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Rosa-Luxemburg-Konferenz 2018

Rosa-Luxemburg-Konferenz 2018


Referenten aus sieben Ländern, Kunstausstellung und viel Musik: Afrika war der Schwerpunkt der XXIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar 2018 im Mercure-Hotel MOA in Berlin.

  • · Blog

    Ressourcen für Aufklärung

    Warum die Rosa-Luxemburg-Konferenz überhaupt stattfinden kann, und was Sie dafür tun können
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    »... können wir nur selber tun«: Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2016 singen die »Internationale«

    Auch dieses Jahr endet für die junge Welt bekanntlich nicht am 31. Dezember, sondern mit dem gemeinsamen Singen der Internationale zum Abschluss der Rosa-Luxemburg-Konferenz am Samstag, den 13. Januar 2018, um genau 20 Uhr. Unmittelbar zuvor erfolgt unsere ganz spezielle Jahresbilanz: Leserinnen und Leser treffen sich und diskutieren mit Gleichgesinnten aus dem gesamten europäischen Raum. Spannende Vorträge von Linken aus aller Welt können ohne Sprachbarrieren verfolgt werden.

    Diesmal erwarten wir Philosophen, Umweltschützer, Politiker und Künstler aus Afrika, aber auch Gäste aus China und Kuba. Venezuela wird eine große offizielle Delegation entsenden: Neben Vladimir Acosta und Luis Britto García, die zu den führenden marxistischen Intellektuellen des Landes gehören, sind hochrangige Vertreter der Kommunistischen und der Sozialistischen Partei sowie des Außenministeriums angekündigt. Adel Amer, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Israels, wird ebenfalls da sein.

    Wer mit uns über den europäischen Tellerrand hinausblicken will, sollte sich rasch entscheiden. Zwar können wir im Berliner MOA-Konferenzhotel gut 3.000 Teilnehmende unterbringen. Doch wurden bereits über 1.300 Eintrittsbänder verkauft. Eingerechnet aller Helfer und geladener Gäste sind damit schon vor Weihnachten deutlich mehr als die Hälfte der Plätze vergeben. Wir empfehlen deshalb unseren Leserinnen und Lesern, sich rechtzeitig in jW-Ladengalerie oder auf rosa-luxemburg-konferenz.de die Eintrittsbänder zu besorgen. Sie ersparen sich damit langes Schlangestehen am Veranstaltungstag. Uns hilft das bei der Vorfinanzierung der sehr teuren Konferenz.

    Um die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz ressourcenmäßig abzusichern, genügen allerdings die Eintrittsgelder allein bei weitem nicht. So wäre diese Veranstaltung ohne eine kontinuierlich wachsende Zahl von jW-Print- und Onlineabonnenten nicht durchführbar. Zum einen entstehen die notwendigen internationalen Kontakte erst durch unsere tägliche journalistische Arbeit, die wiederum fast ausschließlich durch Abonnements finanziert wird. Von der inhaltlichen Konzeption der Konferenz bis zur konkreten Umsetzung absolvieren die Kolleginnen und Kollegen von Verlag und Redaktion zudem etliche Sonderschichten. Ihre Kraft reichte aber nicht aus, würden sie nicht von zahlreichen Helferinnen und Helfern unterstützt. Nur so kann dieses wichtigste und größte jährlich stattfindende Symposium der deutschsprachigen Linken (als welches der ehemalige IBM-Chef Deutschland, Hans-Olaf Henkel die Konferenz einstufte) überhaupt stattfinden.

    Abonnieren sollten Sie die junge Welt allerdings vor allem für sich selbst (oder für Ihre Freunde): Präzise Informationen und Analysen der Zeitung helfen zu verstehen, was in der Welt geschieht. Noch nie war das ursprünglich bürgerliche Ideal der Aufklärung so bedroht wie in diesen Zeiten: Rechte Rattenfänger nutzen Unwissenheit und Halbwissen, um weitere Anhänger für ihre reaktionären bis faschistoiden Programme zu gewinnen. Imperialistische Kriege werden als legitimes Mittel verkauft, weltweit die Interessen des europäischen und damit vor allem des deutschen Kapitals durchzusetzen, auch und gerade in Afrika. Um solche Strategien erfolgreich zu bekämpfen, müssen sie zunächst durchschaut werden. Die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz und die Tageszeitung junge Welt sind hervorragende Instrumente dafür.

    Verlag und Redaktion

    Hinweise zu Programm und Vorverkauf: rosa-luxemburg-konferenz.de

  • · Hintergrund

    Wettlauf um Afrika

    Bis auf wenige Ausnahmen ist die deutsche Wirtschaft auf dem Kontinent kaum präsent. Die Investitionen sind gering – das könnte sich zukünftig ändern
    Jörg Kronauer
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    Ein »Migrationszentrum« ist schon da und für die Investitionen deutscher Firmen in Ghana soll es bald vorwärts gehen – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 12.12.2017 in der Hauptstadt Accra

    »Bleibt zu Hause!« So fasste die Deutsche Welle durchaus zutreffend den Tenor der öffentlichen Stellungnahmen zusammen, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am ersten Tag seines Besuchs vor zwei Wochen in Ghana abgab. Zunächst hatte er in einem Interview mit der ghanaischen Tageszeitung Daily Graphic mit Blick auf die zahlreichen in die EU strebenden Menschen aus Westafrika erklärt, die Reise durch die Wüste und über das Mittelmeer sei viel zu gefährlich: »Sie kann mit Gefangenschaft, Misshandlung oder sogar Tod enden.« Das wolle er eindrücklich »den Leuten bewusst machen und sie warnen«. Anschließend eröffnete der Bundespräsident in Accra ein »Migrationszentrum«. Dessen Zweck: Es soll Menschen, die auf dem Weg nach Europa aufgegriffen werden, mit der Aussicht auf Hilfe bei der Jobsuche zur Rückkehr bewegen – und ausreisewillige Ghanaer über Möglichkeiten zur Auswanderung nach Deutschland informieren, die freilich fast nicht existieren. Bei so viel Migrationsabwehr wäre der Hauptanlass für Steinmeiers Westafrikareise fast untergegangen: die Unterzeichnung einer Vereinbarung für die »Reformpartnerschaft«, die es deutschen Unternehmen künftig erleichtern soll, in Ghana zu investieren und damit ihre Stellung in Afrika punktuell wieder zu stärken.

    Sinkende Absatzzahlen

    Ein Blick auf die wirtschaftlichen Aktivitäten deutscher Firmen auf dem afrikanischen Kontinent zeigt rasch: An dem alten kolonialen Verhältnis – die Bundesrepublik bezieht Bodenschätze und setzt dort weiterverarbeitete Waren ab – hat sich im Kern nichts geändert. »Industrieprodukte für Rohstoffe«: So überschrieb das Statistische Bundesamt im Jahr 2015 eine trockene Analyse dieser Handelsströme. In der Tat bestanden die deutschen Afrika-Exporte damals zu mehr als 90 Prozent aus Industrieprodukten, während gut die Hälfte der Importe auf Erdgas und vor allem Erdöl entfiel, weitere fünf Prozent auf Bergbauprodukte. Elf Prozent setzten sich aus unterschiedlichen Agrargütern zusammen, ein Drittel davon Kakao, ein Sechstel Tee und Kaffee. Dabei ist es bis heute – abgesehen von geringeren Verschiebungen, die sich aus Schwankungen der Rohstoffpreise und gelegentlichen Wechseln bei den Erdöllieferanten ergeben – geblieben. Im Süden nichts Neues, könnte man meinen.

    Allerdings muss man, um die Bedeutung etwas genauer einzuschätzen, die Afrika heute für die deutsche Industrie besitzt – als Rohstofflieferant und als Absatzmarkt –, ein paar weitere Aspekte hinzufügen. Nummer eins: Der Kontinent hat für hiesige Firmen relativ an Gewicht verloren. Es gab eine Zeit – das war 1954 –, als Afrika sechs Prozent der BRD-Exporte kaufte. 1970 waren es immerhin noch 4,3 Prozent; 1990 war der Anteil auf 2,4 Prozent gesunken, um bis 2000 weiter auf 1,8 Prozent zu schrumpfen. Seitdem hat er sich bei zwei Prozent konsolidiert. Damit habe der Kontinent »für die deutsche Exportwirtschaft nur eine marginale (…) Bedeutung«, konstatierte das Münchener Ifo-Institut im Dezember 2015 kühl in einer Studie, die es im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) angefertigt hat. Gegenüber der internationalen Konkurrenz hat die deutsche Wirtschaft in Afrika dabei nicht nur stagniert, sie ist sogar zurückgefallen: Hielt sie mit ihren Ausfuhren 1992 noch einen Anteil von 14 Prozent am dortigen Absatzmarkt, so kam sie 2013 nur mehr auf fünf Prozent.

    Aspekt Nummer zwei: Die Bedeutung afrikanischer Bodenschätze für die Rohstoffversorgung der Bundesrepublik darf man im großen und ganzen nicht überbewerten. Die Öl- und Gaslieferungen, die vor allem aus Nigeria, Algerien und Ägypten kommen, inzwischen auch aus Angola und, sofern die Milizen vor Ort es zulassen, noch aus Libyen – machen nur ein Zehntel der entsprechenden deutschen Einfuhren aus. Der größte Teil kommt aus Russland (40 Prozent des Öls, 31 Prozent des Gases), aus Europa (Norwegen, Niederlande, Großbritannien), aus Kasachstan und aus Aserbaidschan. Nicht viel anders sieht es etwa bei den Metallerzen aus. Von den deutschen Einfuhren des Jahres 2014, die sich auf 7,3 Milliarden Euro beliefen, stammten nur 14,7 Prozent (1,1 Milliarden Euro) aus Afrika. Die größten Mengen kommen aus anderen Weltregionen, weshalb die Bundesregierung beispielsweise sogenannte Rohstoffpartnerschaften mit der Mongolei, mit Kasachstan und mit Peru abgeschlossen hat, aber mit keinem afrikanischen Land. Und als der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) kürzlich Alarm schlug, die Ressourcen, die man für Zukunftstechnologien benötige, würden knapp, da ging es zum großen Teil um Bodenschätze, die vor allem außerhalb Afrikas zu holen sind: Um Lithium für Elektroautobatterien, das zu rund 75 Prozent in Australien und Chile gefördert wird und in großen Mengen in Bolivien zu finden ist; daneben um Graphit, bei dem ein einziges Land 70 Prozent des Weltmarkts beherrscht – China.

    Freilich sind die Bodenschätze einiger afrikanischer Länder aus unterschiedlichen Gründen immer noch extrem begehrt. Südafrika beispielsweise spielt eine Sonderrolle. Von dort stammten im Jahr 2014 fast 70 Prozent der gesamten deutschen Erzeinfuhren von dem Kontinent; sie hatten einen Wert von 740 Millionen Euro. Hinzu kamen Metallimporte im Wert von einer weiteren dreiviertel Milliarde Euro. Südafrika besitzt unter anderem 42 Prozent der globalen Chrom- und mehr als 90 Prozent der weltweiten Platinreserven; entsprechend bezieht die Bundesrepublik gut zwei Fünftel ihres Platins und zwei Drittel ihres Chroms von dort. Zu den Platinkäufern gehört unter anderem der BASF-Konzern, der einen Teil des erworbenen Rohstoffs direkt in Südafrika weiterverarbeitet. BASF ist Hauptkunde von Lonmin, einem Platinminenbetreiber, dessen Arbeiter vor fünf Jahren in Marikana gegen miserable Arbeits- und Lebensbedingungen protestierten – bis 34 von ihnen am 16. August 2012 erschossen wurden. Eine Untersuchungskommission gab Lonmin eine Mitschuld daran. Eine Entschädigung haben die Familien der Opfer bis heute nicht erhalten – auch nicht von BASF; das schmälerte schließlich den Profit.

