Ein Junge namens Jan
Von Norman Philippen
Kennen Sie schon die Progrockband Die Linke? Ach, das ist gar keine Band, sondern eher eine (progressive) Partei? Je nun, da ist was dran. Jedoch: »Reichinnek, Schwerdtner, van Aken und Pellmann (…) in gewisser Weise ähneln sie wirklich einer Rockband«, schreibt Daniel Bax. Denn: »Die Beatles, Led Zeppelin und The Who, Blur und U2, sie alle bestanden aus vier Mitgliedern.« Stimmt. Allerdings gebe es kaum Bands, die je zur Hälfte aus Männern und Frauen bestünden, das Bandbild muss also präzisiert werden, um unstimmig zu bleiben. Gab es in der schwedischen Popsupergroup ABBA nicht zwei Frauen und zwei Männer? Volltreffer! »So gesehen ist das Führungsquartett der Linken so etwas wie die ABBA der Politik«, schreibt Bax und schlägt gleich noch die Bandbesetzung vor. »Jan van Aken wäre der coole Gitarrist und Ruhepol, der den Refrain anstimmt und die Leitmelodie gekonnt improvisierte. Ines Schwerdtner wäre die Bassistin, die das rhythmische Fundament legte, den unverkennbaren Groove. Und Sören Pellmann wäre der Schlagzeuger, der eher unauffällige Taktgeber im Hintergrund und das solide Rückgrat der Band.« Und Bax deren Roadie. Oder Fanboy? Schwer zu sagen, leider, denn »Parteien und Rockbands lassen sich nur schwer vergleichen«. Aber versuchen kann man es ja?
Mit »Die neue Lust auf links. Woher sie kommen, wohin sie gehen und wie sie unser Land verändern« legt Daniel Bax die erste offizielle Bandbiographie des Führungsquartetts und von dessen jüngst erheblich angewachsener Entourage vor. Mit dem quirligen Quartett und manch anderen Parteiprotagonisten ging der Autor zwecks Recherche auf Tour, pardon, Tuchfühlung. Da kann es passieren, dass Buchtitel sich fast wie von selbst bzw. wie von van Aken ergeben. »Wir sind stärker denn je: Über 81.000 Mitglieder (…) zeigen, dass es eine neue Lust auf links gibt. Eine Lust auf eine Partei, die den Menschen konkret hilft und gleichzeitig klar und deutlich macht …«, frohlockte der coole Gitarrist, quatsch, Linke-Bundesvorsitzende im Februar 2025. Freilich ohne ahnen zu können, dass er dem Goldmann-Verlag damit einen super Buchtitel vorlegen würde.
Vergleiche sind tückisch, passen nicht immer. Albern wäre es, Die Linke in toto mit einer Band zu vergleichen. Macht Bax auch nicht. Denn ließe sich zwar »das aktuelle Führungsquartett mit einer Popband vergleichen, dann ähnelt die Linke als Gesamtpartei vielleicht einer gemischten Fußballmannschaft (…), und der Erfolg der Linken war nur durch den Abgang ihrer ehemaligen Starspielerin möglich, die sich zu lange in egoistischen Dribblings …«. Andererseits heißt es 16 Seiten zuvor, der »Frontfrau Sahra Wagenknecht« blieb mit ihrer »Solokarriere« »der große Durchbruch (…) versagt. Ihre alte Band hingegen formierte sich um und fand als ›Supergroup‹ zu neuer Stärke zurück.« – Eine Band ist Die Linke also nicht, eine Supergroup aber schon?
Nicht zuletzt Vergleiche dieser Art machen Bax’ Versuch, »den Gründen dafür nach(zugehen), wie der Linken ihr fulminantes Comeback gelungen ist«, mitunter zur problematischen, wenig problematisierenden Lektüre. Gelungen scheint vor allem der zweite der vier Buchteile namens »Im Maschinenraum«, der analysiert, wie es ob der Medienstrategie der Partei gelingen konnte, der »AfD die Lufthoheit über Tik Tok und Co. streitig zu machen«. Teil drei behandelt »die etablierten Kräfte der Partei« (Gysi, Ramelow und so), von denen »die Linke lernen« könne und »worauf sie dabei (beim Regieren) achten muss«. Etwa darauf, dass es als »linker« thüringischer Ministerpräsident besser wäre, wie einer von der CDU zu wirken und werken. Der vierte Teil trägt der jüngsten Parteiverjüngung Rechnung, »blickt auf die jungen Linken, die das neue Gesicht der Partei prägen«.
Bis diese aus Bax’ Augen gesehen werden können, müssen die Leser aber erst an den Porträts dreier Helden vorbei. Da ist die »Ikone des Antifaschismus und Feminismus« Heidi, »eine Mischung aus kämpferischer Mittelalterprinzessin und Rächerin aus einem japanischen Anime-Film«, die gleichsam »einfach nur lässig, modisch experimentierfreudig und selbstbewusst« genug ist, auch brisant kritische Fragen zu beantworten. Solche Fragen: »Wann ist Schluss mit weiteren Tattoos?« Die Ines, »ein Hauch von Retro-Chic umweht sie«, »trägt weiße Hipster-Turnschuhe und intellektuelles Schwarz«, sieht dabei trotzdem aus »wie eine französische Schauspielerin, die eine Ressistance-Kämpferin von einst darstellt«. Und unser Jan? »Jan van Aken sieht aus wie eine Mischung aus George Clooney und dem gereiften Sänger einer Punkband.« Beziehungsweise »wie eine Figur aus einem Roman von Sven Regener«. Beziehungsweise »trotz seines Alters und der grau melierten Haare wie ein großer Junge, der das Staunen noch nicht verlernt hat. Was für ein Wahlkampf das war!« Jedenfalls ist der Jan »ein bisschen wie J. Fischer in jung – oder Robert Habeck in unangepasst und wild«. Sören Pellmann hat kein separates Porträt gekriegt, der ist ja nur der Drummer.
Die neue oder alte »Lust auf links« kann vor Buchende wieder vergehen, wem diese nicht aus der Lust an Starpolitikern entspringt. Wer statt einer PR-Broschüre für eine »Kultur der Ansprechbarkeit« eine Analyse der echten auszutragenden Kämpfe der Basis, der großen Konflikte (um Israel, Ukraine, NATO …), des von so vielen Linken derzeit eingeforderten radikalen Wandels erwartet, wird hier garantiert nicht fündig. Die tiktokisierte Medienstrategie von Die Linke allerdings kann hier ganz gut nachlesen, wer Lust darauf hat.
Daniel Bax: Die neue Lust auf links. Woher sie kommen, wohin sie gehen und wie sie unser Land verändern. Goldmann-Verlag, München 2025, 352 Seiten, 20 Euro
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Feuilleton
-
Spritzer an der Wand
vom 22.12.2025 -
Kleine Ferkelkunde
vom 22.12.2025 -
Auf nach Buchhaim!
vom 22.12.2025 -
Geschenke
vom 22.12.2025 -
Nachschlag: In Kolonien gelernt
vom 22.12.2025 -
Vorschlag
vom 22.12.2025 -
Veranstaltungen
vom 22.12.2025