In aller Heimlichkeit
Von Helga Baumgarten
Der Siedlerkolonialismus im von Israel besetzten Westjordanland schreitet in rasantem Tempo voran. Überall wird Land enteignet, Menschen werden vertrieben, mit täglich größerer Gewalt und inzwischen in aller Offenheit. In und um Bethlehem gehen die Siedlerkolonialisten und die Armee still und leise, aber nicht weniger effektiv als im Rest der Westbank vor. In Beit Sahour wurde eben der Grundstein für eine neue Siedlung, Schdema, gelegt. An dem Ort hatte der südafrikanische Bischof Desmond Tutu in der Ersten Intifada einst der Besatzungsarmee getrotzt und auf dem Hirtenfeld, dem Ort der Verkündigung der Geburt Jesu an die armen Hirten, umgeben von einem Cordon von Soldaten, die Weihnachtspredigt gehalten: vor Hunderten von Christen und Säkularen. Dabei zog er Parallelen zwischen der Apartheid in Südafrika und der Behandlung der Palästinenser.
Schdema hat eine strategische Funktion, da es verschiedene Siedlungsblöcke miteinander verbindet: von Gusch Etzion im Süden bis Har Homa, das schon zu einem Vorort von Jerusalem geworden ist, bis hinunter zu den Siedlungen Richtung Jordantal und Totes Meer. Damit ist der östliche Siedlungsblock um Jerusalem und Bethlehem geschlossen. Und er schneidet palästinensische Dörfer und Städte voneinander ab: Fragmentierung für Palästinenser, gute Verbindungen für Siedlerkolonialisten. Zuerst wird eine Straße gebaut, die Siedlungen untereinander verbindet. Die Begründung ist immer die Sicherheit der Siedler. Resultat ist ein Apartheidstraßensystem: eines für Siedler, ein anderes, mit kilometerlangen Umwegen, für die Palästinenser.
Israels klammheimliche Annexion macht Bethlehem zum Modell illegaler Übernahme von palästinensischem Land: Siedlungen werden expandiert, Land wird konfisziert, Menschen werden vertrieben, und Israel etabliert seine Kontrolle. Besonderheit von Bethlehem: Israel zerstört die letzten christlichen Gemeinden in Palästina. Dieser Prozess ist seit Beginn des Völkermordes in Gaza drastisch beschleunigt worden. Allein 2024 zerstörte die Armee 68 Gebäude in Bethlehem. Das Dorf Khallet an-Nu’man soll vollständig zerstört werden, um für die Siedlerkolonialisten Platz zu machen. 25.000 Dunam (etwa 25 Quadratkilometer) wurden 2024/25 in Staatsland, sprich israelisches Land, »umgewandelt«. Neue Siedlungen wie Nahal Heletz bedrohen die Dörfer Battir und Al-Makhrour, Orte des UNESCO-Weltkulturerbes.
Der Bericht »Israels heimlich vorgenommene Annexion – Bethlehem als das Modell«, am Montag von der »Balasan Initiative for Human Rights« publiziert und im Internet zugänglich, analysiert dies im Detail. Er ist im Kontext des neuen »Kairos-Palästina-Dokuments« zu lesen. »Kairos Palestine« ist eine ökumenische palästinensische Bewegung, die mit dem historischen Dokument »Die Stunde der Wahrheit: Ein Wort des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aus der Mitte des Leidens der Palästinenser« im Jahre 2009 entstanden ist. Damals wandten sich die palästinensischen Christen in ihrer Gesamtheit an christliche Kirchen weltweit mit der Aufforderung, sich klar und offen gegen das Unrecht in Palästina und das System der Apartheid zu stellen.
Das neue Kairos-Dokument vom 14. November, »Die Stunde der Wahrheit: Glaube in Zeiten des Völkermordes«, übertrifft den Brief von 2009 an Schärfe und Radikalität und sollte zur Pflichtlektüre in Deutschland werden, keineswegs nur in Kirchen, sondern an allen Schulen und an Universitäten. Denn hier werden Völkermord, »ethnische Säuberung« und gewaltsame Vertreibung klar beim Namen genannt und analysiert. Die Verfasser stellen den Völkermord in Gaza in den Zusammenhang der Geschichte Palästinas: »Der Völkermordkrieg gegen Gaza ist die Fortsetzung des zionistischen Projektes, ganz Palästina zu erobern und von seiner palästinensischen Bevölkerung zu säubern. (…) Dieser Völkermord wird von Israel verübt nach Jahrzehnten der Apartheid, des Siedlerkolonialismus, der politischen Unterdrückung und der bewussten Politik, jede Möglichkeit einer politischen Lösung – einschließlich der Zweistaatenlösung – zu zerstören.«
Das Dokument übt klare und offene Kritik an den Kirchen und ihren Oberen im Norden. Die Mehrzahl dieser leugnet bis heute den Völkermord, viele verschweigen ihn, andere rechtfertigen, ja unterstützen ihn. Das wird als Kolonialismus und Rassismus angeprangert. Statt dessen muss der Norden, müssen vor allem die Kirchen, alle Völker als gleichwertig anerkennen. Das Dokument endet mit einem »Schrei der Standhaftigkeit«. Das Ziel ist klar: Alle Menschen, »from the river to the sea«, sollen in »wahrem Frieden«, der auf Gerechtigkeit und Gleichheit basiert, miteinander leben können.
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
Ignacio Rosaslanda05.12.2025Garantiert unabhängig
Dawoud Abu Alkas/REUTERS04.12.2025Jeder Stein erzählt eine Geschichte
AP Photo/Jehad Alshrafi03.12.2025Israelische NGOs dokumentieren Genozid
Mehr aus: Ausland
-
Weshalb agieren die Siedler immer brutaler?
vom 06.12.2025 -
Ungesühnte Journalistenmorde in Osttimor
vom 06.12.2025 -
Im Sudan drohen neue Massaker
vom 06.12.2025