    Auch das Bauxit aus Guinea ist in Deutschland sehr begehrt. Das westafrikanische Land, das mit seinen mehr als zwölf Millionen Einwohnern auf Platz 183 von 188 des Human Development Index (eines »Wohlstandsindikators«) liegt, verfügt über die größten Reserven der Welt. Auch in Guineas Bergbauregionen herrschen miserable Verhältnisse: Bergarbeiter klagen über niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und dadurch verursachte Gesundheitsschäden; Anwohner leiden unter drastischer Verschmutzung von Luft und Wasser. Häufig kommt es zu Protesten, zuletzt im April und im September dieses Jahres; beide Male wurde mindestens ein Demonstrant erschossen. Deutsche Unternehmen beziehen mehr als 95 Prozent des Rohstoffs, den sie zur Herstellung von Aluminium benötigen, von dort. Kobalt wiederum, das zur Produktion von Handys oder Autobatterien benutzt wird, kommt zu einem erheblichen Teil aus der Demokratischen Republik Kongo, die über fast die Hälfte der weltweiten Reserven verfügt. Die Arbeitsbedingungen in den kongolesischen Abbaugebieten sind ebenfalls katastrophal. Laut Angaben von Amnesty International schufteten dort im vergangenen Jahr 40.000 Kinder unter miserabelsten Umständen. Laut Amnesty zählen Volkswagen und Daimler zu den Konzernen, die bislang nur völlig unzureichende Bemühungen unternommen haben, wenigstens Kinderarbeit aus ihren Lieferketten fernzuhalten.

    Sonderrolle Südafrika

    Zurück zu Südafrika. Das Land hat für die Bundesrepublik nicht nur mit seinen Rohstoffen eine Sonderrolle inne. Es ist ihr mit Abstand größter Handelspartner auf dem gesamten Kontinent und ihr wichtigster dortiger Investitionsstandort. Rund ein Drittel des deutschen Afrika-Handels wird mit dem Land abgewickelt, das zudem laut Angaben der Bundesbank zwei Drittel der unmittelbaren und mittelbaren deutschen Direktinvestitionen in Afrika absorbiert hat. Zu den Investoren zählen die großen Autokonzerne VW, Daimler und BMW, die alle schon zu Zeiten der Apartheid beste Geschäfte mit dem Land machten, Daimler übrigens auch mit der Lieferung von mindestens 2.500 Unimogs an die südafrikanische Armee – trotz des UN-Waffenembargos. Damals wurden in den deutschen Werken nicht nur die rassistischen Apartheidpraktiken penibel befolgt; schwarze Gewerkschafter mussten auch damit rechnen, bei Streiks festgenommen und auf den Polizeiwachen gefoltert zu werden. Rheinmetall lieferte neben Munition gleich auch noch eine ganze Munitionsabfüllanlage. Entschädigung für Apartheidopfer haben die deutschen Konzerne natürlich nie gezahlt. Dafür hat Rheinmetall im Jahr 2008 die Mehrheit an der südafrikanischen Rüstungsfirma Denel übernommen. Seitdem beliefert »Rheinmetall Denel Munition« (mit Sitz in Cape Town) Staaten, bei denen die deutschen Rüstungsexportvorschriften zu Komplikationen führen könnten. So hat der südafrikanische Rheinmetall-Ableger den Bau einer Munitionsfabrik im saudischen Al-Khardsch organisiert; er betreut das Werk weiterhin.

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    Neben dem Export setzt die deutsche Wirtschaft in Afrika vor allem auf maximale Ausbeutung – Protestveranstaltung im südafrikanischen Marikana, wo 2012 während eines Streiks bei dem vor allem an BASF liefernden Platinminenbetreiber Lomnin 34 Arbeiter erschossen wurden (Aufnahme vom 16.4.2014)

    Deutsche Unternehmen produzieren in Südafrika, dem am stärksten industrialisierten Land des Kontinents, das sich zudem im Rahmen des BRICS-Staatenbundes an einer eigenständigen Politik versucht, zum einen unmittelbar für den dortigen Markt, zum anderen für den Export in weitere afrikanische Länder. Das bringt viel Geld: Im Jahr 2012 konnten die über 350 deutschen Firmen in Südafrika einen Umsatz von knapp 18 Milliarden Euro erzielen. Ableger deutscher Firmen gibt es in nennenswerter Anzahl sonst nur in Nordafrika – in Ägypten sowie im Maghreb. Dort haben die Investitionen allerdings zumeist einen anderen Charakter: Es geht darum, die niedrigen Löhne zur Produktion für den europäischen Markt auszunutzen. Klassisches Beispiel dafür ist Tunesien. Dort beträgt der Mindestlohn aktuell mit 140 Euro im Monat weniger als die Hälfte desjenigen in Rumänien (320 Euro); zugleich ist der Warentransport per Schiff über das Mittelmeer genauso problemlos möglich wie der Landtransport aus Südosteuropa. In Tunesien gehören – so beschreibt es das Auswärtige Amt unverändert bereits seit vielen Jahren – »Textilien (Vorerzeugnisse)« zu den Hauptimporten aus Deutschland; »Textilien (Enderzeugnisse)« zählen zu den wichtigsten tunesischen Exporten in die Bundesrepublik. Der deutsche Kabelhersteller Leoni, der Kfz-Konzernen zuliefert, ist nach eigenen Angaben größter Arbeitgeber in Tunesien, produziert inzwischen aber auch in Marokko und Ägypten, ebenfalls zu niedrigsten Löhnen. Rund 250 deutsche Firmen lassen zur Zeit etwa 55.000 Menschen in Tunesien schuften. Die bekannteste von ihnen ist Steiff, die in Sidi Bouzid Kuscheltiere produziert. Nur einige hundert Meter vom Firmengelände entfernt steckte sich am 17. Dezember 2010 aus Protest gegen die unerträglichen Lebensbedingungen im Land der 26jährige Gemüsehändler Mohammed Bouazizi in Brand – und löste damit die Revolten zunächst in Tunesien, dann auch in weiteren Staaten aus, die als »Arabischer Frühling« bezeichnet werden.

    Waren die Lebensverhältnisse in den Ländern Afrikas, die Rohstoffe liefern und billige Arbeitskraft stellen, ansonsten höchstens noch deutsche Autos und Maschinen kaufen sollen, dem deutschen Establishment eigentlich immer herzlich egal, so hat sich das in den letzten Jahren etwas verändert: Die Massenflucht nicht nur aus dem Maghreb, sondern vor allem auch aus den Staaten südlich der Sahara macht der Bundesregierung zunehmend Sorgen. Die Zeiten, in denen man Reichtum anhäufen konnte, ohne damit rechnen zu müssen, dass die Opfer der neokolonialen Verhältnisse nicht nur für den deutschen Wohlstand schuften, sondern sich auch über Grenzen hinwegsetzen, um in bescheidenstem Maß an ihm teilzuhaben, sind vorbei. Entsprechend hat die deutsche Migrationsabwehr Hochkonjunktur. Nicht nur das Mittelmeer wird abgeriegelt. Schon seit Jahren werden die Polizeien insbesondere der Sahelstaaten hochgerüstet und trainiert – unter anderem mit einem »Polizeiprogramm Afrika« der bundeseigenen Entwicklungsorganisation GIZ –, werden Länder wie Äthiopien, Eritrea und Sudan über die EU mit Grenztechnologie und mit Mitteln zum Bau von Lagern versorgt, um Flüchtlinge schon möglichst weit im Süden zu stoppen. Doch wird das ausreichen, um Europa abzuschotten? Laut aktuellen Schätzungen wird sich die Bevölkerung Afrikas von derzeit 1,2 Milliarden Einwohnern bis zum Jahr 2050 auf 2,5 Milliarden mehr als verdoppelt haben. »Weit über eine Milliarde Menschen werden künftig einen rationalen Migrationsgrund haben«, erklärte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, am 13. November auf einer Veranstaltung der Hanns-Seidel-Stiftung (CSU): »Der Migrationsdruck auf Europa wird zunehmen.« Reicht nun aber bloße Repression auf Dauer wirklich zur gewünschten Abwehr aus?

    Zukunftsstrategien

    Hier kommen Überlegungen ins Spiel, die im Dezember 2015 das Münchener Ifo-Institut geäußert hat. Sie müssen vor dem Hintergrund des Bevölkerungswachstums südlich der Sahara sowie der geringen Präsenz deutscher Unternehmen in den Ländern zwischen den nordafrikanischen Küstenstaaten und Südafrika verstanden werden. Der Anteil West- und Ostafrikas am deutschen Export ist seit 1990 recht deutlich geschrumpft, derjenige Zentralafrikas ist genauso vernachlässigbar geblieben, wie er es bereits damals war. Der Grund: Die Mittel- und Oberschichten in den dortigen Ländern, die das Geld haben, um teure deutsche Waren zu kaufen, sind zu schmal, als dass sich der Ausbau breiterer Handelsbeziehungen lohnen würde. Doch wenn die Gesamtbevölkerung sich vergrößert, dann wachsen voraussichtlich auch die Mittelschichten; um künftig von ihren Käufen zu profitieren, sollten die deutschen Exporte »von heute circa zwei Prozent des Gesamtvolumens auf drei Prozent im Jahr 2025 und auf fünf Prozent im Jahr 2050« erhöht werden, rät das ifo Institut. Hinzu komme noch ein weiterer Faktor: Mit dem Bevölkerungswachstum nehme auch die Zahl der Erwerbsfähigen zu; bis 2050 könne sie von heute mehr als 400 Millionen Menschen auf gut eine Milliarde steigen. Gleichzeitig sei damit zu rechnen, dass die Lohnkosten »in allen anderen Weltregionen« deutlich stärker stiegen als südlich der Sahara: »Daher ist mit einer deutlichen Zunahme der relativen preislichen Wettbewerbsfähigkeit Afrikas zu rechnen.« Soll heißen: Wer in den 2020er, vor allem aber in den 2030er und den 2040er Jahren weiterhin Niedriglohnproduktion betreiben will, muss sich rechtzeitig in den zuletzt von der deutschen Wirtschaft vernachlässigten Gebieten des Kontinents festsetzen.

    Dazu sollte zuletzt die Reise von Bundespräsident Steinmeier nach Ghana beitragen. Die »Reformpartnerschaft«, die die Bundesrepublik – in Umsetzung der Beschlüsse des G-20-Afrika-Gipfels vom Juli 2017 in Berlin – mit dem Land eingegangen ist, soll vor allem Investitionen erleichtern und damit deutschen Unternehmen den Weg bahnen. Ghana ist keines der wirtschaftlichen Schwergewichte, von denen es südlich der Sahara nur zwei gibt – Südafrika und Nigeria. Es wird allerdings in Wirtschaftskreisen neben etwa der Côte d'Ivoire, Kenia, Äthiopien und Angola zur »zweiten Reihe« afrikanischer Staaten gezählt, in denen sich trotz begrenzter Märkte immer noch attraktive Geschäfte machen lassen. Aber auf der Rangliste der deutschen Handelspartner taucht es erst auf Platz 89 auf – nach Jordanien und knapp vor Honduras, mit Ein- und Ausfuhren in Höhe von jeweils dürftigen 300 Millionen Euro. Das zeigt, wie sehr hiesige Unternehmen afrikanische Staaten südlich der Sahara in ihren Planungen vernachlässigt haben. Dabei hat Ghana – abgesehen von einer kurzen, heftigen Finanzkrise in den Jahren 2014 und 2015 – seit 2006 ein erstaunliches Wachstum erzielt und wird zu den »African Lions« gezählt, einer Gruppe von Staaten wie Äthiopien und Ruanda, deren Wirtschaft rasch wächst. Ghana böte dem deutschen Kapital neben dem viel größeren, aber als eher schwierig geltenden Nigeria wohl gute Chancen.

