Wiederaufbau lässt auf sich warten
Von Justus Konneker, Damaskus
Im Oktober besuchte der deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU) das zerstörte Harasta bei Damaskus. Angesichts der Verwüstung äußerte er Zweifel an einer freiwilligen Rückkehr syrischer Geflüchteter aus Deutschland. Er urteilte: »Hier können wirklich kaum Menschen würdig leben.« Harasta liegt wie viele andere Orte in Syrien in Trümmern. Die Einwohner haben aber die Hoffnung nicht aufgegeben, dass der Wiederaufbau endlich beginnt.
Harasta befand sich an der Frontlinie des Krieges in Syrien. Die Autobahn, die von Damaskus durch den Vorort führt und als »Straße des Todes« galt, trennte islamistische Milizen und Regierungstruppen. 2018 eroberte die Armee das Gebiet zurück, allerdings ohne Maßnahmen zum Wiederaufbau einzuleiten. Östlich der Straße, in Samalka und Irbin, reihen sich die zerstörten Hüllen ehemaliger Wohnblöcke aneinander. Westlich der Autobahn, im Stadtteil Dschobar, ist in weiten Teilen nur Schutt zu sehen. Laut dem Norwegischen Flüchtlingsrat (NRC) sind in den Vororten von Damaskus, besonders im Nordosten, rund 70 Prozent der Gebäude zerstört.
Mohammed, ein Einwohner von Harasta, sitzt vor einer leeren Grube und trinkt Kaffee mit Freunden und Familie. Vor dem Krieg stand dort das Haus seines Nachbarn. Sein Vater wurde nach dem Sturz der Assad-Regierung Anfang Dezember 2024 aus dem Gefängnis entlassen – mehr als 30 Jahre hatte er dort verbracht. Seine Freude über den Umsturz ist noch spürbar. Doch fast ein Jahr danach verläuft der Wiederaufbau langsamer als erhofft. Mohammed meint, nach Wadephuls Besuch hätten sich viele gefragt: »Wo bleibt Scharaa?« Der Präsident der Übergangsregierung und Mitbegründer der syrischen Al-Qaida kam zwar tatsächlich am darauffolgenden Tag. Doch die Forderung nach seiner Anwesenheit drückt eine tiefe Frustration aus. Denn passiert ist seitdem nichts, ein umfassender Plan zum Wiederaufbau fehlt weiter.
Schätzungen zufolge liegen die Kosten für den Wiederaufbau Syriens bei 121 bis 300 Milliarden Euro. Nach offiziellen Angaben wurden bislang 59 Milliarden Euro zugesagt, wobei Deutschland relativ wenig beitragen will. Vor allem die Menschenrechtslage unter der neuen Regierung, insbesondere nach den Massakern ihrer aus dschihadistischen Kampfverbänden stammenden Einsatzkräfte an Minderheiten in Suweida und Latakia, hat eine direkte Unterstützung für den Wiederaufbau bislang verhindert. Statt dessen bevorzugen Deutschland und andere europäische Staaten humanitäre Hilfe gegenüber direkter Wirtschaftshilfe.
Im Gegensatz dazu erklärte Al-Scharaa im Oktober auf einer Investorenkonferenz im saudischen Riad: »Wir haben uns für den Weg des Wiederaufbaus durch Investitionen entschieden. Wir haben uns nicht für den Weg des Wiederaufbaus in Syrien durch Hilfe und Unterstützung entschieden.« Seine Pläne priorisieren eine wirtschaftliche Liberalisierung, um ausländische Investitionen anzuziehen. Passend dazu hat Al-Scharaa Kontakte mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) intensiviert. Bei seinem Besuch in Washington war er am 9. November auch mit IWF-Chefin Kristalina Georgiewa zusammengetroffen, um eine potentielle Kooperation auszuloten. Am Montag hieß es nun, der IWF beabsichtige, eine »intensive« Phase der Zusammenarbeit mit Syrien einzuleiten, um den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu unterstützen.
Die teilweise Aufhebung westlicher Zwangsmaßnahmen, die der vorherigen Regierung immer versagt worden war, hat die Hoffnung geweckt, dass der Außenhandel dringend benötigte Devisen einbringen würde. Das Land befindet sich in einer schweren Inflationskrise. Das syrische Pfund hat sich zwar stabilisiert, bleibt aber stark abgewertet. Eine Neuordnung der Finanzen wurde als Teil eines umfassenderen Umbaus der Wirtschaft versprochen.
Dabei muss sich die Übergangsregierung bereits Intransparenz vorwerfen lassen. Die Befürchtung lebt auf, dass sich das alte System des Klientelismus wieder etablieren könnte. Laut einer Untersuchung von Reuters hat ein geheimes Komitee unter der Leitung von Vertrauten Al-Scharaas Geschäftsleuten, die der Assad-Regierung nahestanden, im Austausch gegen Barzahlungen und Aktienanteile Immunität gewährt. Zwar wurden Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption angekündigt. Doch es besteht weiterhin die Gefahr, dass schlicht eine neue Oligarchie an die Stelle der alten treten könnte.
Bis der Wiederaufbau erste Fortschritte zeitigt, dürfte das Leben in Syrien schwierig bleiben. Tatsächlich kann man in Harasta kaum etwas von einem Neustart sehen. Die Schule ist eines von wenigen Gebäuden, die seit Ende der Kämpfe wiedererrichtet wurden. Auch das Krankenhaus, das mit Entwicklungshilfe aus Japan finanziert wurde, ist erneut in Betrieb. Aber das Elend von fast 14 Jahren Krieg bleibt allgegenwärtig. Einige Familien im Viertel wohnen in Gebäuden ohne Wände, ohne funktionierende Heizung, Strom oder fließendes Wasser. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, und 13,5 Millionen Menschen leiden unter Ernährungsunsicherheit. »Schauen Sie sich um, die Menschen sind müde«, sagt Khaled, ein Taxifahrer, der in Harasta arbeitet. Er meint, es sei »viel gesagt, aber nur wenig getan« worden.
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