»Woke & Wehrhaft«
Von Susann Witt-Stahl
Boris Pistorius hisste anlässlich des Christopher Street Days 2023 im Bendlerblock die Regenbogenfahne. Aus »Solidarität mit Betroffenen, die von der Gründung der Bundeswehr bis ins Jahr 2000 systematisch diskriminiert wurden«, verlautbarte das Bundesverteidigungsministerium – »ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz«. Fotos zeigen Pistorius umringt von Soldaten in »Im Einsatz für QueerBw«-Trikots mit Eisernem Kreuz ebenfalls in den Farben der LGBTQ-Bewegung. An der Universität der Bundeswehr in Hamburg fand im September 2025 eine interdisziplinäre Forschungstagung über »queere Lebenswirklichkeiten« in der Armee statt.
Nicht nur bei Amazon und anderen Großkonzernen – auch bei den Streitkräften wird »Diversität« großgeschrieben. In den Ehrenformationen dürfen weder Frauen noch »People of Color« fehlen, wie vor allem im identitätspolitischen Jargon Menschen mit (potentieller) Rassismuserfahrung genannt werden. Da heute bereits rund ein Viertel der Bevölkerung der BRD einen Migrationshintergrund hat, werden für die geplante Aufstockung der Truppe von gegenwärtig 183.000 auf 460.000 Soldaten bis 2035 alle Register gezogen. Auch an der Ostfront soll es bunt zugehen – später dann, durch die Fleisch-und-Blut-Mühlen gedreht, sehen ohnehin alle gleich aus.
»Ich will eine Bundeswehr, die woke im besten Sinne des Wortes ist, wehrhaft und bis an die Zähne bewaffnet«, erklärte Carlo Masala, gegenwärtig Deutschlands gefragtester Militäranalyst, schon 2022 im Interview mit der Taz und dankte Ursula von der Leyen, in ihrer Zeit als Verteidigungsministerin das »Tor zur Diversität« geöffnet zu haben. Die Feststellung des Interviewers, in der Ukraine »kämpfen queere Menschen gegen die russischen Angreifer«, und dort seien sie »hochrespektiert« wie in den Israel Defense Forces (die »moralischste Armee der Welt« ist Champion im »Pinkwashing« von Kriegsverbrechen), indiziert: »Wokeness« ist mehr als bloß ein Baustein einer Rekrutenwerbekampagne – es ist eine wertewestliche »Soft Power«-Wunderwaffe im imperialistischen Krieg.
Normative Homogenität
Wird diese Ideologie, die nicht zufällig mit einem von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA gekaperten Begriff agiert, in Stellung gebracht, gehe es nicht nur darum, das politische und wirtschaftliche System anderer Länder umzugestalten. Sie solle auch »Grundüberzeugungen untergraben, die über Klassengrenzen hinweg divergieren und von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich sind« – mit dem Ziel, »normative Homogenität« zu fördern, heißt es in der Studie »Woke Imperium« vom Institute for Peace and Diplomacy von 2022. Damit eröffne sie die Möglichkeit zu einer Einmischung, die »so totalitär ist, dass sie einer kulturellen Eugenik gleicht«.
In ihrem Anfang 2025 im Der Freitag erschienenen Debattenbeitrag »Die Geburt der woken Falken« betrachten die Wissenschaftler Oliver Schlaudt und Daniel Burnfin, in Anlehnung an Thesen der US-amerikanischen Philosophin Nancy Fraser, den »politisch korrekten« Militarismus als Kopfgeburt einer von Akademikern getragenen »progressiven Linken«, die von der »neoliberalen Konterrevolution« der 1980er Jahre »überwältigt« worden war. Ein Ergebnis war, dass der marxistische Antiimperialismus unter anderem durch »Postcolonial Studies« verdrängt wurde, die einen »cultural turn« gegen die Kritik der politischen Ökonomie durchsetzen konnten. Und zwar so weit, dass heute »progressive« Neoliberale mit »reinem Gewissen« im Konzert mit ukrainischen Bandera-Faschisten »Decolonize Russia!« fordern können.