    Konkurrenten: Frankreich und China

    Ghana ist nicht das einzige Land, in dem Berlin sich bemüht, die deutsche Wirtschaftspräsenz mit Blick auf den künftig wohl wachsenden Markt zu stärken. Einen Vertrag über eine »Reformpartnerschaft« hat die Bundesrepublik nicht nur mit ihm und mit ihrem traditionellen Niedriglohnstandort Tunesien, sondern auch mit der Côte d’Ivoire geschlossen. Das Land, im Westen an Ghana grenzend, gilt als Wirtschaftszentrum des frankophonen Westafrika. Deutschland bezieht zwar Produkte in einem Wert von fast einer Milliarde Euro aus dem Land – überwiegend Rohkakao –, kann aber nur wenig exportieren, so dass die Côte d’Ivoire in der deutschen Außenhandelsstatistik nicht über Platz 75 hinauskommt, ganz knapp vor Liechtenstein. Der Grund? Frankreich verfügt in der Françafrique, seinen ehemaligen Kolonien, trotz aller PR-Behauptungen von Präsident Emmanuel Macron noch immer über enormen Einfluss (siehe junge Welt vom 18.12.2017, S. 12 f.). Berlin kämpft dagegen an, hat den erhofften Durchbruch aber noch nicht erzielt. Das soll nun mit Hilfe der »Reformpartnerschaft« gelingen. Steht das anglophone Ghana im meist französischsprachigen Westafrika ein wenig isoliert für sich, ist – so formuliert es die bundeseigene Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest – die ivorische Hauptstadt Abidjan mit ihrem wichtigen Hafen »gerade dabei, ihre alte Rolle als industrieller Hub für das frankophone Westafrika wiederzuerlangen«: »Von Abidjan aus lassen sich die Länder Burkina Faso, Mali, Niger, Togo und Benin versorgen«. Das passt – in Mali und Niger ist Berlin ja auch anderweitig präsent: mit der Bundeswehr.

    Ob es der Bundesrepublik gelingt, in die Franç­afrique einzubrechen, wird man sehen. Viel Zeit lassen kann sie sich wohl nicht. Im vergangenen Jahrzehnt, in dem die deutsche Wirtschaft allen Appellen zum Trotz nicht so recht in die Gänge kam, ist China zur Nummer eins auf dem Kontinent aufgestiegen. Es ist heute der mit Abstand bedeutendste Handelspartner Afrikas und sein aktuell wichtigster Investor – und es intensiviert seinen Handel und seine Kapitalanlagen weiter. So liefert die Volksrepublik inzwischen etwa 17,3 Prozent der ghanaischen Importe; Deutschland liegt bei 3,9 Prozent. Chinas Investitionen in Ghana wurden zuletzt mit 1,3 Milliarden US-Dollar beziffert, während die deutschen laut Angaben der Bundesbank im mittleren zweistelligen Millionenbereich verharrten. Beijing will im nächsten Schritt den Bau einer 1.400 Kilometer langen Eisenbahnstrecke quer durch Ghana finanzieren, die erstens gewaltige Bauxitvorkommen infrastrukturell erschließen und zweitens das nördliche Nachbarland Burkina Faso anbinden soll. Geplant ist zudem die Errichtung von Wasser- und Solarkraftwerken. Tut China sich mit gewaltigen Infrastrukturprojekten hervor, so haben deutsche Unternehmen in Ghana zuletzt von sich reden gemacht, als sie – eine vom IWF erzwungene Schutzzollsenkung ausnutzend – in großem Stil Hühnerfleisch zu Dumpingpreisen nach Ghana verkauften. Viele einheimische Geflügelzüchter konnten mit den deutschen Fleischkonzernen nicht mithalten und mussten letztlich ihre Betriebe schließen. Dem deutschen Export hat’s genutzt.

  • · Hintergrund

    Welthandelsmacht

    Chinas milliardenschweres Megaprojekt einer »maritimen Seidenstraße« zwischen Ostasien und Europa ist weit vorangeschritten. Diesem Netzwerk von Schiffahrtslinien und Häfen hat die EU wenig entgegenzusetzen
    Burkhard Ilschner
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    Chinesische Waren, chinesische Schiffe, chinesische Häfen. Der Welthandel ist ohne Beteiligung der Volksrepublik undenkbar geworden (Riesenfrachter am Hafen von Qingdao, am Gelben Meer im Nordosten Chinas)

    Die Volksrepublik investiert viele Milliarden, die Bundesrepublik ist in Sorge. Die chinesische »Belt and Road«-Initiative (BRI) veranlasst den deutschen Chefdiplomaten in Beijing, Michael Clauss, zu scharfen Tönen: Das Konzept sei »sinozentrisch«, kritisierte der Botschafter und verlangte im Namen Deutschlands und Europas mehr Mitsprache. Das wirft die Frage auf: Mit welchem Recht?

    Mit der Initiative strebt die Volksrepublik China seit 2013 die Schaffung eines wirtschaftlichen und kulturellen Netzwerks von der eigenen Pazifikküste über Zentralasien, Arabien, Ostafrika und Nahost bis Westeuropa an, dessen Namensgebung eine bewusste Referenz an die alte »Seidenstraße« darstellt: Auch damals schon waren chinesische Waren – darunter eben auch die in Europa begehrte Seide – nicht nur über Land (auf der eigentlichen »Seidenstraße«) durch die Mongolei und Iran bis nach Syrien, sondern auch auf verschiedenen Seewegsrouten über den Indischen Ozean gen Westen bis nach Arabien und Ägypten gelangt. Einzig die bis 1869, dem Jahr der Eröffnung des Suezkanals, ja noch nicht durchgängig bestehende Verbindung zwischen dem Roten und dem Mittelmeer verhinderte eine durchgehenden Transport der Waren per Schiff.

    Im Sommer dieses Jahres hat das »Internationale Maritime Museum Hamburg« in einer eindrucksvollen Sonderausstellung an die kommerziellen und kulturellen Beziehungen zwischen China und Europa entlang der »Maritimen Seidenstraße« zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert erinnert. Die Schau ist eine Leihgabe des chinesischen Guangdong-Museums aus Guangzhou, der Metropole am Perlflussdelta: Es heißt, die vorangegangene Forschungsarbeit habe maßgeblich zur Entwicklung der BRI und zur Wiederbelebung der frühneuzeitlichen Idee eines überseeischen Netzwerks beigetragen.

    In der Volksrepublik erwuchs daraus 2015 ein offizielles Konzept der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission. Es trägt den Titel »Vision und Aktionen zum gemeinsamen Aufbau des Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtels und der Maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts« und prägt damit auch die aktuellen Begriffe: Der »Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel« soll das neue Netzwerk transkontinentaler Landverbindungen sein, der Begriff »Maritime Seidenstraße« meint ein Netzwerk von Schiffahrtslinien und Häfen, an denen chinesische Unternehmen beteiligt sind. Hinter diesem Terminus steht auch, wie es in dem von der Kommission erarbeiteten Papier heißt, die Absicht, »strategische Triebkräfte für die Hinterlandentwicklung« zu fördern, also Kooperationen mit anderen Ländern zum Aufbau einer an den Anforderungen der Hafenwirtschaft orientierten Infrastruktur anzustreben.

    Beide Netze zusammen bilden die besagte »Belt an Road«-Initiative, die in den aktuellen Fünfjahresplan der Volksrepublik integriert wurde. Folgerichtig gilt sie damit als strategische Zielsetzung eigenen politischen Handelns, auch in der Absicht, andere Staaten in ein solches Netzwerk zu integrieren. Sie beschwört den »Geist der Seidenstraße« als historisches und kulturelles Erbe: »Frieden und Zusammenarbeit, Offenheit und Inklusivität, gegenseitiges Lernen und gegenseitiger Nutzen.« Daran wird sich China messen lassen müssen.

    Von der Realität eingeholt

    Der Umstand, dass Züge Container aus China bis nach Duisburg, Hamburg und Rotterdam transportieren, überrascht schon lange niemanden mehr. »China kommt schneller, als manch einer es wahrhaben will« – das formulierte ein Bremerhavener Logistikexperte in den späten 1980er Jahren: An der dortigen Hochschule wurde damals – die Sowjetunion befand sich in der Ära Gorbatschow im Umbruch – aus der Sicht westeuropäischer Hafenbetreiber über die Wiederbelebung der »Transsib«-Eisenbahn zwischen Moskau und Wladiwostok diskutiert. Dabei wurden auch die Möglichkeiten einer Verlängerung der Schienentrasse bis nach China oder eine Beschleunigung der Transporte über den Seeweg geprüft: von Fernost per Großschiff bis ins Mittelmeer und von dort entweder via »Short Sea Shipping« über Gibraltar oder über transalpine Trassen auf dem Landweg nach Nordwesteuropa.

    Etliche dieser 30 Jahre alten Ideen sind heute – zu Lande wie zu Wasser – längst verwirklicht, andere von der Realität längst überholt worden, und das nicht immer zum gesellschaftlichen Nutzen: Erinnert sei hier beispielhaft an den oft beschriebenen, steuerlich hoch subventionierten Gigantismus westeuropäischer und nicht zuletzt deutscher Reeder, den China- bzw. Fernosthandel mit immer größeren Schiffen bis Nordwesteuropa zu organisieren und dabei hiesige Hafenstädte unter Druck zu setzen, ihre Terminals und Wasserwege diesem Vorhaben anzupassen. »Short Sea Shipping« zwischen mediterranen und hiesigen Häfen dagegen ist heute inzwischen meist dem intrakontinentalen Warenaustausch vorbehalten.

    Im Frühjahr dieses Jahres prophezeite der Chef des halbstaatlichen norddeutschen Hafenlogistikers Eurogate, Thomas Eckelmann, der interkontinentale Warenverkehr von Ostasien nach Europa werde sich zunehmend auf den Mittelmeerraum konzentrieren. Daraus sprachen sehr wohl eigene Interessen. Denn für das »Transshipment« genannte Umladen vom Riesenfrachter mit 22.000 Standardcontainern (TEU) auf kleinere »Feeder« im Zuge von »Short Sea Shipping«-Konzepten – verfügt Eurogate über sieben ideale mediterrane Standorte zwischen Zypern und Gibraltar.

    Schon während des Suezkanal-Ausbaus wurden Ausweichoptionen um die Südspitze Afrikas geprüft. Heute, im Zuge des Klimawandels, wird über Routen durch die nicht mehr ganzjährig vereiste Arktis geredet. Nur eines fand nicht statt: eine breite Debatte über neue Konzepte zur Vernetzung einzelner Abschnitte der Ostasien-Europa-Verbindung – zur gegenseitigen Entlastung, zum gegenseitigen Nutzen. Dafür mussten erst die Chinesen ihre Initiative präsentieren.

