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Aus: Ausgabe vom 19.11.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
Deutsch-chinesische Beziehungen

Die Tür offenhalten

Die Krise der deutschen Volkswirtschaft zwingt zur Reisediplomatie. Finanzminister Klingbeil besucht China
Von Jörg Kronauer
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Vize trifft Vize. Lars Kingbeil wird von He Lifeng, Chinas Vizepremier für Wirtschaft und Finanzen empfangen (Beijing, 17.11.2025)

Gehen die deutsch-chinesischen Beziehungen wieder besseren Zeiten entgegen? Chinas Vizeministerpräsident He Lifeng schien die Hoffnung nähren zu wollen, als er am Montag nach seinen Gesprächen mit Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) in Beijing Stellung zu der Frage bezog. »Wir sollten ungenutzte Potentiale ausschöpfen und die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit ausbauen«, schlug er vor, »und hoffen, dass beide Seiten ihre Strategien für ihre Entwicklung stärker aufeinander abstimmen.« Beijing jedenfalls sei bereit, in enger Koordination mit Berlin »ein faires, gerechtes und diskriminierungsfreies Geschäftsumfeld« zu fördern. Und Klingbeil? Der Vizekanzler wollte sich diesem Gedanken jedenfalls nicht schon von vornherein verschließen. »Deutschland und China können gemeinsam Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit finden«, äußerte er. Das blieb zwar nebulös, war jedoch immerhin kein schroffes Nein.

Die Diskussion über den allgemeinen Zustand der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundes- und der Volksrepublik überschattete den offiziellen Anlass von Klingbeils Besuch in Beijing: die jüngste Runde des deutsch-chinesischen Finanzdialogs. Der hatte diesmal in Berlin spezielles Interesse geweckt – denn He hatte Ende Oktober bekräftigt, China sei dabei, seinen Finanzsektor weiter zu öffnen, und werbe um langfristige Investitionen in die Branche. Klingbeil ließ sich deshalb nicht nur von Bundesbankpräsident Joachim Nagel begleiten, sondern auch von Vorstandsmitgliedern etwa der Deutschen Bank, der Commerzbank und der Allianz. Und er ließ keinen Zweifel daran, dass die Bundesregierung Interesse an lukrativen Geschäftschancen für deutsche Finanzkonzerne in der Volksrepublik hat. Das passt freilich nur eingeschränkt zu den jüngsten Entwicklungen der deutschen Politik gegenüber Beijing.

Denn in Berlin sind zuletzt antichinesische Töne und Taten immer klarer hervorgetreten – von Verbalattacken, die Außenminister Johann Wadephul (CDU) gegen Beijing richtete, bis hin zur Anbahnung etwaiger deutscher Rüstungsexporte nach Taiwan auf einer Rüstungsmesse, die im September in Taipeh stattfand. Beijing hatte dies mit der Weigerung quittiert, Wadephul für seine geplante China-Reise Ende Oktober die gewünschten Gesprächstermine zu gewähren, weshalb dieser, um nicht allzu düpiert dazustehen, den Besuch absagte. Am Donnerstag vergangener Woche setzte der Bundestag in einem nächsten Schritt eine Expertenkommission ein, die Deutschlands ökonomische Abhängigkeit von der Volksrepublik ausloten soll. Die »Schlüsselaufgabe« der Kommission sei es, »mehr ökonomische Souveränität zu erreichen«, erläuterte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn. Und dies heißt: Es geht darum, die Beziehungen zu China ein Stück weiter zu reduzieren.

Dafür gibt es aus Berliner Sicht aktuelle Anlässe, denn die Konflikte sind zuletzt nicht nur zwischen den USA und China, sondern auch zwischen der EU und der Volksrepublik eskaliert. Auf die geballten US-Attacken mit Zöllen und immer neuen Sanktionen hat Beijing reagiert, indem es mit Hilfe von Exportkontrollen die Lieferung seltener Erden und weiterer kritischer Rohstoffe strikt limitierte. Von den Exportkontrollen ist die EU, da sie ihrerseits ebenfalls zu Zöllen und Sanktionen gegen China greift, ebenfalls betroffen. Kürzlich kam hinzu, dass die Niederlande den in Nijmegen ansässigen, aber in chinesischem Besitz befindlichen Konzern Nexperia ihrer Kontrolle unterstellten, also faktisch kaperten, woraufhin die Volksrepublik zu Gegenmaßnahmen griff. Nexperia verschifft seine halbfertigen Chips aus Europa nach China, wo sie fertiggestellt und unter anderem an europäische Kfz-Konzerne zurückgeliefert werden. Letzteres unterband Beijing, nicht bereit, sich von Den Haag auf der Nase herumtanzen zu lassen.