Ein von der Überzeugung moralischer Überlegenheit gespeister Wehrwille für den imperialistischen »Verteidigungs-« oder »Antiterrorkrieg« gedeiht um so besser, je schärfer die Kontraste zwischen »progressiv« und »rückständig« erscheinen: Freizügigkeit und Hedonismus in der offenen Gesellschaft des Westens versus »Geschlechterapartheid«, Homophobie etc. unter »autoritären Regimes« in muslimisch oder konservativ-christlich geprägten Ländern.
»Antifaschistische Panzer:innen«
Das alles hat kaum jemand besser verstanden als das Management des Deutschen Panzermuseums Munster (DPM). Direktor Ralf Raths, Historiker und Exmitglied der Linkspartei, baut die Institution seit mehr als zehn Jahren zum »Woken«-Militarismusgesamtkunstwerk aus: »Gewaltmaschinen«-Sammlung plus Denkfabrik mit eigenem Videokanal, auf dem er regelmäßig Vorträge und Rezensionen militärhistorischer Bücher präsentiert, abgerundet mit Veranstaltungen wie dem »Tag der offenen Luke«. Der DPM-Shop hält Bekleidungsmode für die Weltkrieger mit »Awareness« für die Bedrohung durch die »Achse der Autoritären« bereit: T-Shirts mit den Aufschriften »Panzer:innen«, »FDGO Ultras« sowie Hoodies mit ihrem Schlachtruf »Woke & Wehrhaft«. Für die kleinen »Tank Spotter« gibt es mit dem Siegel »erfüllt Sicherheitsstandards für Kinderprodukte« einen Modellbausatz der deutschen Panzerhaubitze 2000, die sich derzeit auf »Wehrhafte Demokratie«-Ausbildungsmission in der Ostukraine befindet.
Deutsche Vergangenheit? Kein Problem, Raths und sein Team arbeiten sie lückenlos auf, inklusive Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, – und schlachten sie konsequent aus: Das Motto des DPM, das an seinem Gebäude prangt, stammt von Walter Benjamin, einem Verfolgten des Naziregimes: »Wer aber den Frieden will, der rede vom Krieg.« Während der Urheber der »Geschichtsphilosophischen Thesen« die Abschaffung des imperialistischen Krieges durch schonungslose Aufklärung beschleunigen wollte, erinnert Raths lieber mit Berufung auf den ehemaligen grünen Außenminister Joseph Fischer daran, dass es damals »gepanzerte Fahrzeuge waren, die die Konzentrationslager befreit haben«.
Historisch bedingt zündet »Antifaschismus« als »Wokeism«-Ideologie-»Munition« im Nachfolgerstaat des »Dritten Reichs« am besten. Und so muss Raths nur vor der nächsten nahenden Katastrophe warnen: »Die Vorgehensweise Putins, Verträge und Absprachen zu treffen und sie dann zu einem ihm genehmen Zeitpunkt einfach wieder zu brechen, entspricht dem Vorgehen Hitlers in den 1930er Jahren.« Zur Unterfütterung seiner Expertise verweist er auf verblüffende historische Parallelen: »Rheinland, Sudetenland, Österreich, Tschechoslowakei, Polen – diese Reihung klingt nicht zufällig wie Tschetschenien, Ossetien, Krim, Donbass, Ukraine.« Allemal weiß der »erfolgreichste deutsche Panzerführer der Gegenwart«, wie die FAZ Raths nennt, was jetzt zu tun ist: »Eine schnelle und substantielle Wehrhaftmachung Europas ist der einzige Weg, um zu vermeiden, dass das Drehbuch des Zweiten Weltkriegs sich wiederholt.«
Realitätsverlust
Das stößt auf helle Begeisterung bei der Taz, längst Zentralorgan der »woken« Weltkriegsvolksgemeinschaft: Im DPM werde nicht nur auf den Infotafeln »gegendert«, vermeldete sie unlängst, sein Chef versichere sogar, dass die »politische Grundeinstellung des Panzermuseums ausdrücklich antifaschistisch« sei.