    Seither wird über die neue »Maritime Seidenstraße« zwar gesprochen, aber noch immer wird das Projekt der Volksrepublik überwiegend nur partikular, aus dem Blickwinkel der eigenen Interessen wahrgenommen, statt es als das zu sehen, was es ist: der Entwurf eines globalen Netzwerks. Und längst geht es dabei nicht mehr nur um Visionen. Das Konzept befindet sich bereits in Umsetzung. »Sinozentrik«-Kritik ist da ebenso fehl am Platze wie der Ruf nach »Mitsprache«. China begreift das Netzwerk der »Maritimen Seidenstraße« als ein Angebot zur Partizipation. Nur die Praxis kann daher zeigen, wie ernst Beijing seinen Hinweis auf die vermeintlichen historischen Werte friedlicher Zusammenarbeit meint.

    Zaudern bei EU und BRD

    Der frühere Bundespräsident Roman Herzog hatte bereits 1998 die (historische) Seidenstraße ein Beispiel für die gelungene Verbindung »grenzüberschreitender Verkehrssysteme mit kultureller Eigenständigkeit und regionalem Selbstbewusstsein« genannt. Daraufhin ging kein Ruck durch die Unternehmer, erfolgte keine eigenständige Initiative von deutscher (oder europäischer) Seite. Die musste erst 15 Jahre später von China ergriffen werden, um die Europäer zu einer Reaktion zu veranlassen.

    Im Juni 2015 beschlossen die EU und China auf ihrem Gipfel in Brüssel, die Kooperation mit der Gründung einer »Konnektivitätsplattform« zu festigen. Damit sollten die »Investitionsoffensive der EU« und die chinesische Seidenstraßen-Initiative verbunden werden. Während allerdings die Volksrepublik die Infrastruktur Zentralasiens und jene für die Schiffahrtslinien auf dem Indischen Ozean für Transporte bis nach Europa im Blick hat, und diese Investitionen in Asien, Mittel- und Osteuropa begehrt sind, beschränkt die EU ihre »Offensive« auf den eigenen Wirtschaftsraum. Offen bleibe, heißt es in einem Papier des in Hamburg ansässigen Deutschen Asien-Instituts vom Dezember 2015, »wie divergierende Interessen zusammengeführt werden können«.

    Brüssel hat sehr wohl zur Kenntnis genommen, dass China bereits vor Ausrufung der BRI mit der sogenannten 16-plus-1-Initiative einen regionalen Kooperationsansatz gestartet hat, der elf EU-Mitgliedsländer und fünf Beitrittskandidaten aus Mittel- und Osteuropa einschließt. Ein Problem wird darin offiziell nicht gesehen.

    Die EU hat zwar den Charakter der BRI als »Entwicklungsstrategie und Rahmenaufgabe«, die auf Zusammenarbeit fokussiert sei, erkannt – aber über die erwähnte »Konnektivitätsplattform« hinaus bleibt es bislang bei floskelhaften Appellen, eine »blaue Partnerschaft« zwischen China und der Europäischen Union zu etablieren. Aktive Partizipation am längst wachsenden Netzwerk ist nicht wahrnehmbar.

    Auch die Bundesrepublik übt sich in Zurückhaltung. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping am 5. Juli in Berlin führte Bundeskanzlerin Angela Merkel lediglich aus, Deutschland habe »positiv die Anstrengungen zu der sogenannten Seidenstraßen-Initiative begleitet«, und äußerte die vage Hoffnung, dass bei einer Beteiligung eine »transparente Ausschreibung« gewährleistet sei. Auf der vom Bundeswirtschaftsministerium ausgerichteten 10. Nationalen Maritimen Konferenz im April dieses Jahres in Hamburg war von Chinas Plan keine Rede, und das, obwohl dort die maritime Wirtschaft versammelt war, um sich über globale Aktivitäten ihrer Branche zu verständigen.

    Derweil pumpt China längst Geld entlang der »Maritimen Seidenstraße« in Häfen, Infrastruktur und punktuell auch in die militärische Absicherung in den Küstenstaaten. Es gibt unterschiedliche Schätzungen über die finanziellen Größenordnungen, letztlich dürfte der Betrag deutlich über der Marke von umgerechnet einer Billion US-Dollar liegen. Finanziert wird dies unter anderem über die 2015 gegründete »Asian Infrastructure Investment Bank« (AIIB), die ihren Sitz in Beijing hat. Der chinesische Staat hält an der Entwicklungsbank, die in Konkurrenz zu den von den USA dominierten Institutionen Weltbank, IWF und Asiatische Entwicklungsbank gegründet wurde, einen Anteil von 26,1 Prozent und besitzt damit ein Vetorecht. Auch die Bundesrepublik und andere EU-Staaten sind daran beteiligt.

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    Die Hauptroute für Frachter auf der »maritimen Seidenstraße«

    China investiert nicht nur über die AIIB, sondern stellt Mittel für ausländische Infrastrukturprojekte auch auf direktem Wege bereit. So hat Beijing etwa den staatlichen »Seidenstraßen-Fonds« mit umgerechnet 20 Milliarden US-Dollar ausgestattet, staatliche Banken sagten weitere 55 Milliarden US-Dollar zu. Im Zentrum von Hongkong, im »China Overseas Building«, residiert mit der »Maritime Silk Road Society« eine Art PR-Agentur mit Vereinsstruktur, in der im Prinzip jeder Mitglied werden kann. Deren besonderes Augenmerk gilt vor allem jungen Berufstätigen und Studenten aus den ASEAN-Staaten, die ermutigt werden sollen, die entwicklungspolitischen Chancen der BRI zu unterstützen. Bislang scheint Beijing sehr genau darauf zu achten, die Kontrolle zu behalten – nicht nur in der AIIB.

    Große Fortschritte

    So oder so, das Projekt der »Maritimen Seidenstraße« zwischen Ostasien und Europa ist inzwischen weit gediehen, wie ein Blick auf die bisherigen Aktivitäten entlang der Route verrät.

    Die Straße von Malakka, eine Meerenge zwischen Sumatra und Malaysia, ist nautisch und wirtschaftlich eine unverzichtbare Verbindung zwischen Südchinesischem Meer und Indischem Ozean, aber auch ein Nadelöhr, das es strategisch abzusichern gilt. Rund um Singapur – der Stadtstaat an der Südspitze der Malaiischen Halbinsel verfügt über den zweitgrößten Hafen der Welt, an dem Chinas Staatsreederei Cosco bereits Anteile besitzt – bauen chinesische Investoren im südostmalaysischen Johor Baru eine riesige Trabantenstadt für wohlhabende Chinesen, Dienstleister und Händler einschließlich einer Bahnverbindung bis Beijing.

    Weil zu einer effektiven Absicherung auch Alternativen gehören, hat China einerseits Indonesien vorgeschlagen, den Bau von knapp 30 modernen Häfen entlang seiner diversen Küsten zu finanzieren. Andererseits soll in Kuantan im Osten Malaysias sowie in Malakka im Westen des Landes und zusätzlich in Kyaukpyu, an der Küste von Myanmar, in weitere Häfen investiert werden. Im benachbarten Bangladesch baut die Volksrepublik den Hafen von Chittagong aus sowie einen neuen Tiefwasserhafen in Sonadia.

    Im Süden Sri Lankas hat China im Juli 2017 den Hafen von Hambantota zu 70 Prozent übernommen, er soll zum Knotenpunkt des künftigen Warenverkehrs zwischen Südostasien und Afrika werden. Indien verfolgt die Aktivitäten mit Skepsis – wegen Sicherheitsbedenken und aus Sorge, ein Aufschwung in Hambantota könne eigene Häfen ins Abseits drängen. Prompt war Indiens Regierungschef Narendra Modi dem erwähnten BRI-Gipfel im Mai ferngeblieben.

    Im Südwesten Pakistans hat die Volksrepu­blik in Gwadar einen Tiefwasserhafen errichtet, der zwar abseits der »Maritimen Seidenstraße«, aber nahe der strategisch wichtigen Zufahrt zum Persischen Golf liegt. Er wird über eine Eisenbahnlinie an Chinas Südwestprovinz Xinjiang angebunden – Gesamtkosten beider Projekte umgerechnet 54 Milliarden US-Dollar – und soll Drehkreuz zwischen Ostasien, Arabien, Afrika und Europa werden. Via Bahnlinie können zudem chinesische Ölimporte transportiert werden, die derzeit noch per Schiff durch die Straße von Malakka müssen. Zur Deckung des eigenen Energiebedarfs investiert China übrigens in Pakistan in die Kohleverstromung.

    Einen kleinen Brückenkopf leistet sich Beijing auf den Malediven, obwohl die Inselgruppe in der globalen Schiffahrtspolitik eher keine Rolle spielt: Der Ausbau des Flughafens und seine Anbindung an die Hauptstadtinsel Malé mittels einer riesigen Brücke wird von China sowohl finanziert als auch technisch realisiert.

    Im tansanischen Bagamoyo, dem die Insel Sansibar vorgelagert ist, entstehen ein supermoderner Tiefwasserhafen, eine Satellitenstadt, ein Flugplatz und ein Industriegebiet. Das Zehn-Milliarden-Dollar-Projekt wird von China und Oman finanziert. Bagamoyo, etwa 60 Kilometer nördlich von Dar-essalam gelegen, soll nach Fertigstellung dieser Projekte mit dem Landesinneren vernetzt sein, von Mosambik bis Kenia sowie bis zur DR Kongo.

    Mit chinesischem Kapital wurde auch ein Schienen- und Straßennetz vom Hafen im kenianischen Mombasa ins Binnenland und zur Hauptstadt Nairobi finanziert. China hat sich im Gegenzug das Recht einräumen lassen, für geschätzte 25,5 Milliarden Dollar nordöstlich von Mombasa den sogenannten Lamu-Komplex zu bauen – einen Megaport mit 32 Liegeplätzen samt angrenzender Industrieareale und neuen Verkehrskorridoren bis in den Südsudan und nach Äthiopien. Auch hier wird die Energieversorgung durch ein Zwei-Milliarden-Dollar-Kohlekraftwerk gesichert.

    Auf dem Weg zum Mittelmeer hat China seit Sommer 2017 auch einen militärischen Stützpunkt – in Dschibuti am Golf von Aden, direkt neben den Marinehäfen anderer Großmächte. Offiziell soll die Militärbasis nur der Pirateriebekämpfung sowie der Unterstützung von UN-Missionen in Afrika dienen.

    Im Mittelmeer selbst hatte China vor einiger Zeit vergeblich versucht, auf Kreta Fuß zu fassen und in Timbaki einen großen Containerhafen zu bauen. Das dürfte sich erledigt haben, seit die Troika die Griechen unter Alexis Tsipras gezwungen hatte, der chinesischen Reederei Cosco den Hafen von Piräus zu überlassen, sozusagen als Brückenkopf im Mittelmeer. Die Chinesen investieren, der Umschlag nimmt zu – aber die Hafenarbeiter sehen sich gezwungen, »grundlegende Rechte« sowie »Arbeitsrechte und Tarifverträge gegen den Investor« zu verteidigen, wie es im Juni dieses Jahres auf einer von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Hamburg organisierten Diskussionsveranstaltung unter Hafenarbeitern hieß.

    Anfang November hat Portugals Ministerin für Meeresangelegenheiten, Ana Paula Vitorino, in Begleitung von drei Dutzend ­Schiffahrtsmanagern in China über eine Beteiligung Portugals an der »Maritimen Seidenstraße« verhandelt. Umgerechnet etwa 2,5 Milliarden US-Dollar soll Beijing unter anderem in den Ausbau der Containerhäfen von Sines, Lissabon und Leixoes investieren: Portugal wolle sich »als globales logistisches Drehkreuz im Atlantik« aufstellen, sagt Vitorino – für China wäre das ein weiterer Brückenkopf auf der Route nach Nordwesteuropa.

