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Aus: Ausgabe vom 15.12.2025, Seite 11 / Feuilleton
Nachruf

Einer, der nie aufgab

Der Schauspieler und Gewerkschafter Rolf Becker ist am Freitag in Hamburg gestorben
Von Arnold Schölzel
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Rolf Becker am 12. April 2025 bei der Verleihung des Rosa-Luxemburg-Preises im Berliner Kino »Babylon«

Am 31. März wurde Rolf Becker 90, und viele Gratulanten waren überzeugt: Wir werden ihn noch viele Jahre sehen und hören, bei antifaschistischen Kundgebungen, bei Solidaritätsaktionen für Palästina und auf Antikriegsdemonstrationen. Am Freitag nachmittag kam die Nachricht: Rolf ist tot. Er wird bei der kommenden Rosa-Luxemburg-Konferenz nicht mehr dabei sein, nicht bei den kommenden Ostermärschen, nicht am 8. Mai bei der Lesung aus von den Nazis verbrannten Büchern in Hamburg, nicht bei den UZ-Friedenstagen Ende August in Berlin, und nicht bei den vielen Veranstaltungen lokaler Initiativen, auf denen er sprach, rezitierte, Mut machte – unermüdlich, in Solidarität mit den Unterdrückten dieser Welt, gegen die Profitschinder, die »Kriegstüchtigkeit« proklamieren lassen, um junge Menschen zu Kanonenfutter zu machen – für Rheinmetall, Hensoldt, KNDS Deutschland, Lockheed Martin, BAE Systems oder Dassault, für die Dividenden von Allianz, Müchner Rück oder Swiss Re, von Blackrock oder Vanguard und weiteren. Ja, Rolf hatte ein klares, für manche ein einfaches Weltbild – es entsprach den Verhältnissen. Als er am 12. April im Berliner Kino »Babylon« den erstmals vergebenen Rosa-Luxemburg-Preis dieser Zeitung und der Kulturzeitschrift Melodie & Rhythmus erhielt, sagte der damalige Verlagsgeschäftsführer Dietmar Koschmieder, Rolf stehe für alle, »die nicht aufgeben, sondern weiterkämpfen«. Die Antwort: »Dieser Preis gehört euch allen. Denn nicht einzelne können Bewegungen auslösen. Sondern umgekehrt bewegen die Massen den einzelnen, der versucht, das zu formulieren und weiterzutragen.«

Es lohnt sich, die Gratulanten, die damals auf der Bühne oder per Schaltung dabei waren, noch einmal zu nennen. Ihre Namen sagen alles über Rolf: Aus Tel Aviv meldete sich der Soziologe Moshe Zuckermann, die Gewerkschafterin Ulrike Eifler hielt die Laudatio, die 96jährige Antifaschistin Antje Kosemund und viele Familienmitglieder würdigten ihn, Andreas Rebers und Band sangen antimilitaristische Lieder von Franz Josef Degenhardt. Eine aus Griechenland angereiste Delegation von Gewerkschaftern und Anti-NATO-Aktivisten erinnerte an seine tatkräftige Solidarität, als das Land vom EU-Finanzkapital ausgepresst wurde, und überreichte ihm eine palästinensische Kufija. Der Einsatz für einen gerechten Frieden in Nahost war für Rolf eine Herzensangelegenheit. Per Audiobotschaft gratulierte Mumia Abu-Jamal aus dem Gefängnis in den USA. Rolf hatte ihn ebenso im Knast besucht und kämpfte für seine Befreiung, wie für die von Christian Klar, der 26 Jahre in deutschen Gefängnissen verbringen musste. Auch er stand auf der Bühne.

Und: Rolf war ein großer, ein weithin anerkannter Schauspieler – die Rede ist von mehr als 200 Film- und Fernsehproduktionen. In seiner Gratulation zum 90. erinnerte der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele an einen Bericht des Deutschlandfunks über Rolf. Er sagt dort 2013: »Ich bin froh, dass ich nicht den Untergang der Gustloff, den Untergang von Dresden, den Untergang von Hitler und so weiter, dass ich da nicht mitspiele, dass ich gar nicht gefragt worden bin. Ich hätte nur vor der Entscheidung stehen können, nein zu sagen. Dann mach’ ich lieber von Derrick bis … das heißt, weiche dann auf den Unterhaltungssektor aus, der auch nicht ideologiefrei ist, aber wo man sich zumindest nicht beteiligt am Verfälschen der Geschichte oder an einem Prozess der Ideologisierung der Bevölkerung, mit dem man nichts zu tun haben möchte.«

