Faule Bertelsmänner
Von Ralf Wurzbacher
Das hat gesessen. »Bürgergeldempfänger: Viele sind krank, die Hälfte sucht keinen Job.« So ist die Pressemitteilung zu einer am Donnerstag von der Bertelsmann-Stiftung vorgelegten Studie betitelt. Kaum im Umlauf, echote aus deutschen Redaktionsstuben, was man bisher so deutlich nicht sagen durfte. Sind halt doch faul, diese Arbeitslosen. Wenn sogar die »Wissenschaft« das feststellt, muss es ja stimmen. Stimmt eben nicht, wie tags zuvor der Paritätische Wohlfahrtsverband geradegerückt hatte. Dort hatte man eine Ahnung, welche Richtung die Debatte mit der Veröffentlichung nehmen könnte, und warnte deshalb schon im Vorfeld vor »groben Verzerrungen«, die bestehende Vorurteile und Missverständnisse »zusätzlich verstärken« könnten.
Was also will das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) im Auftrag der neoliberalen Denkfabrik im Rahmen einer »repräsentativen Befragung« herausgefunden haben? 57 Prozent hätten in den zurückliegenden vier Wochen »gar nicht nach einem Job gesucht, davon 53 Prozent der Männer und 63 Prozent der Frauen«, heißt es. Selbst unter den aktiv Suchenden investiere der Großteil vergleichsweise wenig Zeit in die Recherche. »Nur 26 Prozent« suchten bis zu neun Stunden pro Woche, gerade einmal sechs Prozent 20 Stunden oder mehr. Nur bei genauerem Hinsehen wird klar: Befragt wurden lediglich Langzeiterwerbslose mit mindestens einem Jahr Leistungsbezug. Über 80 Prozent davon waren schon seit mindestens über zwei Jahren heraus aus dem Berufsleben, 40 Prozent sogar mehr als fünf Jahre. Dass die Betroffenen nach so langer Zeit »entmutigt sind, ist nachvollziehbar«, erklärte der Paritätische in einer Stellungnahme. »Das sagt aber nichts über ›die Bürgergeldbeziehenden‹ insgesamt aus.«
Tatsächlich lässt die Erhebung ausgerechnet jene komplett unberücksichtigt, die am aktivsten auf Jobsuche sind. 40 Prozent der Abgänge aus dem Bürgergeld erfolgen im ersten Jahr nach Arbeitsplatzverlust, wobei die Gruppe rund ein Fünftel der erwerbsfähigen Leistungsempfänger umfasst. Von ihnen wollten die Bertelsmänner einfach nichts wissen. Aber auch mit ihrem Ausschluss ist die These »Die Hälfte sucht keinen Job« nicht haltbar. Laut Studie gibt es triftige Gründe, warum sich Menschen nicht pausenlos bewerben, darunter »Eigenbemühungen werden aktuell nicht verlangt«, Erkrankungen, Pflege von Angehörigen oder die Teilnahme an einer Fördermaßnahme. Allein diese Faktoren treffen auf 59 Prozent der Befragten zu. Von den restlichen 41 Prozent waren gut »73 Prozent in den vier Wochen zuvor auf Jobsuche«, schreiben die IAW-Forscher. Bleiben 27 Prozent vermeintliche Drückeberger. Die aber entsprechen bloß zehn Prozent der begrenzten Stichprobe und noch einmal deutlich darunter der Gesamtheit aller Bürgergeldempfänger.
»Die große Mehrheit derjenigen, die sich bewerben können, tut dies auch«, befand Andreas Aust, Referent Sozialpolitik beim Paritätischen Gesamtverband, am Donnerstag gegenüber jW. Von Wert sei die Studie aber dennoch, weil sie auf erhebliche Defizite der Beschäftigungsförderung hinweise. Demnach haben über 42 Prozent der Befragten über die gesamte Dauer ihres Leistungsbezugs kein einziges Stellenangebot vom Jobcenter erhalten. Ferner sei der Anteil der durch die Arbeitsverwaltung vermittelten Personen zwischen 2014 und 2023 von 14 auf fünf Prozent gefallen. Dabei würden insbesondere Frauen systematisch weniger gefördert, so Aust, der einen Bogen zur Gesundheitsversorgung schlug. »Mit schlimmer werdender Krankheit werden Patienten immer intensiver betreut, vom Hausarzt über den Facharzt bis zur Intensivstation. Bei der Arbeitsförderung läuft es offensichtlich umgekehrt: Je länger jemand arbeitslos ist, desto weniger Unterstützung erhält er.«
Weil die Stiftung aus Gütersloh gerne den Kümmerer gibt, hat sie natürlich Verbesserungsvorschläge parat, von einer »Ausweitung geförderter Beschäftigung« über mehr Weiterbildung, Coaching bis hin zu verstärkter Kinderbetreuung. Das nötige Geld dafür »spart« sich der Staat seit Jahrzehnten – unter maßgeblicher Anleitung der Bertelsmänner. Muss ja keiner wissen.
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