    Dort haben chinesische Firmen heute bereits etliche Beteiligungen, so etwa Cosco neben der in Piräus auch in Rotterdam, die SIPG als Hafenbetreiber von Shanghai im belgischen Zeebrügge; und CK Hutchison – ein privater in Hongkong ansässiger Konzern mit engen Bindungen an die KP-Führung in Beijing – sitzt in Rotterdam, Venlo, Duisburg, Felixstowe, Gdynia und Barcelona. Der Versuch eines chinesischen Konsortiums, in Hamburg Fuß zu fassen und einen fünften Containerterminal zu bauen und zu betreiben, ist zwar spontan auf breite Ablehnung gestoßen – erledigt ist die Sache damit aber längst nicht.

    Laut einer Studie der Londoner Investmentbank Grisons Peak stellt China aktuell vier der zehn größten Hafenbetreiber der Welt sowie vier der 20 größten Schiffahrtslinien. Zudem sind fast zwei Drittel der 50 größten Häfen der Welt entweder in chinesischem Besitz oder abhängig von chinesischen Investitionen; 2010 habe das nur für ein Fünftel von ihnen gegolten.

    »China kommt schneller, als manch einer es wahrhaben will.« Wer heute die chinesische BRI als Bedrohung thematisiert, hat eine Entwicklung verschlafen und frühzeitige Prognosen hiesiger Experten nicht ernst genommen. Wenn gegenwärtig über den chinesischen Plan einer »Maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts« geredet werden muss, dann nur, weil Beijing die Chancen einer derartigen Strategie schneller und klarer erkannt und angepackt hat als hiesige Politiker und Logistiker.

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    Eine besondere Konferenz

    Am 13. Januar 2018 werden in Berlin die aktuellen Klassenkämpfe in Afrika erörtert
    Plakatmotiv der XXIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz
    Plakatmotiv der XXIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz

    Obwohl Plakate und Werbematerial für die XXIII. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz noch gar nicht gedruckt sind, wurden bis gestern bereits 734 Eintrittsbänder verkauft – so viele wie noch nie zu diesem Zeitpunkt! Das liegt zum einen daran, dass ein kraftgebender Jahresauftakt für linke Kräfte nötiger ist denn je. Zum anderen gelang es uns, eine ganz besondere Konferenz auf die Beine zu stellen. Deshalb unsere Empfehlung: Bitte rechtzeitig die Eintrittsbänder erwerben!

    Schon immer war ein zentraler Ansatz dieser Veranstaltung, dass Deutschland nicht Europa und Europa nicht die Welt ist. In der Regel gibt es deshalb auch nur ein deutschsprachiges Hauptreferat. In diesem Jahr legen wir den Schwerpunkt auf die Klassenkämpfe in Afrika. Und bleiben dabei unserem Ansatz treu: Nicht vorrangig Europäer sollen die Lagen auf dem Kontinent bewerten, sondern möglichst viele Aktivisten, Politiker und Kulturschaffende aus Afrika selbst zu Wort kommen. Mit Beiträgen des Dichters und Umweltschützers Nnimmo Bassey aus Nigeria, der zudem Träger des Alternativen Nobelpreises des Jahres 2010 ist, des Politikwissenschaftlers und Philosophen Achille Mbembe aus Kamerun und der ehemaligen Sozialministerin Clotilde Ohouochi aus Côte d’Ivoire liefert die Konferenz Fakten und Zusammenhänge, die auch für Analysen und aktuellen Kämpfe hierzulande von größter Bedeutung sind. Das Verhältnis ihrer Länder zu Afrika wird für das revolutionäre Kuba der Journalist Enrique Ubieta und für die Volksrepublik China der Wirtschaftsprofessor Ding Xiaoqin erläutern. Die Vorträge wechseln sich mit kulturellen Beiträgen ab. Auch darüber berichten wir noch ausführlich, so zum Beispiel zum Auftritt des Künstlers Ibrahim Mahama aus Ghana. Er sorgte zuletzt auf der Documenta in Kassel für Schlagzeilen.

    Nicht einfach gestaltete sich in diesem Jahr die Themenfindung für die Podiumsdiskussion, mit der traditionell die Konferenz beendet wird. Wir verständigten uns im Vorbereitungskollektiv auf das aktuelle Thema »Soziale Frage und Flüchtlingselend: Abschied der Linken von der Internationalen Solidarität?« Dazu werden Selma Schacht, Betriebsrätin und Arbeiterkammerrätin der Stadt Wien, Canan Bayram, im Berliner Stadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg direkt in den Bundestag gewählte Abgeordnete der Grünen, Lorenz Gösta Beutin, Historiker und Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke aus Schleswig-Hollstein, und Günter Pohl, Internationalismusverantwortlicher im DKP-Vorstand, diskutieren. Beendet wird die Konferenz gegen 20 Uhr mit einem klaren Bekenntnis zum Internationalismus: Gemeinsamen singen wir die »Internationale«.

    Verlag, Redaktion, Genossenschaft

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    Der gewohnte Terror

    Nigeria: Der Krieg zwischen der Islamistenmiliz Boko Haram und dem von den USA unterstützten Militär fordert Zehntausende Tote
    Christian Selz, Kapstadt
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    Der endlose »Krieg gegen den Terror« fordert in Nigeria unzählige Opfer (Maiduguri, 5. Juni 2017)

    Die grausame Nachrichten aus Nigeria sind zur Gewohnheit geworden. Am Dienstag, so berichtete die Onlinezeitung Premium Times unter Berufung auf örtliche Sicherheitskräfte, tötete ein Selbstmordattentäter in der Stadt Mubi im Bundesstaat Adamawa im Nordosten des Landes mindestens 50 Menschen in einer Moschee. Bei einem weiteren Überfall bewaffneter Milizen wurden ebenfalls am Dienstag mindestens 30 Menschen in der Stadt Numan im selben Bundesstaat getötet. Am Mittwoch schließlich ordnete Nigerias Staatspräsident Muhammadu Buhari eine neue Militäraktion an, allerdings nicht in Adamawa, wo die Armee schon seit Jahren gegen die Islamistenmiliz Boko Haram kämpft, sondern im Bundesstaat Zamfara im Nordwesten des bevölkerungsreichsten Landes Afrikas. Dort hatten mutmaßliche Boko-Haram-Kämpfer in der Vorwoche etliche Ortschaften überfallen und Gouverneur Abdulasis Yari zufolge mindestens 155 Menschen getötet.

    Der »Krieg gegen den Terror«, den Buhari und seine Unterstützer in Washington bereits mehrfach für nahezu gewonnen erklärt hatten, tobt also in voller Intensität weiter. Geändert hat daran auch die massive Hochrüstung der nigerianischen Truppen durch die USA nichts. Die war bereits durch die Obama-Administration deutlich ausgebaut worden. Obwohl sich die US-Regierung über den genauen Umfang stets ausschweigt und schon gar nicht die Zahl ihrer vor Ort aktiven »Militärberater« nennt, versprach Außenminister John Kerry noch kurz vor Ende seiner Amtszeit bei einem Treffen mit Buhari im August 2016 ein »sehr starkes Engagement«. Das zumindest berichtete die Nachrichtenagentur Reuters damals unter Berufung auf einen »hochrangigen US-Offiziellen«.

    Zuvor hatte die Obama-Regierung zwar zeitweilig aufgrund arger Menschenrechtsverstöße des dortigen Militärs Differenzen mit ihren Verbündeten in Nigeria simuliert und vorübergehend gar ein Hubschraubergeschäft blockiert, doch die Bewaffnung der nigerianischen Regierungen, sowohl unter Buhari als auch zu Zeiten von dessen Vorgänger Goodluck Jonathan, riss niemals ab. Dabei war das, was beispielsweise Amnesty International im Juni 2015 über das nigerianische Militär zu berichten wusste, nicht gerade die beste Werbung für vielbeschworene westliche Werte wie Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Von 7.000 Toten in Militärhaft und 1.200 weiteren Hinrichtungen ohne Prozess war die Rede, ebenso von Folter, Massenerschießungen, verhungerten Häftlingen und Tötungen durch den Einsatz chemischer Substanzen in überfüllten Zellen. Die Vorwürfe waren so schwerwiegend, dass Buhari seinen Waffen- und Geldgebern einige Bauernopfer aus den eigenen Reihen bringen musste, ehe die New York Times im Mai vergangenen Jahres vermelden durfte: »US-Militär versöhnt sich mit Nigeria zum Kampf gegen Boko Haram«.

    Wenn das wirklich das Ziel war, hat es offensichtlich wenig genutzt. Die Zahl der Todesopfer seit 2009, als die Islamistenmiliz verstärkt zu Anschlägen überging, geht in die Zehntausende. Der Gouverneur des Bundesstaates Borno, Kashim Shettima, sprach im Februar dieses Jahres laut Premium Times gar von fast 100.000 Toten und zwei Millionen Vertriebenen. Wirkliche militärische Erfolge sind dagegen nicht zu erkennen. Zwar konnten Boko-Haram-Kämpfer immer mal wieder aus von ihnen gehaltenen Gebieten vertrieben werden, doch den Terror beendet hat das nicht. Statt dessen tötet auch das Militär bei seinen Angriffen immer wieder Zivilisten. Im Januar starben beispielsweise über 100 Menschen bei der Bombardierung eines Flüchtlingslagers durch die Luftwaffe.

    Eine politische Lösung des Konflikts ist ebenfalls nicht in Sicht. Die Hintermänner der Miliz sind in einer nordnigerianischen Elite zu finden, die sich vom Süden und der Regierung in Abuja marginalisiert fühlt. Verhandlungen mit ihnen finden nicht statt. Buhari, der sein Land bereits in den 80er Jahren als Militärdiktator geführt hatte, gewann die Wahl 2015 mit dem Versprechen, mit harter Hand gegen die Boko Haram vorzugehen. Von dieser Strategie kann er auch allein deshalb nicht abweichen, weil daran die Unterstützung aus Washington hängt. Und die braucht er, um seinen Hofstaat bei Laune zu halten, in dem die Mittel versacken. Korruption und Vetternwirtschaft innerhalb der Armee sind beileibe kein Geheimnis und wurden am Donnerstag durch die Veröffentlichung des offenen Briefs eines anonymen Soldaten in der Tageszeitung Punch einmal mehr ins Rampenlicht gerückt. Der darin bemängelte desolate Zustand des Militärs – dem Brief zufolge wird teilweise nicht einmal der Sold der Rekruten gezahlt, weil die Mittel veruntreut werden – ist ein weiterer Erklärungsansatz für den Erfolg der Islamisten. Hinzu kommt, dass es in der Region ein großes Angebot an Waffen auf dem Schwarzmarkt gibt, seitdem die USA im Jahr 2011 mit britischer und französischer Hilfe den regionalen Stabilitätsanker Libyen in Trümmer gebombt haben.

    Einsicht ist freilich ausgeschlossen. Statt dessen folgen auf die gewohnten Schreckensmeldungen von Anschlägen stets die gewohnten Regierungsstatements. Die ehemalige Fox-Moderatorin und jetzige Sprecherin des US-Außenministeriums, Heather Nauert, verkündete am Mittwoch, der Anschlag an einem Gebetsort zeige »die brutale Natur der Terroristen«. Derlei »skrupellose Attacken auf unschuldige Zivilisten« würden lediglich Washingtons »Entschluss stärken, dieser Bedrohung in Zusammenarbeit mit unseren nigerianischen und regionalen Partnern entgegenzutreten«. In ähnlicher Form wird das wohl auch künftig noch häufiger zu lesen sein.

