Der Zukunft zugewandt
Von Maik Rudolph
Frage: »Chat-GPT, was unterscheidet dich eigentlich von Deep Seek?« Die Antwort kommt prompt: »Wenn du deutschsprachige, kreative, juristische oder westlich-akademische Aufgaben hast: Chat-GPT ist die bessere Wahl. Wenn du tief in chinesische Inhalte, Formeln oder naturwissenschaftliche Standardfragen im Bildungsbereich willst: Deep Seek ist effizienter, aber stilistisch limitiert.« Es folgen noch ein paar Vergleichstabellen, in denen Chat-GPT seine Kreativität gegenüber dem konkurrierenden chinesischen Large Language Model (LLM) in »sachlichem, aber oft nüchternem und auf Fakten getrimmtem« Textverständnis und Stil betont. – Deep Seek setzt einen anderen Schwerpunkt bei der Beantwortung derselben Frage. Es geht um Zugänglichkeit: »Ich bin kostenlos nutzbar, auch für lange Anfragen und Dokumentenanalyse. (…) Wenn du ein leistungsfähiges, kostenloses Modell mit langem Kontextgedächtnis und Dokumentenanalyse suchst, bin ich eine super Wahl!« Ein gewisser Mangel an Kreativität wird auch eingeräumt.
Das Hangzhouer Unternehmen um Lian Wenfeng sorgte zu Beginn 2025 für Wirbel. Mit Deep Seek (DS) ist ein LLM auf dem Markt gelandet, das der US-Konkurrenz von Open AI kaum nachsteht – und zwar ohne den (offiziellen) Zugriff auf die eigentlich als für das KI-Training notwendig erachteten Mikroprozessoren, deren Hauptproduzent Nvidia US-Ausfuhrbeschränkungen nach China unterliegt. Nvidia-Aktien brachen daraufhin um 18 Prozent ein. »China liegt nicht zurück«, so Jensen Huang, CEO des KI-Chip-Marktführers, im Gespräch mit CNBC am 30. April. Der Abstand zu den USA sei klein; während im selben Monat die Trump-Administration die Daumenschrauben angezogen hat und den freien Export der schwächeren H20-Prozessoren für das Unternehmen ebenso beschränkte.
Open AI tut sich schwer, mit dem Erfolg der Konkurrenz klarzukommen. Vorwürfe der sogenannten Wissensdestillation erhob das Unternehmen bereits Ende Januar gegenüber der Financial Times. Vor wenigen Tagen feuerte der Konzern auf seinem Substack-Kanal gegen ein neues chinesisches KI-Projekt: Zhipu AIs smarten Reisebegleiter entlang der »Neuen Seidenstraße«. Das in Beijing ansässige Unternehmen steht in Kontakt mit mehreren Regierungen, um lokale AI-Agents zu verkaufen. Das sind anders als LLMs keine lexikalischen Speicher, die aus ihrem Fundus Analysen und Wissen generieren, sondern proaktive Aufgabenerfüller für je vorbestimmte Zwecke. Hauptkritikpunkt von Open AI ist die Nähe zur KP Chinas, die mit einer staatlichen Förderung von zehn Milliarden Renminbi Yuan (1,2 Milliarden Euro) durchaus gegeben ist. Allerdings ist das im Mai vorgestellte Vorhaben »Open AI for Countries«, Teil des US-Projekts »Stargate«, nicht weniger eine nationale Einflussnahme durch KI-Infrastruktur in Abstimmung mit der Regierung.
Vorteil Planwirtschaft
Open AI spricht in seiner Kritik aber einen relevanten Punkt an: das Vorhaben der KP Chinas, die Vorherrschaft in der KI-Entwicklung bis 2030 zu haben. Vom Konkreten zum Allgemeinen: Bereits 2017 bekannte sich der chinesische Staatsrat mit erwähntem Zieljahr zur »raschen Entwicklung der KI«, die »die Gesellschaft, das Leben und die Welt verändert«, im »Entwicklungsplan für die neue Generation der künstlichen Intelligenz«. KI als strategische Chance, um den »Aufbau einer innovativen Nation und Weltmacht in Wissenschaft und Technologie zu beschleunigen«. Dabei soll der Staat eine regulative Rolle einnehmen, um KI beispielsweise in der Justiz, beim Umweltschutz, der Gesundheitsversorgung, beim autonomem Fahren (BYD und Geely nutzen DS), Supply-Chain-Management, Servicerobotern, in Finanzwesen, Landwirtschaft, öffentlicher Sicherheit, darunter auch Katastrophenschutz, in der Lehre und zivil-militärisch zur Anwendung zu bringen. Die Planungsaffinität eines sozialistischen Gesellschaftssystems wird als Vorteil benannt.
