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Aus: Ausgabe vom 20.11.2025, Seite 1 / Titel
Handelskrieg

Großer Sprung zurück

Niederlande knicken in Nexperia-Streit ein und setzen die feindliche Übernahme des chinesischen Konzerns vorerst aus
Von Luca von Ludwig
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Die Regierung in Den Haag wollte angeblich unterbinden, dass Nexperia seine eigenen Anlagen (hier in Hamburg) nach China verlegt

Was heißt »Ein Satz mit X – das war wohl nix« eigentlich auf niederländisch? Sollte man Vincent Karremans mal fragen. Der gab in seiner Funktion als Wirtschaftsminister der Niederlande am Mittwoch bekannt, dass die staatliche Kaperung des chinesischen Computerprozessorherstellers Nexperia ausgesetzt wird. Vorausgegangen war die Entsendung einer Delegation nach Beijing in dieser Woche, um die durch das Manöver ausgelösten Verwerfungen in der internationalen Handelspolitik einzudämmen.

Zur Erinnerung: Ende September übernahm der niederländische Staat die Kontrolle über das zum chinesischen Wingtech-Konzern gehörende Unternehmen Nexperia, das in Europa Computerprozessoren fertigt. Dazu gehören insbesondere relativ simple Chips, die nichtsdestoweniger essentiell für diverse Branchen sind – beispielsweise für die Autoindustrie, die sie zur Steuerung von Bordsystemen einsetzt. Die Regierung in Den Haag warf dem Unternehmen vor, Teile seiner Produktion nach China auslagern zu wollen. Unter Berufung auf ein Gesetz, das eigentlich für die Versorgungssicherheit in Kriegszeiten vorgesehen war, stellte der niederländische Staat das Unternehmen unter seine Knute. Beijing reagierte mit Ausfuhrverboten von Wingtech-Chips. Die Maßnahme der Niederländer war etwas vorschnell – die in Europa angefertigten Prozessoren sind nur halbgar, endgültig fertiggestellt werden sie in China. Der Exportstopp sorgte für Panik in den auf die Zulieferungen angewiesenen hiesigen Konzernen. Volkswagen beispielsweise stand einigen Berichten zufolge kurz vor Produktionsstopps und Kurzarbeit.

Da die feindliche Übernahme in der internationalen Presse weniger als strategischer Geniestreich denn als Schuss ins eigene Knie gewertet wurde, sah sich die niederländische Regierung zu immer absurderen Erklärungen gezwungen. Zunächst wurde auf die Unabhängigkeit der Justiz verwiesen, die die Suspendierung des chinesischen Managers und die Übertragung der Stimmrechte des Mutterkonzerns an einen niederländischen Treuhänder verfügt hatte. Das ist spätestens mit der jetzigen Aussetzung ad absurdum geführt worden. Später wurde argumentiert, Nexperia übertrage unbotmäßigerweise geistiges Eigentum europäischer Fabriken in die Volksrepublik. Gemeint waren die Produktionsanlagen von Nexperias eigenen Zweigstellen.

Karremans stritt erst vergangene Woche im britischen Guardian ab, dass die Entscheidung Washingtons, den Wingtech-Konzern auf eine seiner schwarzen Listen zu setzen, etwas mit dem Schritt zu tun hatte. So recht glaubte er sich das aber selbst nicht. Im selben Interview verwies er auf die Benachrichtigung der USA als Auslöser der Sorgen um den Chiphersteller. Selbst die deutsche staatliche Außenhandelsagentur Germany Trade and Invest bezeichnet die Auflistung durch die USA als ursächlich.

Ebenfalls im Guardian gab sich der Minister ungebrochen und meinte, er »würde alles wieder so tun«. Die Ankündigung vom Mittwoch – auch wenn sie bisher nur auf eine Aussetzung, nicht auf eine Rücknahme des Schrittes hinausläuft – wirkt da deutlich kleinlauter.

Der Minister mimte zwar den Siegreichen, der eine Strafmaßnahme gütig zurücknimmt, weil bei dem Besuch in der Volksrepublik klar geworden sei, dass wieder Exportgenehmigungen für Chips an europäische Konzerne erteilt würden. Die klar zu erkennende Realität aber ist eine andere: China konnte erfolgreich seine Macht demonstrieren, auf feindliche handelspolitische Maßnahmen zu reagieren, und bietet dem Verlierer des Kräftemessens ein gesichtswahrendes Zugeständnis an. Statt wirtschaftlicher Stärke demonstrierte das Manöver von Den Haag also vor allem zweierlei: die materiellen Abhängigkeiten der Europäischen Union und einen bei der hiesigen herrschenden Klasse zu beobachtenden realitätsfremden Hochmut, auf den bekanntlich der Fall folgt.

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