Aus Leserbriefen an die Redaktion
Geschichtsklitterung
Zu jW vom 13.11.: »Fürs Vergessen«
Mit Mahnwachen am ehemaligen Standort der Villa Springorum in Dortmund erinnert die VVN-BdA regelmäßig am 7. Januar an die dortige Tagung der Ruhrlade der Industriellen im Jahr 1933. Diese diente der Machtübertragung an Adolf Hitler, wie jene vom 4. Januar 1933 in Köln im Haus des Bankiers von Schröder. An das Treffen vom 7. Januar wird in Dortmund amtlich nicht erinnert, als hätte es nicht stattgefunden. Über den Teilnehmer der Treffen in Köln und Dortmund, Franz von Papen von der Zentrumspartei, wird in einem Katalog der bisherigen Ausstellung in der Gedenkstätte Steinwache fälschlich ausgesagt: Er wurde Ende Januar 1933 »vom Reichspräsidenten Hindenburg mit der Regierungsbildung beauftragt« – nicht etwa Adolf Hitler, wie es seriösen Geschichtsbüchern zu entnehmen ist. Die Ausstellung wurde nun geschlossen. Der Raum zum Thema »Die Ruhrindustrie setzt auf Hitler« soll verschwinden – wie jede kapitalismuskritische, antifaschistische Äußerung. Entsprechende Änderungen wurden in allen Gedenkstätten von NRW seit 1990 vorgenommen. Das ging so weit, dass in der Ex-SS-Kultstätte Wewelsburg jeder Hinweis auf den »Freundeskreis Reichsführer SS« fehlt, der dort tagte. Viele Freunde Himmlers waren nach 1945 Freunde Adenauers und in Amt und Würden.
Ulrich Sander, Dortmund
Klassenstandpunkt
Zu jW vom 13.11.: »Schluss mit Reallohnverlust«
Zitiert wird der Pressesprecher von Verdi Berlin-Brandenburg, K. Kunkel, mit den Worten: »Diese Diskussion [gemeint ist die Forderungsdiskussion] führen wir intern, weil es wichtig ist, sich gegenseitig zuzuhören, statt sich mit dem Lautsprecher über den vermeintlich richtigen Klassenstandpunkt zu belehren.« Klassenstandpunkt! Richtig, Kollege Kunkel, darum geht es! K. Kunkel hat offensichtlich einen anderen »Klassenstandpunkt« als die Kolleginnen und Kollegen der Betriebsgruppe, deren Position er als »vermeintlich richtigen Klassenstandpunkt« abqualifiziert. K. Kunkel wendet sich faktisch gegen eine Klassenposition, die Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen selbstverständlich einnehmen können und deshalb müssen. Die Führung einer Organisation, die sich in den Burgfrieden integriert, sich dem »Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit« und der »Sozialpartnerschaft« verpflichtet, weist Klassenpositionen dementsprechend zurück und diskreditiert sie als falsch. Daraus leiten Kräfte des Apparates dann ihr Recht ab, eine Internetseite vom Netz zu nehmen. Doch halten wir fest: Es sind die Mitglieder der Organisation, die sie mit ihren Beiträgen finanzieren, einschließlich die Gehälter der Kunkels. Und die Interessen der Mitglieder, die ihre Arbeitskraft möglichst teuer verkaufen müssen, haben sich dafür organisiert. Auch das ist eine Klassenposition.
H.-W. Schuster, Düsseldorf
»Politstammtische gibt es genug«
Zu jW vom 12.11.: »Dann eben Panzer kaufen«
Erfreulich, wenn sich wieder etwas mehr Menschen zum Beratschlagen treffen. Doch was soll die seltsame Aussage, dass »Russland in eine ruinöse Aufrüstungsspirale« gezwungen werde, wo doch die russische Regierung selbst mit ihren neuen »Wunderwaffen« wie »Oreschnik«, »Burewestnik«, »Poseidon« usw. protzt und viel Steuergeld in Aufrüstung steckt, die das eigene Land, vor allem der ländliche Raum, dringender brauchen könnte. Solange vereinfachend von »Staaten« – allesamt künstliche, mit Lüge und Gewalt aufgebaute Konstrukte – wie von einheitlichen Personen geredet wird, anstatt die Herrschaftsverhältnisse genauer anzuschauen, ist eine Friedensbewegung zum Scheitern verurteilt. So sehr mensch mit den Forderungen bei den eigenen anfangen soll, so gibt es keinen Grund, wenn kapitalistische Räuberbanden sich auch um die Zerfallsprodukte der Sowjetunion als Beute streiten, irgendeine Räuberbande zu verharmlosen. Wo bleibt die internationale Zusammenarbeit, die Solidarität der russischen Friedensbewegung, die Völkerverständigung von unten, die auf Abstand zu allen Herrschenden wahrt? Politstammtische, die über andere diskutieren, gibt es mehr als genug.
Martin Mair, Söchau
»In Gottes Namen«
Zu jW vom 11.11.: »Christlicher Pazifismus ade«
Dass die evangelische Kirche nicht die Hand beißt, die sie füttert, versteht sich von selbst. Dies ist einfach historische Kontinuität, die in dieser Institution seit ihrer Gründung angelegt ist. Wie in »Täter und Komplizen in Theologie und Kirchen 1933–1945« zu lesen ist, hörte sich Generalsuperintendent Otto Dibelius in der Potsdamer Nikolaikirche am 21. März 1933, in Gegenwart Hindenburgs und aller NS-Größen, wie folgt an: »Ein neuer Anfang staatlicher Geschichte steht immer irgendwie im Zeichen der Gewalt. (…) Wir haben von Dr. Martin Luther gelernt, dass die Kirche der rechtmäßigen staatlichen Gewalt nicht in den Arm fallen darf, wenn sie tut, wozu sie berufen ist. Auch dann nicht, wenn sie hart und rücksichtslos schaltet. (…) Das muss die doppelte Aufgabe der evangelischen Kirche auch in dieser Stunde sein. Wenn der Staat seines Amtes waltet gegen die, die die Grundlagen der staatlichen Ordnung untergraben, (…) – dann walte er seines Amtes in Gottes Namen!«
Oliver Sümnick, Hundsbach
Zu jW vom 12.11.: »Stand-by statt bye-bye«
Ich muss zugeben, dass mir auch die knapplinken Sozialdemokraten alleweil ein Stück lieber sind als die rechten. So gerechtfertigt Kritik am BSW ist: Wir sollten uns in der angespannten Situation, in der wir uns heute befinden, dreimal überlegen, ob wir lieber auf Leute schießen, die vielleicht einmal unsere Freunde sein könnten. Oder nicht doch besser unsere ziemlich geringen Kräfte auf diejenigen konzentrieren, die wirklich unsere Feinde sind. Zudem die gescholtene Sahra Wagenknecht im Wahlkampf geschafft hat, was uns in den vergangenen Jahren völlig verwehrt geblieben ist: Zehntausende Menschen für vernünftige Forderungen auf die Straße zu bringen.
Joachim Seider, Berlin
Der Raum zum Thema »Die Ruhrindustrie setzt auf Hitler« soll verschwinden – wie jede kapitalismuskritische, antifaschistische Äußerung. Entsprechende Änderungen wurden in allen Gedenkstätten von NRW seit 1990 vorgenommen
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