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Aus: Ausgabe vom 06.12.2025, Seite 3 / Ausland
Pogrome im Westjordanland

Weshalb agieren die Siedler immer brutaler?

Im Westjordanland deckt die israelische Besatzungsmacht Pogrome gegen Palästinenser, berichtet Eloise Mayer
Interview: Jakob Reimann
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Siedlergewalt in Ramallah im Westjordanland (19.10.2025)

Sie befinden sich in der palästinensischen Gemeinde Ein Al-Duyuk im von Israels Armee besetzten Westjordanland, die wiederholt von israelischen Siedlern angegriffen wird. Wie ist die Lage?

Vor gut zwei Monaten haben israelische Siedler etwa drei Kilometer von Ein Al-Duyuk entfernt einen illegalen Außenposten errichtet. Seitdem haben sie wiederholt das Dorf angegriffen und dabei palästinensische Männer, Frauen und Kinder überfallen, die sie mit Knüppeln und Stöcken verprügelt haben. Die Siedler haben Schmuck, Telefone und selbst Schafe geklaut sowie Solarpaneele für die Stromproduktion zerstört. In den vergangenen Tagen wurden auch internationale Freiwillige angegriffen und ihnen teilweise größere Verletzungen zugefügt. Es gab Tritte in die Rippen oder sehr gezielt auch in den Genitalbereich.

Das geplante Ziel ist die Vertreibung der Menschen aus dem Westjordanland.

Als Folge dieser fast täglichen Angriffe sind bereits viele Familien aus Ein Al-Duyuk geflohen. Auch das Haus der Familie, in dem wir untergebracht sind, wurde vor zwei Wochen fluchtartig verlassen. Überall liegen noch persönliche Gegenstände im Haus.

Wie verhält sich das israelische Militär bei den Angriffen?

Es gibt keinerlei Unterstützung für die Opfer – im Gegenteil! Immer wieder beobachten wir Aktivisten ein Muster aktiver Kollaboration des israelischen Militärs mit den Siedlern. Wenn Palästinenser sich gegen diese Angriffe verteidigen, werden sie oft festgenommen. In der Nacht zum Donnerstag kamen Siedler auf einem Quad durch das Dorf gefahren. Um die Bewohner einzuschüchtern, leuchteten sie mit sehr hellen Strahlern in die Häuser und beschleunigten immer wieder. Danach konnten wir sehen, dass sie direkt zum benachbarten Militärstützpunkt fuhren.

Sie sind Teil der palästinensischen »Faz3a«-Kampagne. Was hat diese sich zur Aufgabe gemacht?

»Faz3a« bedeutet so viel wie »zur Hilfe eilen« – also das schnelle Zusammenkommen in akuten Notsituationen. Dieses Konzept hat eine lange Tradition: Wenn es Bedrohungen von außen gibt, organisiert sich die Gemeinschaft und unterstützt sich gegenseitig. Die Mission der »Faz3a«-Kampagne ist es, ein starkes internationales Solidaritätsnetzwerk aufzubauen und gleichzeitig eine sichtbare Präsenz internationaler Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort zu ermöglichen. Die Organisation liegt bei den Palästinenserinnen und Palästinensern, die in dieser Realität leben und gemeinsam ihren »Sumud«, also ihre Standhaftigkeit gegenüber der Gewalt der Besatzung, verteidigen. »Faz3a« lädt internationale Freiwillige ein, um eine Schutzpräsenz herzustellen. Früher zeigte das auch eine abschreckende Wirkung, doch die Siedler haben faktisch keine Konsequenzen zu befürchten und ihre Angriffe werden immer brutaler. Diese Straflosigkeit führt zu einer weiteren Eskalation der Gewalt.

Die Gemeinde Ein Al-Duyuk liegt nach den Osloer Abkommen in den sogenannten A-Gebieten, in denen die Sicherheit formal der Palästinensischen Autonomiebehörde obliegt. Gibt es seitens der Abbas-Administration Bemühungen, die Menschen im Dorf zu schützen?

Sie wollen hier Kameras installieren sowie einen Zaun und ein Tor errichten. Doch Sicherheitskräfte oder Vertreter der PA haben wir hier noch nie gesehen.

Mit Beginn des genozidalen Vernichtungsfeldzugs in Gaza nach dem Überfall bewaffneter Gruppen vom 7. Oktober 2023 nahm auch die israelische Gewalt im Westjordanland dramatisch zu. Wie bewerten Sie die Bedeutung von Ein Al-Duyuk in diesem größeren Kontext?

Die Menschen hier sind besonders von Annexion bedroht. Die Gemeinde liegt im Jordantal in der Grenzregion zu Jordanien. Aufgrund dieser strategisch wichtigen Bedeutung will die israelische Regierung besonders hier die vollständige Kontrolle erlangen. Gerade wurde hier der Bau einer neuen Sperranlage angekündigt, um das Jordantal de facto vom Rest des Westjordanlands abzuschneiden.

Eloise Mayer (Name geändert) ist Aktivistin für Menschenrechte bei der palästinensischen »Faz3a«-Kampagne und möchte anonym bleiben

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