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Aus: Ausgabe vom 22.12.2025, Seite 11 / Feuilleton
Theater

Auf nach Buchhaim!

Walter Moers’ »Die Stadt der träumenden Bücher« am Hamburger Schauspielhaus
Von Eileen Heerdegen
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»Literatur: abschaffen!«

Beginnen wir mit dem Schlusschor, »Das Leben ist eine Reise in die Fremde«, denn manchmal ist es auch eine Reise zurück. Über 30 Jahre ist meine Zeit auf der anderen Seite, also selten vor und immer hinter der Bühne, her, und plötzlich ist es da, das Heimatgefühl, das ich eine Woche zuvor, auf der Jubiläumsfeier »125 Jahre Schauspielhaus«, gesucht und nicht gefunden hatte. Huhu Olaf! Es ist tatsächlich Inspizient Olaf Rausch, die sanfte Stimme – »Herr Wöhler, Herr Klaußner bitte zur Bühne« – mit über zwei Metern nicht zu übersehen, in einer kleinen Rolle als Dealer, der dem Möchtegernschriftsteller Hildegunst von Mythenmetz »das Blut von echten Dichtern, in denen das Orm kreist« für einen Rausch anbietet, in dem man angeblich ganze Romane halluziniert.

»Käpt’n Blaubär«, »Das kleine Arschloch«, »Adolf die Nazisau« und schließlich die überaus erfolgreichen Zamonien-Romane für junge Menschen – in Comiczeichner, Illustrator und Schriftsteller Walter Moers brennt das »Orm«, die literarische Erleuchtung, entweder von Natur aus lichterloh, oder er war Olafs bester Kunde.

»Buchhaim – Stadt der Träumenden Bücher! Buchhaim – Stadt der darbenden Dichter! Buchhaim – Stadt der farbigen Lichter!« Buchhaim ist ein Teil der Fantasywelt des fiktiven Kontinents Zamonien, und hier auf der Bühne des Schauspielhauses darf man Fantasy tatsächlich mal mit phantastisch und Phantasie gleichsetzen. Auch wenn man den Plot mit Bücherjägern, Schattenkönig und Figuren, die Ojahnn Golgo van Fontheweg heißen, mit einigem Recht für schwachsinnig halten könnte, so funktioniert das Ganze wunderbar. Der ungarische Regisseur Viktor Bodo hat ein energiegeladenes, temporeiches Spektakel inszeniert, bei dem einfach alles passt. Zita Schnabels ausufernde Bühne, eine meterhohe Bibliothekswelt oben, Labyrinthe voller gefährlicher Bücher in düsteren Katakomben unten, die mit passendem Licht (Tamás Bányai) und Mediendesign (Vince Varga) in Szene gesetzt werden, ist ein aufregender Spielort für die acht Männer und Frauen, die ihre immerhin 18 Rollen mit großer Begeisterung ausfüllen.

Hauptfigur Hildegunst von Mythenmetz, im Buch ein Dinosaurier, wird auf der Bühne durch Jan-Peter Kampwirth zur sympathischen Mischung aus britischem Internatszögling aus dem Harry-Potter-Universum und einem jugendlichen Harrison Ford als Jäger des verlorenen Schatzes, mit altklugen Nerd­attitüden und der grenzenlosen Naivität des erfolgreichen Antihelden.

»Ich werde diesen ganzen dekadenten Ballast abschaffen. Die Literatur: abschaffen! Die Musik, die Malerei, das Theater: abschaffen! Alle Bücher verbrennen lassen. Alle Bilder mit Säure abwaschen. Alle Skulpturen zerschlagen. Alle Musikinstrumente verbrennen. Und dann wird Ruhe herrschen. Kosmische Ruhe und Ordnung. Dann können wir endlich aufatmen. Befreit von der Hölle der Kunst. Ich drehe an den Rädern der Geschichte, ich baue mir die Welt, die mir gefällt. Heut bin ich der Herrscher von Buchhaim und morgen der Herrscher der Welt.« Hildegunstens Gegenspieler Phistomefel Smeik (eine Meisterleistung der Maske und dem Kostüm von Eszter Kálmán, von Ute Hannig toll gespielt) bewegt sich aus dem Reich der Phantasie doch gefährlich nah in die Realität, wo die einen 1.500 Jahre alte Buddhastatuen sprengen und die anderen mal eben das Weiße Haus zum Disneyland umbauen.

Kleine Anspielungen für Erwachsene auf den Faust, den Erlkönig und den Verkäufer von Literaturverrissen mit Reich-Ranicki-Akzent erhalten auch bei den Begleitpersonen die gute Laune, aber mit viel Musik (Klaus von Heydenaber) mit Liveband, Tänzerinnen und Tänzern werden die knapp zwei Stunden niemanden langweilen. Wenn sich nach der Premiere der Altersdurchschnitt im Parkett und auf den Rängen dramatisch senken dürfte, wird sicher auch endlich HipHop-mäßig mitgeormt: »Ormt alle mit und hoch die Hände, ormt alle mit und steht mal auf! Ormt alle mit, dann wackeln die Wände! Ormt alle mit im Schauspielhaus.«

»Lebewohl, Hildegunst! Und vergiss nicht: Wenn man große Dinge schreiben will, braucht man große Eindrücke.« Gilt übrigens nicht nur für Autoren.

Nächste Vorstellungen: 22., 25., 26.12.

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