Abschied für immer
Von Knut Mellenthin
Vorwärts musst du, denn rückwärts kannst du nun nicht mehr.
(Friedrich Schiller, Wallenstein)
Spätestens im November 2027 will die EU den Import von Erdgas aus Russland vollständig beendet haben. So haben es der EU-Rat, in dem die Regierungen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft vertreten sind, und das EU-Parlament am 3. Dezember vereinbart und verkündet. »Provisorisch« wird dieses Übereinkommen genannt, weil die formale Bestätigung durch beide Gremien noch aussteht. Als »permanent« wird die Entscheidung bezeichnet, weil ihre Überprüfung unter geänderten Umständen und ein möglicher Rückweg nicht vorgesehen sind. »Once and for all« lauten die furchtbarsten und dümmsten Worte in der englischen Version des Kommuniqués: Ein für alle Mal soll in zwei Jahren Schluss mit der Einfuhr von russischem Erdgas sein.
Aus den Regierungsparteien erhebt sich eine einsame Stimme des Zweifels. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kann die Logik des Beschlusses nicht nachvollziehen, hält ihn gar für eine Fehlentscheidung, wie er der dpa sagte. Die Entwicklung gehe doch offensichtlich in Richtung eines Waffenstillstands in der Ukraine und damit hoffentlich in eine neue Zeit. »Warum man jetzt so einen Beschluss fassen muss, verstehe ich nicht.«
Aber wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn der Krieg erst einmal beendet ist, sind die psychologischen Voraussetzungen für eine Verewigung des totalen Bruchs mit Russland sehr viel schlechter als heute. Doch genau darauf kommt es aus Sicht der maßgeblichen EU-Politiker an. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, eine Art Regierungschefin der EU, feiert die Sprengung der letzten Brücken als Befreiungsschlag: »Heute treten wir in eine Ära der vollständigen Energieunabhängigkeit Europas von Russland ein. (…) Indem wir Putins Kriegskasse leeren, zeigen wir Solidarität mit der Ukraine und richten unseren Blick auf neue Energiepartnerschaften und Chancen für den Sektor.«
Viel Spielraum für die unterschiedlichen Situationen und Bedürfnisse der EU-Mitgliedsländer lässt das von den stärksten Staaten der Union erzwungene Vorgehen nicht: Der Import von russischem Erdgas in verflüssigter Form (LNG) soll schon ab dem 31. Dezember kommenden Jahres verboten sein. Für Erdgas aus Pipelines gilt der 30. September 2027 als Deadline. Die zugestandene Toleranz für die Abwicklung vertraglich vereinbarter Geschäfte ist extrem gering. Spätestens am 1. November 2027 muss es wirklich für alle vorbei sein.
Damit das garantiert gelingt und niemand die Bestimmungen unbemerkt umgehen kann, werden die überstaatlichen Kontrollmechanismen innerhalb der EU verschärft und perfektioniert. Bis zum 1. März nächsten Jahres müssen alle Mitgliedsländer ihre »nationalen Diversifizierungspläne« präsentieren, aus denen hervorgeht, wie sie künftig ihre Versorgung mit Gas und Öl gestalten wollen. Wer jetzt noch Gasverträge mit Russland hat, muss das der Europäischen Kommission einen Monat nach Inkrafttreten der Beschlüsse vom 3. Dezember mitteilen. Nicht nur beabsichtigte Lieferungen aus Russland müssen während der »Übergangszeit« detailliert angemeldet werden und bedürfen einer Erlaubnis, sondern auch für Importe von nichtrussischem Gas verlangen die EU-Behörden genaue Informationen zu den Herkunftsländern.
Aus den Pressemitteilungen anlässlich der jüngsten Beschlüsse geht hervor, dass der Anteil Russlands am Erdgasverbrauch der Union seit Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 von 45 auf 13 Prozent in der ersten Jahreshälfte 2025 gesunken ist. Dieser Rest stellt einen Wert von rund 10 Milliarden Euro dar. Am Ölimport der EU ist Russland nur noch mit zwei Prozent– statt 27 Prozent vor dem Krieg – beteiligt, und die Einfuhr von russischer Kohle ist schon seit August 2022 vollständig verboten. Die »Unabhängigkeit« zahlt Europa mit Strompreisen, die zu den höchsten der Welt gehören.
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