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Aus: Ausgabe vom 20.11.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Prekäre Beschäftigung bei Momox

Secondhandbedingungen

Prekär Beschäftigte bei Gebrauchtwarenhändler Momox organisieren sich und streiken erstmals in der Geschichte des Unternehmens
Von Yaro Allisat, Leipzig
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Sollen alles, nur nicht sich selbst, organisieren: Die Beschäftigten bei Momox (Lager in Leipzig)

Hinter der Fassade des sich als alternativ und nachhaltig gebenden Secondhandhändlers Momox verbergen sich prekäre und schlechte Arbeitsbedingungen, insbesondere für migrantische Arbeiter. Am 30. Oktober streikten die Momox-Beschäftigten in Leipzig zum ersten Mal in der Geschichte des Unternehmens für einen Tarifvertrag. Ihr Slogan: »Wir wollen Respekt.« Doch Momox versucht, ihnen laut Beschäftigten und Gewerkschaft Steine in den Weg zu legen.

Die Kolleginnen und Kollegen kämpfen für einen Haustarifvertrag oder die Aufnahme in den Tarifvertrag des Einzelhandels. Schon im vergangenen Jahr unterzeichneten 700 der 1.200 Leipziger Kollegen dafür eine Mehrheitspetition und wählten eine Tarifkommission.

Boris B. arbeitet seit 2018 bei Momox, ist Mitglied des Betriebsrat und bei Verdi. Er hat den Streik mitorganisiert. Weil er im vergangenen März dabei beobachtet worden sein soll, wie er in seiner Rolle als Betriebsrat Verdi-Flyer verteilt habe, hat der Konzern ihn abgemahnt. Dagegen hat B. geklagt. B.s Anwältin bestreitet, dass eine Vermischung von gewerkschaftlicher und Betriebsratstätigkeit pauschal ein Grund für eine Abmahnung sei. »Momox hat Angst, dass wir viele gewerkschaftlich organisierte Kollegen in diesem hauptsächlich migrantisch geprägten Betrieb organisieren«, so B. gegenüber jW.

Die Arbeitsbedingungen bei Momox sind, berichten sowohl B. als auch die Gewerkschaft, schlecht und prekär: minutengenaue Kontrollen der Pausen- und Klozeiten, Lohn der kaum zum Leben reiche, Entlassungen von oft krank geschriebenen und älteren Mitarbeitern, vermehrt Anstellungen, die auf drei Monate befristet seien, sowie respektloser, rassistischer und diskriminierender Umgang im Arbeitsalltag. In internen Versammlungen hätten die Vorgesetzten laut Verdi versucht, die eigene Belegschaft »durch gewerkschaftsfeindliche Aussagen einzuschüchtern« und »zu spalten«. Dafür habe man auch versucht, »die Führungskräfte zu instrumentalisieren« und sie »gegen die eigenen Leute in Stellung zu bringen«.

Auch der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR), der Momox-Arbeiter bei dem Streik interviewte, zitierte einen Beschäftigten: »›Momox nimmt die, die andere nicht nehmen. Duldung, keine Sprache – egal. So haben sie billige Arbeitskräfte.‹ Was (Momox-Mitarbeiter Mehmet) beschreibt, ist die perfide Symbiose aus restriktiver Migrationspolitik und dem Profitstreben des Unternehmens.« Der SFR schreibt dem Streik eine »historische Bedeutung« zu, weil er die »Schweigemauer durchbrochen« habe. Menschen dürften nur bleiben, wenn sie arbeiteten. Davon profitieren vor allem Unternehmen.

Auf Anfrage von MDR Sachsen hieß es von Momox, die Kritik zeige mangelnde Kenntnis des spezifischen Geschäftsmodells. Momox sehe in den gewerkschaftlichen Bestrebungen keinen Mehrwert für die betriebliche Mitbestimmung der Mitarbeitenden oder für das Unternehmen. Auch die Kritik an den Arbeitsbedingungen wies der Konzern von sich. Nach Informationen von Beschäftigten habe Momox wohl anlässlich des Streiks Medienvertreter zu Führungen in dem Lager in Leipzig eingeladen.

Insgesamt beschäftigt der Konzern deutschlandweit an drei Standorten nach eigenen Angaben 2.100 Menschen. Leipzig ist mit 1.200 Arbeitern der größte Standort. Rund 70 Prozent von ihnen sind laut Verdi migrantisch. Seit 2012 hat sich der Profit des Konzerns von 58 auf 377 Millionen Euro versechsfacht.

Boris B. ist nicht der erste gewerkschaftlich aktive Kollege mit einer Abmahnung und wird wohl auch nicht der letzte sein. Da es beim ersten Gerichtstermin am Montag zu keiner Einigung kam, wird der Fall im kommenden Juli vor dem Arbeitsgericht Leipzig verhandelt. B. weiß, dass er für seine Rechte und die seiner Kollegen weitermachen will. »Wir kämpfen jetzt seit über fünf Jahren«, so B. »Wir haben da viel Schweiß und Ehrenamt reingesteckt. Das lassen wir uns jetzt nicht wieder wegnehmen.«

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