    Aus Nigeria zur Rosa-Luxemburg-Konferenz: Nnimmo Bassey, Dichter, Umweltschützer und Träger des Alternativen Nobelpreises 2010, spricht am 13. Januar in Berlin über Nahrungsmittel, Bodenschätze und billige Arbeitskräfte – wie sich Ausbeutung und Umweltverschmutzung für das internationale Kapital rentieren

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    Afrika in Russland

    Bei den Weltfestspielen in Sotschi diskutieren Teilnehmer über antiimperialistischen Kampf in ehemaligen Kolonien
    Roland Zschächner, Sotschi
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    Mitglieder der SWAPO-Jugendliga aus Namibia in Sotschi

    Das Wetter will nicht so richtig mitspielen. Am Dienstag hängen die Wolken tief über Sotschi, wo im Olympiapark die 19. Weltfestspiele der Jugend und Studenten stattfinden. Eigentlich ist die Stadt am Schwarzen Meer eine sichere Bank für mildes Klima bis weit in den Herbst hinein. Doch auch gelegentlicher Nieselregen tut der Stimmung unter den mehr als 20.000 Teilnehmern keinen Abbruch. Sie spazieren auf dem weitläufigen Gelände zwischen den verschiedenen Veranstaltungsorten umher, an denen jede Menge geboten wird, treffen sich zum Plausch und zum Essen oder knüpfen neue Bekanntschaften. Ein Anlaufpunkt ist das Eishockeystadion. Für einige bietet es wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben die Möglichkeit, sich auf Kufen zu stellen und dem schwarzen Puck hinterherzujagen oder sich im Pirouettendrehen zu versuchen. Wer es weniger hektisch angehen möchte, kann aber auch einfach ein paar Runden auf dem gefrorenen Nass drehen. Was allein schon eine wackelige Angelegenheit sein kann.

    Weniger unsicher sind die Teilnehmer der Diskussionen. Der Tag steht im Zeichen Afrikas, eines der jüngsten Kontinente, wie oft betont wird. Jung nicht nur, weil viele Länder erst vor wenigen Jahrzehnten ihre Eigenstaatlichkeit erlangten, sondern vor allem, weil die Bevölkerung von jungen Menschen geprägt ist. Doch ihnen wird ihre Zukunft vorenthalten. »Down with Imperialism« (Nieder mit dem Imperialismus) hallt es deswegen durch den mit fast 100 Menschen vollbesetzten Saal ganz am Ende der »roten Zone«, wo das Programm des mitausrichtenden Weltbundes der Demokratischen Jugend (WBDJ) stattfindet. »Down, down, down!« bekräftigen die Anwesenden ihre Forderung.

    »Heute ist der Afrika-Tag, das muss man auch im kalten Russland spüren«, erklärt die Vorsitzende der Panafrikanischen Jugendunion, nachdem der Vertreter des Jugendverbands der mosambikanischen Frelimo den Saal mit einem Kampflied, in dem die ehemaligen Befreiungsbewegungen des Kontinentes besungen werden, zum Tanzen und Mitsingen gebracht hatte. Auf dem Podium haben zudem Delegierte aus Angola, Namibia und der Demokratischen Republik Kongo sowie von der Frente Polisario, der Befreiungsbewegung der Westsahara, Platz genommen. Sie diskutieren über die Schwierigkeiten, mit denen ihre Generation konfrontiert ist: Von außen werden die afrikanischen Länder von den alten Kolonialmächten bedrängt, eine souveräne Entwicklung ist unter diesen Umständen kaum möglich. Der Kolonialismus lebe so weiter fort. Gleichzeitig sitzen die alten Helden, die für die Befreiung gekämpft haben, in der Regierung; die Jugend hat es daher schwer, selbst Verantwortung zu übernehmen, wie der Vertreter aus Angola vom Jugendverband der seit der Unabhängigkeit regierenden MPLA unterstreicht.

    Einigkeit herrscht über die Notwendigkeit, die Sahrauris in ihrem Kampf gegen die marokkanische Besatzung zu unterstützen. Die Westsahara ist die letzte Kolonie in Afrika. Nach Jahrzehnten unter spanischer Herrschaft wurde das an Bodenschätzen reiche Land 1975 von dem nördlichen Königreich okkupiert. Solidarität sei notwendig, so wie sie Kuba in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gezeigt hatte. Stürmisch ist deswegen der Beifall, als Fernando González, der im Publik saß, auf die Bühne tritt. Er ist einer der »Cuban Five«, die wegen ihrer Tätigkeit als Kundschafter bis zu 16 Jahre in den USA inhaftiert waren. Die Anwesenden feiern ihn als Helden. González, der selbst zwischen 1987 und 1989 als Freiwilliger in Angola mit der MPLA gegen die Truppen des südafrikanischen Apartheidregimes gekämpft hatte, unterstreicht in Sotschi, dass Havanna an der Seite der afrikanischen Länder stehe. »Viva Cuba«, ruft einer der Zuhörer, woraufhin die Anwesenden die sozialistische Insel im Wechsel mit dem Revolutionär Fidel Castro hochleben lassen.

    Der Imperialismus sei in der Offensive, warnt der Vertreter der SWAPO-Jugend aus Namibia. Er verweist auf die Demokratische Republik Kongo, gegen die die USA und die EU Sanktionen verhängt haben, weil die 2016 anstehenden Wahlen vorläufig ausgesetzt wurden. Dabei würden, so der Redner aus Kinshasa, Menschenrechte von den Ländern des Nordens dazu benutzt, den Süden zu destabilisieren. Es gehe um die Sicherung des Zugangs zu den begehrten Ressourcen. »Wir dürfen uns nicht vorschreiben lassen, was wir unter Demokratie zu verstehen haben«, betont die Vorsitzende der Panafrikanischen Jugendunion. Die afrikanischen Länder müssten ihre eigene Definition dafür entwickeln.

    Nett und richtig seien die Parolen, meldet sich ein Zuhörer zu Wort. Aber er erwarte auch Taten, denn die fehlten – vor allem, wenn es um die Belange der Jugend gehe. Obwohl eine »radikale Transformation« der Wirtschaft versprochen werde, seien Arbeitsplätze kaum vorhanden. Ein anderes Problem sei, so der Mann aus Tansania mit Blick auf das Podium, dass unter den sechs Rednern nur eine Frau sei. »Auch in dieser Frage müssen wir mehr können«, fordert er ein. Die Mehrheit der Anwesenden kann ihm nur zustimmen.

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    Der Hunger des Reisbauern

    Und der Hunger des Kapitals: Der Dokumentarfilm »Das grüne Gold« über Landraub in Afrika
    Gerrit Hoekman
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    »Sie sagten, wir hätten kein Recht auf das Land« (Filmszene)

    Der Film beginnt mit Klängen aus Äthiopien. Ein Chor präsentiert zu einer Art afrikanischem Stehbass ein trauriges Lied: »Lasst die Bauern nicht ihr Land verlieren!« klagen drei ältere Männer. Schnitt. Ein Flugzeug landet nachts in Addis Abeba. An Bord der schwedische Regisseur Joakim Demmer. Er ist ans Horn von Afrika gekommen, um nach dem grünen Gold zu forschen oder besser gesagt, danach, wie es geschürft wird.

    Millionen Äthiopier sind auf Lebensmittelhilfe der UN und anderer Organisationen angewiesen. Gleichzeitig erzielen ausländische Investoren dort auf ihren riesigen Farmen mit modernen Methoden beste Ergebnisse und verkaufen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse gewinnbringend nach Europa, Nordamerika oder an den arabischen Golf. »Warum exportiert ein Land, in dem Millionen Menschen hungern, Lebensmittel in die Welt der Reichen, in unsere Welt?«, fragt Demmer fassungslos aus dem Off.

    Investoren haben die Landwirtschaft als ausgezeichnete Möglichkeit entdeckt, Gewinne zu erzielen. In den vergangenen Jahren haben die Lebensmittelpreise angezogen, ist die Nachfrage alleine durch das Anwachsen der Erdbevölkerung gestiegen. »Seit 2008 begannen institutionelle Anleger wie Versicherungen, Aktien- und Hedgefonds und Pensionskassen, Landwirtschaft als echtes Kapital zu betrachten«, lässt Demmer den Vermögensverwalter Paul McMahon aus New York erklären. So wie vorher Immobilien oder die Forstwirtschaft in den Fokus der Kapitalisten geraten sind.

    Der Agrarkonzern Saudi Star zum Beispiel lässt in Äthiopien Reis anbauen. Nicht zur Ernährung der darbenden Bevölkerung, der saudische Konzern produziert nicht für den heimischen Markt, angebaut wird Basmati. »Der ist sehr teuer«, gibt Farmmanager Bedilu Abera zu. »Der ist nur für die Reichen.« Demmers Kommentar: »Für Äthiopien, ein Land, in dem längst nicht jeder satt wird, ist das geradezu absurd.«

    Die äthiopische Regierung will Armut und Hunger bekämpfen, und setzt dabei auf ausländische Investoren, die eines Tages vier Millionen Hektar Ackerland bewirtschaften sollen. Demmer fährt gemeinsam mit dem äthiopischen Umweltjournalisten Argaw nach Gambela, wo Saudi Star den Boden pflügen lässt. Mitten in einem Naturschutzpark.

    Bulldozer kamen, um Wald zu roden, Kleinbauern mussten verschwinden. Demmer besucht sie in ihren Dörfern. »Wir hatten alles, was wir brauchten. Wir gingen in den Wald und fanden essbare Wurzeln«, erinnert sich Okello, einer von ihnen. »Wir ernteten im Wald Honig, den wir auf dem Markt verkauften, um Schulsachen für die Kinder zu kaufen. Wir führten früher ein gutes Leben.« Dann kam Saudi Star und beanspruchte das Land, die Behörden machten die Drecksarbeit. »Sie sagten, wir hätten kein Recht auf das Land. Wie konnten sie das sagen?« fragt Okello. Hier sind wir aufgewachsen, hier liegen unsere Ahnen begraben.«

    »Als die Saudi Star auftauchte, änderte sich alles«, bestätigt Kleinbäuerin Ajullu resigniert. Sie ist einer von 1,5 Millionen Menschen, die im Rahmen des Agrarinvestmentprogramms der äthiopischen Regierung umgesiedelt werden sollen. Während der Hungersnot in den 1980ern, als die ganze Welt entsetzt auf Äthiopien schaute, starben 400.000 Menschen. »Aber der Hunger ist nicht verschwunden«, sagt Argaw. »Millionen von Menschen sind heute auf Lebensmittelhilfe angewiesen.«

    Saudi Star gibt einigen der landlos gewordenen Bauern Arbeit auf der Großfarm. Als Tagelöhner. Ein Assistent der Saudi-Star-Farm lobt die sozialen Wohltaten seines Arbeitgebers in den höchsten Tönen, verweist auf Wohncontainer, in denen die Landarbeiter hausen. Der Konzern biete ihnen Essen und medizinische Versorgung. Es gibt einen Fußballplatz, bald vielleicht einen Swimmingpool. »Es ist sehr schön hier«, sagt der Mann, und glaubt: »Der Lebensstandard ist so hoch wie in Europa.«

    Widerspruch gegen die Investmentpolitik duldet die Regierung nicht. »Wenn man sich gegen die Investitionen ausspricht, wird man als Entwicklungsgegner gebrandmarkt«, sagt Umweltjournalist Argaw. »Und man kann sehr schnell im Gefängnis landen.« Er selbst wurde während der Dreharbeiten in der Provinzhauptstadt verhaftet. Bei der Freilassung riet ihm die Polizei, sich besser nicht mehr blicken zu lassen, wenn ihm sein Leben lieb sei. Argaw und Demmer müssen die Stadt Richtung Addis Abeba verlassen, Argaw schließlich sogar das Land.