Seit der Ratifizierung am 15. August 2023 ergänzen »Vorläufige Maßnahmen für die Verwaltung von Diensten der generativen künstlichen Intelligenz« die Rahmenmaßgabe für allgemeine KI-Anwendungen – egal, ob aus chinesischer Provenienz oder von anderswo stammend. Diese sind nicht verbindlich für staatliche Forschungsunternehmen oder Lehrbetriebe und Produktionsstätten, die ihre KI nichtöffentlich nutzen. Es geht darin sehr um den Schutz personenbezogener Daten. Skandale unautorisierter Datenakkumulation durch die KIs Qingyan (Zhipu AI) und Kimi (Moonshot AI) werden aktuell untersucht. KI ist des weiteren verpflichtet, »sozialistische Grundwerte« einzuhalten, eben nicht – das wird konkret als Beispiel genannt – zu einem Sturz von Regierung oder politischem System aufzurufen, Sezessionismus, Terrorismus oder Diskriminierung aufgrund von Ethnie, Religion, Geschlecht oder Herkunft zu verbreiten. Fake News, pornographische und Gewaltdarstellungen zählen ebenso dazu.
Kein Werkzeug, sondern Infrastruktur
Geistiges Eigentum zu respektieren wurde dieses Jahr bestärkt mit den im September in Kraft tretenden »Maßnahmen zur Kennzeichnung von AI-generierten synthetischen Inhalten«. Wie bereits im 2023er Maßnahmenpaket geht es auch hier um Kennzeichnungspflicht, nun durch explizite und implizite Label. Erstere können Wasserzeichen, Disclaimer vor und am Ende eines Videos oder einer Audiodatei sein. Implizite Label müssen in den Metadaten hinterlegt werden. Eine Entwicklung, die He Tao, der stellvertretende Leiter des Forschungs- und Ausbildungszentrums der staatlichen Rundfunk- und Fernsehbehörde, am 19. Juni auf dem 27. Internationalen Filmfestival Shanghai lobte. »KI ist kein Werkzeug, sondern eine neue Infrastruktur«, so He, sie transformiere Screenwriting, Synchronisation, Distribution und Filmeffekte. – Ein Angstszenario, das unter anderem den Streik der Gewerkschaft SAG-AFTRA 2023 in den USA befeuert hat. Ein Reizthema, das auch in China noch nicht ausdiskutiert ist. So bestärkte Tian Min, Vorsitzender des Shanghaier Produktionsstudios Canxing, auf dem Festival, »KI sei bloß der Pinsel, Kreativität bleibe die Seele dahinter«. 2026 können wir jedenfalls die internationale Veröffentlichung einer Cyberpunk-Neuauflage von John Woos »City Wolf« namens »A Better Tomorrow: Cyber Border« erwarten, an der nur 30 Menschen beteiligt waren. Alles andere, hieß es bei der Premiere auf dem Festival, habe KI übernommen. Gespräche über Streamingrechte würden momentan mit Netflix und Disney geführt, für die Synchronisation in alle möglichen Sprachen sorgt natürlich auch eine KI. Die China Film Foundation, eine öffentliche Non-Profit-Stiftung zur Filmförderung, arbeite im Moment daran, das Erbe des Kung-Fu-Films aufleben zu lassen und 100 ausgewählte Werke mit KI zu restaurieren und zu modernisieren.
Grundlegende Voraussetzung für die weitere Entwicklung ist die gezielte Ausbildung von Experten. Universitäten sind schon länger dabei, ihre Curricula anzupassen und weniger zukunftsträchtige Studiengänge abzuschaffen. Das Gao Kao 2025, die herausragend schwere und landesweit einheitliche Hochschulaufnahmeprüfung mit über 13,35 Millionen Teilnehmern, hatte engere Sicherheitsauflagen, um Betrug zu verhindern. Einige Provinzen haben es vielleicht etwas übertrieben und setzten KI-Kameras ein, mit dem Blick darauf, ob ein Schüler vielleicht nicht doch zu oft zu seinem Nachbarn schielt. Einen Umgang mit den Bestimmungen haben auch KI-Anbieter gefunden. Qwen von Alibaba, Doubao (Byte Dance), Yunbao (Tencent) und Kimi haben die Bilderkennung deaktiviert oder eingeschränkt für die Prüfungsstunden. Im Unterricht hingegen wird der Einsatz vollumfänglich gefördert, gemäß den aktuellen »Leitlinien für den Einsatz generativer künstlicher Intelligenz in Grund- und weiterführenden Schulen« des Bildungsministeriums: Personalisierung von Lernplänen, Wissensmapping und Feedback beim Lernen, auch Unterrichtsvorbereitung der Lehrer und objektive Benotung sollen durch die neue Technologie unterstützt werden. Ein redlicher Umgang mit Personenrechten wird dabei angemahnt. Schaut man beispielsweise in den 2023er KI-Handlungsleitfaden des Thüringer Kultusministeriums – Bildung ist ja schließlich Ländersache –, ist man der Zukunft eher skeptisch zugewandt: hauptsächlich Warnungen und etwas Seufzen, dass man aber auch nicht in der Vergangenheit leben sollte.Maik Rudolph ist Redakteur dieser Zeitung. Er schreibt über VR China, Popkultur und Filme
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- IMAGO/Pacific Press Agency09.04.2025
Universitäten unter Druck
- Rüdiger Wölk/IMAGO04.11.2024
Digitalisierung heißt Kontrolle
- Brian Snyder/REUTERS16.10.2024
It Can Happen Here
Regio:
Mehr aus: Kapital & Arbeit
-
Algiers Förderband für Erz
vom 09.07.2025 -
Isolation der Taliban durchbrochen
vom 09.07.2025