Wie alle anderen Ideologeme des »progressiven« Militarismus funktioniert ein derart instrumenteller »Antifaschismus« nur auf Basis von antimarxistischen Theorien, die ebenfalls nach der wirklichen Zeitenwende 1989/90 aufgekommen waren: Die Vertreter des liberalen »New Consensus« nehmen die Lügen der Faschisten für bare Münze und verstehen deren Herrschaft als »nationale Form des Sozialismus«, etwa der Historiker Zeev Sternhell (auf den DPM-Direktor Raths sich explizit bezieht). An solche Lehren anknüpfend machen »Wokeisten« heute beispielsweise China unter der Führung einer kommunistischen Partei, die einen »staatlich-totalitär gezähmten Kapitalismus« zulässt, zunehmend als faschistische Diktatur aus – für deren Beseitigung ist freilich jeder Krieg »gerecht«.
Der »moralische Imperialismus« stehe mit seinen »unhaltbaren, maximalistischen und utopischen Zielen« im völligen Widerspruch zu einer nüchternen Einschätzung der wirklichen Interessen westlicher Außenpolitik, identifiziert das Institute for Peace and Diplomacy fatalen Realitätsverlust als eine Gefahr und verweist auf Tendenzen der Selbstzerstörung. Das könnte ein Grund sein, warum das Trump-Lager auf ein Ende der »woken Indoktrinierung« und die Rückkehr zum offen reaktionären Militarismus pocht.
HintergrundUS-Awareness-armee
Mutterland des »woken Militarismus« sind die USA. Für die Armee der ehemaligen Sklavenhalternation wurde vor allem »Wachsamkeit« gegenüber rassistischer Diskriminierung zur ausgeklügelten Rekrutierungsstrategie entwickelt. Die Verfechter verweisen stolz auf historische Errungenschaften durch Integrationsleistungen des US-Militärs: die Tuskegee Airmen, die vorwiegend afroamerikanischen Militärpiloten im Zweiten Weltkrieg, sowie die Montford Point Marines, die ersten schwarzen Angehörigen des United States Marine Corps, die ab 1942 in einem segregierten Militärcamp in North Carolina ausgebildet worden waren. Harry S. Truman wird als erster »woker« US-Präsident gefeiert, weil er 1948 die Aufhebung der »Rassentrennung« in den Streitkräften anordnete. Unterschlagen wird meist dabei, dass nichtweiße Soldaten vorwiegend niedere Dienste leisten mussten und drastischen Benachteiligungen ausgesetzt waren.
Nicht viel besser erging es den Frauen. Obwohl sie bereits seit dem Sezessionskrieg dienen (allerdings meist nur bei Bedarf und vorwiegend in der Verwaltung, im Sanitätswesen etc.), dauerte es rund 150 Jahre, bis 2008 eine Soldatin in den Rang Generalin aufsteigen durfte. Schwule und Lesben werden zwar seit 2011, trans Personen seit 2016, mit zwischenzeitlichen Einschränkungen, ohne die Auflage »Don't ask, don't tell!« als Soldaten akzeptiert, haben aber weiterhin Schikanen zu fürchten.
Ab den 2010er Jahren versuchten demokratische US-Präsidenten, diesen Missständen mit der »Woke«-Agenda beizukommen – beschleunigt ab 2016 im Bündnis mit Neocon-Hardlinern der Republikaner gegen isolationistische Bestrebungen des Trump-Lagers. Sie soll zudem die Kriegslust der »Progressiven« in der US-Armee und -Gesellschaft gegen die Taliban und andere »Barbaren« steigern. Es wurden »Diversity, Equity, and Inclusion«-Büros eröffnet, die Verwendung geschlechtsneutraler Pronomen angeordnet und Intersektionalismus-, »Critical Whiteness«- und Gender-Theorien fanden Eingang in die Lehrpläne der Militärakademien, sogar in West Point.
Rechte Kritiker beklagen Geldverschwendung und groteske Auswüchse, wie die Veranstaltung einer »Drag Queen Story Hour« auf der Air Base Ramstein. Verteidiger des pseudoemanzipatorischen Militarismus bekämpfen »Anti-Woke-Agitatoren« mit dem Vorwurf, diese gefährdeten die Kohärenz und Effizienz der Truppe. Ohne »Wokeness« kein ausreichender Zulauf von »marginalisierten Gemeinschaften« zur Armee, mahnte kürzlich The Times of San Diego. Diesen bräuchten die USA, um »die stärkste Streitkraft der Erde zu bleiben« und ihre »Macht zu projizieren«. (sws)
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