    »Die Einheimischen haben beschlossen, die Sklaven dieser großen Investoren zu bleiben«, sagt ein Wildhüter des Nationalparks, der nun Ackerland wird. »Sie arbeiten nun als Tagelöhner auf dem Land, das einst das ihre war«, bemerkt der Film. Viele landlose Bauern flohen über die Grenze in den Südsudan, wo sie jetzt in Flüchtlingslagern leben. Die Stimmung nach dem Film beschreibt das Presseheft sehr gut: »Fassungslosigkeit über das Paradox machte bald einem anderen Gefühl Platz – Wut«.

  • · Hintergrund

    Afrika im Fokus

    Die Bundesregierung will im Rahmen ihrer G-20-Präsidentschaft die Geschäftsbeziehungen zum südlichen Kontinent verbessern. Die Europäische Union drängt auf neue Freihandelsabkommen. Aber die lokalen Regierungen verhalten sich längst nicht mehr so willfährig, wie Diplomaten das bisher gewohnt waren
    Wolfgang Pomrehn
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    Nicht nur von seiten der Bevölkerungen sieht sich die EU mittlerweile mit Widerstand gegen die sogenannten Ökonomischen Partnerschaftsabkommen (EPA) konfrontiert. Auch die Regierungen vieler afrikanischer Ländern sind mittlerweile selbstbewusster geworden (Proteste vor dem Büro der Europäischen Union in Nairobi, Kenia, 24.1.2007)

    Die Bundesregierung hat sich während ihrer G-20-Präsidentschaft einiges vorgenommen. »Compact with Africa« (Partnerschaft mit Afrika) nennt sie eine Initiative, mit der die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Kontinent ausgebaut werden sollen. Die Erwartungen sind groß. »Der Afrika-Fokus der deutschen G-20-Präsidentschaft bietet eine historische Chance, die Rahmenbedingungen auf dem afrikanischen Kontinent Schritt für Schritt zu verbessern und so die Entwicklung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln voranzutreiben«, meinte Mitte Juni in Berlin Stefan Liebing, seines Zeichens Vorsitzender des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft.

    Den Mann treibt offenbar eine gewisse Torschlusspanik um: »Im September wird in Deutschland gewählt, und im nächsten Jahr gibt Deutschland die G-20-Präsidentschaft an Argentinien ab. Wenn es bis dahin nicht gelungen ist, die Rahmenbedingungen für Geschäfte in und mit Afrika signifikant zu verbessern, dann wäre die Chance für erfolgreiches Wachstum in Afrika mit deutscher Beteiligung eindeutig vertan.« Hört sich ganz so an, als fürchtet da jemand, beim Rennen um die Logenplätze zu kurz zu kommen.

    Konkurrent China

    Einer der Gründe für diese Eile ist sicherlich die Angst vor der chinesischen Konkurrenz. Westeuropa und die USA hatten in den 1980er und 1990er Jahren die afrikanischen Länder mit Hilfe des Schuldenregimes des Internationalen Währungsfonds solange ausgeblutet, bis der Kontinent im Welthandel vollkommen marginalisiert war. Im Gegensatz dazu baut die chinesische Regierung seit knapp zwei Jahrzehnten ihre Beziehungen mit den »Parias« nach und nach auf. Gemeinsame Erfahrungen im Kampf gegen die einstigen Kolonialmächte waren dabei sicherlich hilfreich. China hat zum Beispiel der Afrikanischen Union 2012 in Addis Abeba ein neues Hauptquartier gebaut und seinen Handel mit der Region von rund zwei Milliarden US-Dollar im Jahre 2000 auf 220 Milliarden Dollar im Jahre 2014 verzwanzigfacht.

    Seit 2009 ist die Volksrepublik für die meisten afrikanischen Länder noch vor der EU und den USA der wichtigste Handelspartner. Chinesische Unternehmen werden mit der tatkräftigen Unterstützung ihrer Regierung auf dem Kontinent immer aktiver. Rund eine Million chinesische Geschäftsleute leben derzeit zwischen Mittelmeer und Kap der Guten Hoffnung. Chinesische Unternehmen bauen Eisenbahnen in Äthiopien, Nigeria und Kenia, rüsten nordafrikanische Staaten mit Mobilfunknetzen aus und errichten Windkraftanlagen in Nigeria, Südafrika und Äthiopien.

    Noch liegen die kumulierten Investitionen der EU und der USA weit vor den chinesischen, aber der Abstand verkleinert sich zunehmend. Im Jahre 2000 machte Chinas in Afrika angelegtes Kapital nur zwei Prozent des dortigen US-Kapitalstocks aus. Im Jahre 2014 waren es bereits 55 Prozent. Laut des Anfang Juni veröffentlichten »World Investment Reports« der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) stieg das Inventar der US-amerikanischen Investitionen in Afrika von 55 Milliarden US-Dollar im Jahre 2010 moderat auf 64 Milliarden US-Dollar im Jahre 2015. Im gleichen Zeitraum legte der Bestand chinesischer Investitionen um 170 Prozent von 13 auf 35 Milliarden US-Dollar zu. Damit ist die Volksrepublik zur Zeit noch die Nummer vier hinter den USA, Großbritannien und Frankreich, dürfte sich aber bei diesem Tempo schon bald an die Spitze der Investoren auf dem Kontinent gesetzt haben.

    Offenbar hat ein regelrechtes Wettrennen um die Gunst der afrikanischen Länder eingesetzt. In vielen von ihnen ist die Wirtschaft in den letzten Jahren kräftig gewachsen. Zum Teil war dies das Ergebnis eines Rohstoffbooms, der inzwischen abgeebbt ist. Unter anderem aufgrund der seinerzeit stark ansteigenden Nachfrage Chinas war der seit den 1970er Jahren anhaltende Preisverfall für Kupfer- und Eisenerz, Bauxit und viele andere Mineralien aufgehalten worden und hatte zeitweise deren Exporteuren seit Mitte des letzten Jahrzehnts reichlich die Kassen gefüllt. Insbesondere hatten auch die Erdölexporteure wie Angola und Nigeria profitiert, wobei der plötzliche Reichtum allerdings der nachhaltigen Entwicklung der heimischen Wirtschaft eher geschadet hat.

    Auch andere, weniger mit natürlichen Ressourcen gesegnete Länder haben ein beachtliches Wachstum hingelegt. Allen voran das an mineralischen Rohstoffen eher arme Äthiopien, eines der bevorzugten Zielländer chinesischer Investitionen. Das Land erlebt seit 2003 einen anhaltenden Boom mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von etwas mehr als zehn Prozent. Zwischen 2000 und 2015 hat sich dort das Bruttonationaleinkommen annähernd verzehnfacht. Umgerechnet auf die Einwohner, ist es in dieser Zeit von 100 auf 590 US-Dollar pro Kopf und Jahr gestiegen. Deutlich aufwärts geht es auch in einigen anderen ostafrikanischen Ländern wie Kenia und Tansania. Allerdings betrug das Wachstum dort meist nur um die sechs Prozent und brach öfter ein.

    In den letzten beiden Jahren war die Entwicklung auf dem Kontinent durchwachsen. Besondere Probleme haben derzeit hingegen die Rohstoffländer, die mit den niedrigen Preisen für ihre Ausfuhren zu kämpfen haben. Deutlich besser ergeht es hingegen Ländern wie Äthiopien (plus 8,3 Prozent), Tansania (7,2 Prozent), Côte d’Ivoire (6,8 Prozent) und Senegal (6,7 Prozent), die allesamt nicht auf den Export mineralischer Rohstoffe fixiert sind. In Klammern jeweils die Wachstumserwartungen der Weltbank für 2017.

    Insgesamt erwartet die Weltbank für die Staaten südlich der Sahara in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,6 Prozent und für 2018 von 3,2 Prozent. Angesichts des weiter hohen Geburtenüberschusses in der Region genügt das kaum, um das – bescheidene – Wohlstandsniveau zu halten. Die momentanen Wachstumsraten, so die Bank in einem Anfang Juni veröffentlichten Ausblick, reichen nicht aus, um die Armut zu verringern.

    Bleibt außerdem die Frage, wer in den besser dastehenden Ländern im einzelnen vom wirtschaftlichen Segen profitiert. Die seit dem Ende des letzten Jahres anhaltenden Unruhen in Äthiopien zum Beispiel deuten eher auf wachsende Ungleichheit, zumindest aber auf Streit um die Verteilung hin. Entzündet hatten sie sich an Plänen, die Landeshauptstadt Addis Abeba auszudehnen. Einwohner, die dafür weichen müssten, beschweren sich über aus ihrer Sicht mangelhafte Entschädigung. Alte ethnische Rivalitäten und ein äußerst autoritärer Regierungsstil trugen ein übriges zur Eskalation bei.

    Großes wirtschaftliches Potential

    Wie dem auch sei, ganz anders als in den beiden verlorenen Jahrzehnten Ende des 20. Jahrhunderts zeigt Afrika heute ein enormes Potential. Zur ökonomischen Dynamik kommt dabei noch das Bevölkerungswachstum hinzu, was zusammengenommen den Kontinent – sollten endlich seine zahlreichen Konflikte eingedämmt werden – nach China und Indien zur übernächsten Lokomotive der kapitalistischen Entwicklung machen könnte. 2014 lebte jeder sechste Erdbewohner in Afrika, 2050 wird es nach den Prognosen der Vereinten Nationen vermutlich jeder vierte sein.

    Diesen vielversprechende Markt hat auch die deutsche Wirtschaft fest ins Visier genommen. Insbesondere erhoffen sich hiesige Hersteller aktuell den Einstieg in die Energieversorgung. Auch hier haben derzeit chinesische Unternehmen die Nase vorn. Im vergangenen Jahr berichtete die Internationale Energieagentur IEA, dass die Volksrepublik gegenwärtig für ein Drittel aller Kraftwerksneubauten südlich der Sahara verantwortlich sei.

    Dort ist noch immer mehr als eine halbe Milliarde Menschen ohne Zugang zum Stromnetz, und in vielen Dörfern wird es sicherlich noch lange so bleiben. Denn aufgrund der überwiegend dünnen Besiedlung vieler Länder ist eine zentralisierte Versorgung meist besonders aufwendig. Abhilfe versprechen jedoch Insellösungen mit Solaranlagen. Die sind inzwischen selbst mit Akkuspeicher so billig, dass sie die günstigste Lösung darstellen. Kostspielige Importe für den Treibstoff von Dieselgeneratoren werden dadurch überflüssig, und viele Menschen, die bisher einen erheblichen Teil ihres Einkommens für Lampenkerosin ausgegeben haben, können dieses nun anders verwenden.

    Derlei Solaranlagen sind allerdings eher kleinteilige Geschäfte, an denen weder deutsche noch chinesische Konzerne ein Interesse haben. Großunternehmen bauen lieber Staudämme wie verschiedene chinesische Firmen am Blauen Nil in Äthiopien oder Gaskraftwerke wie die deutsche Siemens AG in Ghana. Doch noch ist man nicht mit dem Marktzugang zufrieden. »Für den Aus- und Umbau des afrikanischen Energiesektors muss allerdings die Beteiligung privater Investoren am Energiemarkt leichter, sicherer und finanziell attraktiver werden. (…) Die Bundesregierung ist zwar sicher guten Willens – aber immer noch viel zu defensiv«, tadelte Ende April der Afrika-Vereinsvorsitzende Liebing.

