schleichwerbung Wolfgang Böhmers (Exministerpräsident von Sachsen-Anhalt, CDU) für eine künftige Zusammenarbeit mit der AfD unter dem Eindruck der Grundsätzediskussion (»Unvereinbarkeits...
    Henning Gans, Leipzig
  • Zukunftsaufgabe des Bürgertums

    Die Überschrift erinnert mich an das letzte Kabarettprogramm von Wolfgang Neuss aus der Mitte der 60er Jahre, bevor er hoffnungsvoll nach Chile ging, wo die Unidad Popular unter Salvador Allende die W...
    Reiner Schulz, Potsdam
  • Zuviel Pöstchengerangel

    Die kleinbürgerlich-»sozialistische« Politik der Regierung Ramelow (er hat schon die DDR zum »Unrechtsstaat« erklärt, um Ministerpräsident werden zu können) hat bislang kaum einen gestört, und das wür...
    Albrecht Kotitschke
  • Politikverdruss

    (...) Die FDP schlägt einen »Überparteilichen« als Ministerpräsidenten in Thüringen vor. Der Generalsekretär der CDU, Ziemiak, sagte in den Frühnachrichten u. a., die SPD und die Linke seien bei der L...
    Alois Sepp, München
  • Ohne Dank

    Wozu braucht es die endlosen Wiederholungen von Begriffen wie Tabu- oder Dammbruch. Wozu einmal mehr Heuchelei, Scheindebatten und angebliche Verwunderung über die geheiligte Demokratie. Was die bürge...
    Roland Winkler, Aue
  • Lindner hatte recht

    Zu keinem Zeitpunkt war das bekannte Zitat von Christian Lindner treffender: »Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.«...
    Hans-Peter Oswald
  • »Mitte« hat sich geoutet

    Man muss den Ereignissen in Thüringen auch etwas Positives abringen, die sogenannte bürgerliche Mitte hat sich geoutet, um des puren Machterhaltes willen und um selbst die weichgespülten Linken zu ver...
    Hans-Jürgen Radde, Berlin
  • Was für Zeiten

    O Tempora, o mores – was für Zeiten, was für Sitten in Thüringen. Die Thüringer CDU verliert die Akzeptanz nicht wegen Mike Mohring, sondern deswegen, weil sie nicht durchgesetzt hat, was der »Einheit...
    Stanislav Sedlacik, Weimar
  • Ein bisschen Weimar

    Bei den Wahlen in den neuen Bundesländern hat die rechtsnationale Partei AfD jetzt mehrfach riesige Stimmengewinne erzielt. Dies ging auf Kosten der etablierten Parteien. Diese hatten bisher eine Koop...
    Conrad Fink, Freiberg am Neckar
  • Schlechter Ratgeber

    Die Angst vor Neuwahlen geht in ganz Deutschland um, die Angst vor der AfD – und dass diese AfD noch mehr Prozentpunkte einfahren und vielleicht sogar irgendwann die 50-Prozent-Marke knacken könnte. D...
    Riggi Schwarz, Büchenbach
  • Klar abgekartetes Spiel

    Also mal ehrlich, liebe Damen und Herren der CDU/FDP aus dem Thüringer Parlament. Von Ihnen heißt es, man habe das nicht voraussehen können, man sei überrascht gewesen, oder man hört ähnlichen hirnris...
    Hans Reinhardt, Glashütten