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Aus: Ausgabe vom 20.11.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Wimmelbild des Wahns

Ari Asters Neo-Noir-Western »Eddington« ist ein Period Piece über den Sommer 2020
Von Maik Rudolph
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Theatralik der Pandemie: Allein steht der Tor auf der Bühne

Es ist Mai 2020, die Seuche grassiert. Ein Obdachloser (Clifton Collins Jr.) streift durch Pueblo-Gebiet, brabbelt vor sich her. Zerrt seinen Körper an der Baustelle für ein KI-Datenzentrum vorbei, das bald allem Land umher das Wasser abgraben wird. Bis der Drifter Eddington, eine fiktive Kleinstadt in New Mexico, erreicht: to paint the town red – wie Eastwood 1973, nur anders. Sheriff Joe Cross (Joaquin Phoenix) ist derweil vertieft in Influencervideos: wie man seine Ehefrau überzeugt, einen Kinderwunsch zu hegen. Pueblo-Polizei hält ihn an, er soll gefälligst eine Maske in seinem SUV tragen, auch wenn er allein darin sitzt. Dies seien die Gesetze im Reservat, dessen Grenze zu seinem County er widerwillig akzeptieren muss.

Der Sadist Ari Aster hat es wieder getan und seinen Zynismus auf die Leinwand gebracht. Was kann man daran nicht lieben? »Hereditary« (2018) und »Midsommar« (2019) begründeten seinen kommerziellen Erfolg – Slow-burn-Horror, clever genug für das Indiepublikum; massentauglich, um die Säle zu füllen. Danach bekam er vom Studio A24 einen Freifahrtschein für den Flop »Beau Is Afraid« (2023). Sein neuer Film dürfte es auch schwer haben, günstig war er nicht – erstmals nur Außenaufnahmen, kein Studioset –, dazu mutet er an wie ein verschollener Film Paul Verhoevens über die Conditio Americana mit der erbaulichen Lebensfreude von »Happiness« (1998), der Asters Humor schon im Alter von zwölf Jahren geprägt hat. Das alles in Szene gesetzt vom Cinematographer Darius Khondji, der auch schon für Werke von Roman Polanski, Bong Joon Ho und Michael Haneke verantwortlich zeichnete und einen Neo-Noir-Western inszeniert, mit deutlichen Anleihen bei den Coen-Brüdern. Khondji weiß es, die Pandemie zur Theaterbühne zu erheben: leere Straßen, kleine Ensembles, große Abstände zueinander, ein bisschen »Dogville« (2003). Und immer verschmilzt die Realität mit Doomscrolling: Smartphone und Laptop werden zu Elementen der Komposition, kommentieren, komplementieren die Szenen.

Joe Cross geriert sich als Westernheld vom ganz alten Schlag, ein Gary Cooper, einer, der sich um seine Community kümmert: Masken zerstören das soziale Miteinander. Aster nennt die Pandemie einen »Wendepunkt« im Interview mit dem Chapo-Trap-Podcast »Movie Mindset«: »Die letzte Verbindung zu was auch immer für einer alten Welt, die eigentlich schon seit Jahrzehnten hinter uns liegt, wurde gekappt.« Das KI-Datenzentrum immer im Hintergrund, es wird kommen, ob es nun der »techpositive« Bürgermeister Ted Garcia (Pedro Pascal) erzwingt oder wer anders; das Kapital schwebt über den Alltagsbagatellen. Technokrat Garcia liegt im Clinch mit Cross, Sheriff des gesunden Menschenverstands, der in den Grenzen seines Bauchgefühls agiert. Er will Rache: Garcia hat mutmaßlich seine Frau vor vielen Jahren vergewaltigt – eine Lüge, der Cross aufsitzt, Motor des Konflikts. Aller Streit um Maskenpflicht ist nur Schall und Rauch. Bei Aster gibt es keinen Altruismus. Schon in seinen Anfängen im Groschenroman hat das Westerngerne den US-amerikanischen Exzeptionalismus verklärt. Die Gemeinschaft, die für Cross verlorengeht, gab es so nie; seine rassistische Abwehrhaltung gegenüber den Pueblos spricht Bände.

Aster spart sich die Moralinsäure: Kritik an Präventionsmaßnahmen treten Fake News und Social-Media-Unsinn gegenüber. Eine Nebenhandlung dreht sich um des Sheriffs Ehefrau Louise (Emma Stone), die sexualisierte Gewalt in der Kindheit erlebt hat, während ihre Mutter im Äther alternativer Fakten herumgeistert und den wahren Täter nicht benennen möchte. Louise findet zu einer Art Q-Anon-Prediger, der hinter Pädophilie die Kabale einer Elite wittert. Sein Businessmodell: Sekte.

Nach einem kurzen Befreiungsschlag aus der selbstverschuldeten Impotenz fasst Cross den Entschluss, Garcias Treiben ein Ende zu setzen. Er stellt sich zur Bürgermeisterwahl auf, was er in einem viral gehenden Video verkündet; ein impulsiver Schritt, bevor er überhaupt mit seiner Familie Rücksprache halten konnte. Das Sheriff’s Office wird Wahlkampfzentrale. Slogan und Plakat sind schnell zusammengezimmert: »Joe Cross for air«, darunter eine Leiche mit Hammer-und-Sichel-Maske vor dem Mund. Er positioniert sich gegen das Datenzentrum, aus Trotz. Ein Hilfssheriff nutzt die Gelegenheit, auf Wahlplakaten Bitcoin anzupreisen.

Asters Pointen setzten immer noch einen drauf. »In den 90ern gab es diese romantischen Komödien, in denen die tollpatschige, wunderschöne Frau ausrutscht und sagt: ›Es geht mir gut‹«, so der Regisseur gegenüber Chapo Trap im Juli: »›Es geht mir gut‹ ruiniert den Witz. Ich will den Knochen aus dem Knie treten sehen.« Der Film ist ein Wimmelbild kleiner Vignetten des Wahnsinns – verteilt auf zweieinhalb Stunden gibt es viel zu entdecken, immer an der Grenze, zu überfrachtet zu sein. Diese Überforderung hat Methode, man muss sich an den zwei roten Linien orientieren, die Aster einem an die Hand gibt: Zum einen gibt es den Obdachlosen, der selbst von den gutsituierten jungen weißen »Black Lives Matter«-Aktivisten negativ beäugt wird – stört ja im Stadtbild. Seine wirren Kommentare sind Gradmesser für den Wahnsinn, der die Stadt zunehmend befällt, wie eine Pandemie – neben Cross ist er wohl der einzige, der im Verlauf des Films das Virus in sich trägt. Zugleich bleibt er ungehört: Klagt er doch von Verlust, sind seine Worte Schreie nach Hilfe, die keiner der Narzissten in Eddington hört. Alle leben in nichtkongruenten Blasen; das Reale, das über die Stadt hereinbricht, können sie nicht artikulieren: Das Techkapital kommt, es geht für alle bergab.

»Eddington«, Regie: Ari Aster, USA 2025, 149 Min., Kinostart: 20.11.

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