Alle Beteiligten verhandeln derzeit darüber, wie sich die Konflikte lösen und Schäden von der europäischen Industrie abwenden lassen. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) telefonierte in der Sache in der vergangenen Woche mit ihrem Amtskollegen Wang Wentao. Klingbeil setzte die Gespräche nun fort. Er sprach sich gegenüber He für eine »verlässliche, regelbasierte Zusammenarbeit« aus. He äußerte sich zustimmend. Man darf allerdings vermuten, dass er Klingbeil eines in Erinnerung gerufen hat: Die Grundregel einer »regelbasierten Zusammenarbeit« besteht nach allgemeiner Auffassung der nichtwestlichen Staaten nicht darin, dass der Westen alle Welt nach Lust und Laune mit Zöllen und Sanktionen traktieren darf, sondern darin, dass sich alle gleichermaßen an geltende Normen halten. Und wenn Deutschland ohne weiteres mit seltenen Erden beliefert werden will, will China ebenso umstandslos Halbleiter erhalten.

»China und die EU«, empfahl He, »sollten aufeinander zugehen« und »wirtschaftliche und handelspolitische Reibungen durch Dialog und Konsultationen lösen«. Klingbeil schien die Türen zumindest offenhalten zu wollen. Seit die jüngsten Trump-Zölle das deutsche US-Geschäft ernsthaft zu schädigen begonnen haben, heißt der wichtigste Handelspartner der deutschen Industrie wieder China. Angesichts dieser Umstände ist es sicher nicht das beste Rezept, es sich inmitten einer tiefen Krise mit allen zu verderben. Ob dies wirklich bessere Zeiten für die deutsch-chinesischen Beziehungen verheißt, mag man bezweifeln. He setzte sich dennoch dafür ein.

Hintergrund: Auf Reisen als ­Bittsteller

Energie und Geld: Das waren die zwei zentralen Themen, die Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) auf ihrer soeben zu Ende gegangenen Reise in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Katar beackerte. Energie – das war zum einen »grüner« Wasserstoff, der in den Zukunftsplanungen der Emirate eine wichtige Rolle spielt und den nun auch die Bundesrepublik von dort importieren will. In Katar wiederum ging es um Flüssigerdgas (LNG). Schon Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne) hatte vereinbart, dass die Bundesrepublik ab 2026 vom Flüssigerdgasförderer Nummer zwei weltweit beliefert wird. Reiche muss sich nun damit auseinandersetzen, dass Qatar Energy, wenn es Deutschland beliefert, wohl Strafzahlungen wegen Verstoßes gegen die EU-Lieferkettenrichtlinie leisten müsste – das Unternehmen hält die darin vorgeschriebenen Klimaschutzbedingungen nicht ein. Unter diesen Bedingungen will Qatar Energy natürlich nicht liefern. Dabei wäre die Einfuhr von Erdgas aus Katar für Deutschland auch deshalb nützlich, weil es aktuell sein LNG fast vollständig aus den USA bezieht. Berlin will mit Erdgas aus Katar nicht nur seine Abhängigkeit verringern, sondern hofft auch auf günstige Preise. Billiger als russisches Pipelinegas allerdings wird auch katarisches LNG nicht.

Um Geld wiederum bemühte sich Reiche insbesondere bei potentiellen Investoren in Emiraten. Es sei »ein Zeichen des schleichenden relativen Abstiegs unseres Industriestandorts«, dass man am Persischen Golf »als Bittsteller auftreten« müsse, wurde ein Mitglied der deutschen Wirtschaftsdelegation auf Table Media zitiert. Die Verhältnisse haben sich in der Tat recht tiefgreifend verschoben. Galt es einst als günstige Finanzspritze, wenn Staatsfonds aus den Emiraten oder aus Katar Milliardenbeträge etwa in deutsche Kfz-Konzerne steckten, so verfolgen die Golfstaaten mittlerweile weitgespannte eigene Interessen. Der emiratische Ölkonzern ADNOC etwa ist dabei, den einstigen Dax-Konzern Covestro zu übernehmen. Dies tut er nicht, um dem deutschen Konzern finanziell unter die Arme zu greifen. ADNOC will vielmehr seine Tochterfirma XRG zu einem der fünf weltgrößten Chemiekonzerne aufsteigen lassen. Dazu soll Covestro seinen Beitrag leisten. Reiche hat nun grünes Licht der Bundesregierung für die Übernahme angekündigt. Die CDU-Politikerin sagte in Abu Dhabi, man habe innerhalb der Bundesregierung alle nötigen Entscheidungen herbeigeführt.

Zusätzlich galt es, am Rande von Reiches Golfreise auch noch ein Milliardengeschäft bekanntzugeben: Die Fluggesellschaft Flydubai will laut emiratischen Berichten 150 Airbus-Flugzeuge des Typs A321 NEO erwerben. Davon soll vor allem das Werk des Konzerns in Hamburg profitieren. (jk)

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