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Aus: Ausgabe vom 05.12.2025, Seite 5 / Inland
Gesundheitspolitik

Mehr zahlen, weniger Leistung

Pflegereform: Eckpunktepapier der Bundesregierung sieht höhere Schwellenwerte und private Zusatzversicherungen vor – Kritiker warnen vor Armutsrisiko im Alter
Von Oliver Rast
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Teurer Altersruhestand – und die Eigenanteile für Pflegebedürftige dürften noch höher ausfallen

Es sind 48 Seiten, 1.453 Zeilen und ein x-Faches mehr an Wörtern. Das Eckpunktepapier zur Pflegereform hat es in sich – und liegt jW vor. Eine Art Vorfassung, ein »politisch noch nicht abgestimmter Entwurf«, steht kursiv und grellgelb unterlegt auf der ersten Seite.

Das Elaborat stammt aus den Facharbeitsgruppen »Versorgung« und »Finanzierung« der Bund-Länder-Arbeitsgruppe »Zukunftspakt Pflege« – dem im Juli von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) installierten Gremium zur »Reform« der sozialen Pflegeversicherung (SPV). Der Zeitplan ist strikt. Ziel ist es, bis Ende 2025 Eckpunkte zu erarbeiten, die ab Januar 2026 in ein Gesetzgebungsverfahren überführt werden sollen.

Besonders pikant: Pflegeeinstufung und Pflegeleistungen. Demnach sollen die sogenannten Schwellenwerte für die ersten drei Pflegegrade angehoben werden. Dabei handelt es sich um Punktgrenzen, die darüber entscheiden, wie stark die Selbständigkeit einer Person eingeschränkt ist und welcher Pflegegrad (1 bis 5) zugeteilt wird. Je höher der Punktwert, desto größer die Pflegebedürftigkeit und desto umfangreicher die Leistungen aus der SPV. Höhere Schwellenwerte gelten dem Eckpunktepapier zufolge vor allem bei Neuanträgen und Höherstufungen.

Ein weiterer Vorschlag: obligatorische oder freiwillige private Zusatzversicherungen zur Pflegefinanzierung. Unter dem Strich sei ein Maßnahmenbündel erforderlich, »um die Versorgung aller Pflegebedürftigen finanziell auch zukünftig zu sichern.« Doch bereits jetzt zahlt ein Pflegebedürftiger im Bundesdurchschnitt im ersten Jahr seines Heimaufenthalts monatlich rund 3.100 Euro – inklusive Zuschüssen der Pflegekassen. Und die Eigenanteile dürften weiter steigen, prognostizieren Branchenkenner.

Was steht noch im Papier? Der Pflegesektor wird nächstens stärker auf Prävention und Rehabilitation getrimmt. Das heißt: Pflegebedürftigkeit soll so lange wie möglich vermieden und zeitlich hinausgezögert werden. Derzeit haben rund sechs Millionen Personen Anspruch auf SPV-Leistungen. 85 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt, teils mit Unterstützung ambulanter Pflegedienste. Mehr als 60 Prozent durch pflegende An- oder Zugehörige. Und nur 15 Prozent der zu Pflegenden werden vollstationär in Einrichtungen versorgt. Mittlerweile sind etwa 1,3 Millionen Erwerbstätige in stationären oder ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten beschäftigt.

Das Abschlusspapier soll am kommenden Donnerstag von Ressortchefin Warken vorgestellt werden, berichtete die Ärztezeitung am Dienstag. Das, was bislang bekannt ist, reicht Sören Pellmann. Denn: Eine Erhöhung der Schwellenwerte »bedeutet nichts anderes als Leistungskürzungen bei steigenden Eigenanteilen«, sagte der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke am Donnerstag gegenüber jW. Pflegende Angehörige würden dadurch noch stärker in prekäre Lebensverhältnisse gedrängt. Eine »neoliberale Schnapsidee« seien zudem private Zusatzversicherungen. Freiwillig extra versichern würden sich ohnehin vor allem jene, die »die geringsten Probleme mit der Finanzierung der eigenen Pflegebedürftigkeit haben werden.«

Apropos Finanzierung: Thomas Klie vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) beklagte unlängst den »rechtswidrigen Zustand«, dass die 3,5 Milliarden Euro, die während der Coronazeit aus dem Budget der Pflegekassen genommen worden waren, nicht aus Steuermitteln an die Beitragszahler der Pflegekassen zurückerstattet würden. Und ein Darlehen von 1,5 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt zur Schließung der SPV-Lücken würde die finanzielle Lage noch verschärfen.

Kurzum, Pflege im Alter sei mehr und mehr zum Armutsrisiko geworden, erklärte jüngst DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Und Hans-Jürgen Urban, Sozialvorstand der IG Metall, kritisierte das Festhalten am Teilleistungssystem. Wirkliche Entlastung brächte eine Bürgerversicherung, »in die auch Beamte, Politiker und Besserverdienende einzahlen und die als Vollversicherung alle pflegebedingten Kosten übernimmt.« Davon ist allerdings in keiner Zeile des Eckpunktepapiers die Rede.

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