Rolf Becker erwarb sich in seinem Beruf, in den Gewerkschaften und der Friedensbewegung immense Autorität. Er fuhr oft dorthin, wo er nicht berichtet haben, sondern selbst sehen wollte, und er organisierte Hilfe: 1975 Vietnam und Laos, 1978 Nicaragua, 1999 das bombardierte Jugoslawien. Zusammen mit seinem Freund Eckart Spoo berichtete er in dieser Zeitung, und Spoo schrieb später: »Seine Glanzleistung war der Transport einer 38 Tonnen schweren Drehbank für den Wiederaufbau der Zastava-Werke – trotz des Embargos, das die NATO über Jugoslawien verhängt hatte. Die Maschine läuft heute noch.«

Rolf war freundlich im Sinne Brechts: zu produktiver Änderung der Zustände helfend. Ulrike Eifler formulierte das in ihrer Laudatio am 12. April so: »Unvergessen sind die gemeinsamen Auftritte von Rolf und Esther Bejarano. Wir haben das Schweigen nach 1945 erlebt, sagten sie bei diesen Auftritten. Wir haben erlebt, wie Naziverbrecher davonkommen konnten – als Richter, Lehrer, Beamte im Staatsapparat und in der Regierung Adenauer. Wir lernten schnell, die Nazis waren gar nicht weg. Dass wir heute, wenn wir im Zusammenhang mit der Zeit des Faschismus über Verbrechen reden, über Massenerschießungen, Konzentrationslager, Antisemitismus, industriellen Massenmord, Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft, haben wir Menschen wie Rolf und Esther zu verdanken, die nicht zuließen, dass nach zwei begonnenen Weltkriegen stillschweigend wieder zur Tagesordnung übergegangen wurde, und die die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis wachhielten.« Rolf schwieg nie zu Unrecht und dessen Wiederkehr. Das wird bleiben.

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  • Leserbrief von Gerd-Rolf Rosenberger, Regine Voß aus Bremen (17. Dezember 2025 um 11:15 Uhr)
    Die Geflüchtetenarbeit lag Rolf tief im Herzen. Mit seiner Sylvia Wempner besuchte uns Rolf mit einer fünfköpfigen Familie aus Afghanistan im März 2016 in Blumenthal, wie wir diese Familie unterstützen könnten. Entsetzt zeigten sich beide nach einem Besuch über die Zustände in dem Riesenzelt, in dem Hunderte Geflüchtete untergebracht waren. Mehrere Stunden saßen wir bei Kaffee und Kuchen zusammen. Unvergesslich bleibt die Solidaritätsveranstaltung in der Cafeteria des Gustav-Heinemann-Bürgerhauses, wo Rolf im November 2016 Heinrich Heine vor 105 Zuhörern las. Es ging um die Wegebenennung von zwei geköpften Kommunisten aus Blumenthal, wo wir über mehrere Jahre vehement zwei Wege forderten, die nach den beiden Blumenthalern Leo Drabent und Hans Neumann benannt werden sollten. Auf dieser Benefizveranstaltung wurden 2600 Euro an Spenden gesammelt, die wir benötigten, damit Dirk Schmidtmann, langjährig tätiger Landtagsabgeordneter der Grünen, ein Betonbauer, die Schilder besorgen und alleine alle vier Wegeschilder installierte. Diese Bündnispolitik liebte Rolf, neben dem Grünen war die Künstlerin und Palästina-Aktivistin Gisela Vormann dabei, der SPD-Mann Dieter Schulze, langjähriger Seniorenvertreter im Land Bremen, der Kommunist Holger Bühling.
    Leo und Hans standen für den Kampf um Frieden und Arbeiterrechte. Nach der Veranstaltung schenkten wir Rolf Becker ein schön gerahmtes Bild von Leo Drabent. Eine Freude und Überraschung wollten wir noch zum Ende dieses Jahres unserem Rolf bereiten. Rolf Becker sollte in Bremen-Nord Fidel Castro lesen. Auf dieser Veranstaltung war vorgesehen, unserem Rolf das »grüne« Wegeschild als Geschenk zu überreichen, das für so viel Furore in Bremen-Nord 2016/2017 sorgte. Auf dem Wegeschild stand: »Leo Drabent Weg, 1899 – 1944, KPD Widerstandskämpfer gegen den Krieg. Hingerichtet von den Nazis im Zuchthaus Brandenburg«. Unvergessen bleibt ein besonderer Mensch, ein Sozialist, den wir nie vergessen werden!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralph Dobrawa aus Gotha (15. Dezember 2025 um 07:26 Uhr)
    Rolf Becker war ein wunderbarer Schauspieler mit Rückgrat und politischer Grundüberzeugung, für die er auch öffentlich eintrat. Das ist in seiner Branche nicht sehr weit verbreitet. Seine freundliche und positive Art hat mir immer sehr gefallen. Vor einigen Jahren unterbrach er ein am Rande einer Veranstaltung gegebenes Fernsehinterview, um sich von meiner Frau und mir zu verabschieden. Das hat uns nachhaltig beeindruckt. Er wird uns sehr fehlen. Ralph Dobrawa, Gotha

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