    Ihm schwebt analog zu den Hermesbürgschaften für Exporte in Entwicklungsländer unter anderem eine Risikoabsicherung für Entwickler von Energieprojekten vor. Außerdem brauche es »neue Finanzierungs- und Garantieinstrumente«, damit deutsche Unternehmer »den Schritt nach Afrika wagen«, um »die Energiewende zu exportieren«.

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    China ist schon seit langem der wichtigste Wirtschaftspartner vieler afrikanischer Länder und schickt sich an, die USA, Großbritannien und Frankreich bald auch hinsichtlich der Direktinvestitionen zu überholen (Neubau der Eisenbahnstrecke Nairobi­­–Mombasa in Kenia, die kürzlich fertiggestellt wurde, Aufnahme vom 15.10.2015)

    Dabei ist die Bundesregierung durchaus willig. Seit Jahren ist sie wie ihre Vorgängerinnen im Rahmen der Europäischen Union eine der treibenden Kräfte hinter den Verhandlungen über die sogenannten Ökonomischen Partnerschaftsabkommen (EPA). Seit 2007 diskutiert die EU mit zahlreichen Entwicklungsländern über diese Abkommen, die das alte System der Wirtschaftsbeziehungen mit den AKP-Staaten ablösen sollten.

    Bei den AKP-Staaten handelt es sich um 79 überwiegend afrikanische und karibische Staaten sowie die meisten pazifischen Inselstaaten. In der Regel geht es um ehemalige französische und britische Kolonien. Bis 2000 waren sie mit der EU durch die sogenannten Lomé-Verträge verbunden. Seit 2000 bildet das Cotonou-Abkommen den neuen Rahmen. Unter anderem hat der neue Vertrag die bisherigen Privilegien für Agrarexporte aus den AKP-Staaten in die EU 2007 auslaufen lassen. Die Handelsbeziehungen sollen künftig durch die EPAs geregelt werden, die die EU mit den Ländern einzeln bzw. mit regionalen Gruppen aushandelt.

    Sehr weit ist sie damit aber noch nicht gekommen. Zum Teil schleppen sich die Gespräche schon seit zehn Jahren hin. Wie es aussieht, haben die Europäer mit dem gewachsenen Selbstbewusstsein vieler afrikanischer Regierungen zu kämpfen, die sich inzwischen regelrecht umworben fühlen können. China bringt derzeit mit seiner Initiative »One Belt, One Road« (auf deutsch oft »neue Seidenstraße«) ein umfassendes Programm auf den Weg, um in Zentral-, Süd- und Westasien sowie in Ostafrika die Infrastruktur zu erneuern und die Voraussetzungen für einen intensivierten Warenaustausch zu schaffen. Beijing hat dafür bereits einen 100 Milliarden US-Dollar umfassenden Fonds geschaffen, insgesamt ist von einer Billion US-Dollar die Rede, die für zahllose Projekte mobilisiert werden soll.

    Da wollen andere nicht zurückstehen. In­dien, das sich aus alter Rivalität nicht an Chinas Plänen beteiligen mag, versucht gemeinsam mit Japan ein eigenes Investitionsprogramm für die Region rund um den Indischen Ozean auf die Beine zu stellen. Ende Mai hatte Indiens Premierminister Narendra Modi das Jahrestreffen der Afrikanischen Entwicklungsbank genutzt, um seine Initiative, den »Asia Africa Grow th Corridor« (Asiatisch-afrikanischer Wachstumskorridor), zu verkünden. Unter anderem versprach er als ersten Schritt, afrikanischen Ländern Kreditlinien im Umfang von zehn Milliarden US-Dollar zur Verfügung zu stellen.

    Teile und herrsche

    Bei soviel Interesse am Ausbau der jeweiligen Handelsbeziehungen, günstigen Krediten und am Ausbau von Häfen, Eisenbahnen und Flughäfen haben es die afrikanischen Staaten inzwischen leichter, wählerisch zu sein. Deshalb mussten die EU-Handelsdiplomaten etwas konsterniert zur Kenntnis nehmen, dass Tansania Nachverhandlungen im EPA der Ostafrikanischen Gemeinschaft mit der EU fordert. Gemeinsam mit Uganda und Burundi verweigert Tansania die Ratifizierung des Vertrags.

    Die anderen beiden Mitglieder der Gemeinschaft, Ruanda und Kenia, haben diesen Schritt hingegen getan. Kenia war dazu vor knapp drei Jahren regelrecht erpresst worden. Weil Nairobi sich zunächst weigerte, seine Unterschrift unter den Vertrag zu setzen, hatte die EU zum 1. Oktober 2014 Einfuhrzölle auf kenianische Schnittblumen und andere Produkte erlassen. Daraufhin kam es in dem ostafrikanischen Land zu Massenentlassungen. 160.000 Jobs sollen betroffen gewesen sein. Kenias Exporteure hätten bis zu gut drei Millionen Euro an Einfuhrzöllen im Monat auf ihre Waren entrichten müssen, berichtete seinerzeit das Afrika-Programm des US-Senders CNBC. Nairobi knickte nach nur zwei Wochen ein und unterschrieb.

    Doch die tansanische Regierung ist sturer. Die unterschiedlichen Haltungen zur Frage des Abkommens sorgen inzwischen für reichlich Spannungen innerhalb der Ostafrikanischen Gemeinschaft, zumal die Europäer weiter mit Zöllen auf Kenias Agrarprodukte drohen. Der letzte Gipfel der Gemeinschaft, der schließlich im Mai stattfand, war wegen dieser Frage mehrfach verschoben worden. Trotz aller Behauptungen, die Entwicklung Afrikas zu unterstützen, hintertreibt die EU mit ihrer Politik offensichtlich die dortige regionale Integration. Zu erkennen ist das schon an der Tatsache, dass nicht mit der Ostafrikanischen Gemeinschaft als Ganzer verhandelt wird, sondern einzelne Länder unter Druck gesetzt werden.

    Seit 2007 gilt zwischen den sehr ungleichen Wirtschaftsblöcken ein Übergangsabkommen, das die zoll- und quotenfreie Einfuhr von Agrarprodukten aus Ostafrika in die EU ermöglicht, im Prinzip eine Fortschreibung der Lomé-Abkommen. Das EPA sieht die weitere Fortschreibung dieser Regelung vor. Im Gegenzug sollen die ostafrikanischen Staaten ihre Märkte für knapp 83 Prozent der Einfuhren aus der EU öffnen und alle Zölle und Gebühren für diese Waren schrittweise abschaffen. Die Ostafrikanische Gemeinschaft, die eine Zollunion bildet und gemeinsame Außenzölle eingeführt hat, könnte ernsthaft gefährdet werden, sollte Kenia EU-Importe zollfrei ins Land lassen, während andere Mitglieder weiter Zölle erheben.

    Den tansanischen Präsidenten John Pombe Magufuli treiben daher ähnliche Sorgen wie viele Ökonomen Afrikas um. Günstige Industriewaren aus hochentwickelten Staaten könnten eine eigenständige Industrialisierung verunmöglichen. Das Internetportal euractive.de zitierte im Oktober 2014 anlässlich der Verhandlungen zwischen der EU und Kenia entsprechend den zuständigen UN-Wirtschaftsexperten für Ostafrika, Andrew Mold: »Die afrikanischen Länder können mit einer Wirtschaft wie der deutschen nicht konkurrieren. Das führt dazu, dass durch den Freihandel und die EU-Importe bestehende Industrien gefährdet werden und zukünftige Industrien gar nicht erst entstehen, weil sie dem Wettbewerb mit der EU ausgesetzt sind.«

    Auch in Westafrika geht es mit den EPA-Verhandlungen nicht recht voran. Dort stellt sich vor allem Nigeria quer. Dessen Regierung weigert sich standhaft, das sogenannte Partnerschaftsabkommen zwischen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und der EU zu unterzeichnen. Das Abkommen liegt damit für unbestimmte Zeit auf Eis. Die ECOWAS umfasst die westafrikanischen Küstenländer zwischen Nigeria und Senegal sowie Mali, Niger und Burkina Faso.

    Verhandlungen auf Augenhöhe?

    Bundeskanzlerin Angela Merkel versucht inzwischen einzulenken, vermutlich weil sie befürchtet, dass die Wirtschaftsbeziehungen darunter leiden könnten und deutsche Unternehmen im Rennen um die Infrastrukturprojekte den Kürzeren ziehen. Das Cotonou-Abkommen, das den Rahmen für die EPAs bildet, läuft ohnehin zum Ende des Jahrzehnts aus. Im Februar 2020 ist Schluss, und die EU bereitet sich bereits auf Verhandlungen für ein Nachfolgeabkommen vor.

    Vor diesem Hintergrund versprach die Bundeskanzlerin Mitte Juni, dass einige Verträge nachverhandelt werden müssten. Einige von ihnen seien »nicht in Ordnung«, wurde sie von Nachrichtenagenturen zitiert. Die Äußerungen fielen bei einem Treffen mit europäischen und afrikanischen Nichtregierungsorganisationen im Vorfeld des Hamburger G-20-Gipfels. Sowohl hiesige Entwicklungsorganisationen als auch zahlreiche Gruppen aus diversen afrikanischen Ländern hatten seit 2007 die EPAs wegen der einseitigen Vorteile für Exporteure aus der EU massiv kritisiert. Merkel versprach nun, die Nachverhandlungen im Herbst zum Thema auf dem geplanten Gipfel von EU und Afrikanischer Union zu machen.

    Auch danach werden die Gespräche sicherlich weitergehen, und vielleicht gar nicht mehr so sehr über die alten EPAs, die in einem selbstbewussteren Afrika ohnehin kaum noch durchzusetzen sein werden. Vermutlich müssen sich die EU-Unterhändler, geschwächt durch den anstehenden Austritt Großbritanniens, auf afrikanische Diplomaten einstellen, die über die Zeit nach dem Cotonou-Abkommen auf Augenhöhe sprechen wollen.

    Ob die EU darauf gut vorbereitet ist, erscheint allerdings eher fraglich. Davon zeugt auch die Wahl ihres Chefunterhändlers Pascal Lamy für diese neuen Verhandlungsrunden. Dem französischen Diplomaten und Mitglied der dortigen Sozialdemokraten kann man manches nachsagen, aber sicherlich nicht, dass er für die afrikanischen NGOs ein Sympathieträger wäre. Von 2005 bis 2013 war er Generaldirektor der Welthandelsorganisation WTO und davor EU-Handelskommissar. Als solcher hatte er Ende der 1990er Jahre vergeblich versucht, die EU-Interessen in puncto Ausdehnung der WTO-Befugnisse und Verträge sowie Schutzprivilegien für europäische Konzerne bei deren Operationen in den Ländern des Südens durchzusetzen. Schon möglich, dass sich noch der eine oder andere afrikanische Diplomat daran erinnern wird, dass Lamy ein Mann mit der Brechstange ist. Gleichberechtigung unter den Staaten war ihm in den multilateralen Verhandlungen ziemlich lästig, Verabredungen traf er lieber in kleiner Runde, um diese dann dem Rest der Länder als vollendete Tatsachen vorzusetzen. Im US-amerikanischen Seattle biss er sich damit 1999 auf dem legendären WTO-Gipfel an der unnachgiebigen Haltung der afrikanischen Länder die Zähne aus.