Christlicher Pazifismus ade
Von Max Grigutsch
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich mit einer neuen »Friedensdenkschrift« auf den Kriegskurs des deutschen Imperialismus eingestellt. »Obwohl die Überwindung von Gewalt das oberste Ziel bleibt, verwirft die Denkschrift den absoluten Pazifismus als politische Theorie«, heißt es in einer Zusammenfassung des knapp 150seitigen Dokuments des EKD-Rates. Die Schrift wurde am Montag während der Jahrestagung der evangelischen Kirche in Dresden veröffentlicht. Befunden wird unter anderem, dass der Besitz von Nuklearwaffen angesichts anderer Atommächte »politisch notwendig« und Waffenlieferungen etwa zur »Wiederherstellung« des Friedens »ethisch verantwortbar« sein können. Sogar Präventivangriffe könnten »in Extremsituationen« vertretbar sein. In Sachen Kriegsdienst setzt die EKD auf Freiwilligkeit, hält eine Pflicht allerdings für möglich, »sollte dies unabdingbar sein«.
Damit überschreibt die Gemeinschaft, die über ihre Mitgliedskirchen rund ein Fünftel der Bevölkerung Deutschlands vereint, die bisher gültige Denkschrift von 2007. Der Grund für die Zäsur: »Die Welt ist aus den Fugen geraten.« Sie werde »immer kriegerischer und brutaler«, schreiben die Verfasser. Der russische Einmarsch in die Ukraine 2022 habe »Europa wachgerüttelt«. Westliche, sprich »demokratische« Gesellschaften seien zunehmend der »Destabilisierung durch hybride Kriegführung« ausgesetzt.
Auch der »eskalierende Nahostkonflikt« treibt die Kirchenvertreter um. Terror werde als »Waffe gegen die Demokratie« eingesetzt, so mitunter von der Hamas. »Terrorakte« würden die Grenze zwischen militärischen und zivilen Bedrohungen verwischen, und das mache es »Staaten schwer, angemessen zu reagieren«. Israel kämpfe »gegen Terrorgruppen, die sich selbst nicht ans Völkerrecht gebunden fühlen, während der Staat bei seiner Verteidigung den rechtlichen und ethischen Standards verpflichtet bleibt«, analysiert die EKD.
Als leitend für die neuausgerichtete »evangelische Friedensethik« gilt den Verfassern das Ideal des »gerechten Friedens«. Das heiße, wo sie bedroht wird, könne die »gerechte Ordnung« per »Zwangsmaßnahmen gegen Angriffe geschützt werden«. Nicht zu vergessen: »Jesus Christus lehrte den vollständigen Verzicht auf Gewalt.« Aber: In einer unerlösten Welt brauche es »Gesetze, Gerichte und notfalls Militär, um Eskalationen der Gewalt zu stoppen«. Ein »Balanceakt«, befindet die EKD. »Pazifistische Positionen der absoluten Gewaltlosigkeit würdigt die EKD als ›Ausdruck gelebter Frömmigkeit‹« – dies könne »nur eine persönliche Entscheidung einzelner sein« –, sie distanziert sich aber »von einer Position, die den Dienst ohne Waffe als ›deutlicheres Zeichen‹ christlichen Friedenshandelns wertet«.
Der Vorstellung des Textes war eine Ankündigung der EKD-Ratsvorsitzenden, Bischöfin Kirsten Fehrs, vorausgegangen. Sie bemühte sich am Sonntag um eine passende Sprachregelung, erkennbar im Sinne der Bundesregierung. Man wolle »nicht kriegstüchtig, sondern verteidigungsfähig, friedenstüchtig« werden. Der Abschied von »Frieden schaffen ohne Waffen« habe sie und viele andere aufgewühlt. Es gehe aber darum, »Krieg zu verhindern«, sagte sie.
Gegenüber der AfD erklärte die Hamburger Bischöfin indes »Widerstand«. Die Partei habe »die Würde bestimmter menschlicher Gruppen längst schon für antastbar erklärt« und stelle sich damit »außerhalb der Grundlagen unseres Grundgesetzes«, sagte Fehrs. Die Frage eines Parteiverbots sei in der evangelischen Kirche noch nicht geklärt, ein Nachweis verfassungsfeindlicher Bestrebungen wäre aber ein Verbotsgrund. Ferner diskutiert die EKD auf ihrer Tagung, die seit 1947 geltende Flaggenverordnung zu streichen. Diese verbietet vor Kirchengebäuden alle Flaggen außer der der Kirche. Eine Abschaffung würde es den jeweiligen Gemeinden überlassen, welche sie hissen wollen. Die Tagung der EKD-Synode läuft noch bis Mittwoch.
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Seit Jahrzehnten wird über die Sinnhaftig- bzw. Sinnlosigkeit dieser umfassenden staatlichen Alimentierung sich unabhängig von weltlichen Mächten wähnenden Glaubensgemeinschaften diskutiert. Ich denke, mit der neuen »Denkschrift« der EKD-Synode hat sich diese Frage zumindest für die Evangelische Kirche in Deutschland erledigt, sie ist ihr Geld wert! Sehr selten, m. W. nach 1945 noch nie, hat sich diese Truppe so eindeutig auf eine geradezu bedingungslose Unterstützung der aktuellen Politik des Staates einbinden lassen, der ganz offen Kurs auf Krieg genommen hat. Was bei der »Neuvermessung« der »bisherigen Friedensethik« herausgekommen ist, kann man auf knapp 150 Seiten nachlesen.
»Natürlich« wird die geänderte Bedrohungslage bereits im Vorwort geklärt: »Die Welt ist in Unordnung« und Schuld sei der »völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg« und der »Terrorakt der Hamas«. Aber auch das »überhasteten Ende des Einsatzes(!) in Afghanistan« habe die EKD zur »Neuvermessung« angeregt. Kein Wort zu den Kriegsverbrechen in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien, in Palästina. Nichts zu dem NATO-Putsch in Kiew 2014 und dem folgenden Bürgerkrieg gegen die Verteidiger der ukrainischen Verfassung. Das völlige Fehlen eines Bemühens, sich den Ursachen der mörderischen Konflikte anzunähern und sie zum Ausgangspunkt der Suche nach einer wirkenden Friedensethik zu machen, erstaunt doch. (Gar nicht zu sprechen von einer Klarsicht auf die ökonomischen Ursachen von Krieg und Gewalt, wie sie Papst Franziskus besaß, als er zum Kapitalismus urteilte: »Dieses System tötet!«) So wird die »Denkschrift« eine Propagandaschrift zur geistigen Mobilmachung, die aktuelle Diskussionen wie zur Wehrpflicht und zur »Kriegstüchtigkeit« (selbst der Begriff wird nicht nur verwendet, sondern auch positiv untersetzt!) im Interesse einer Militarisierung der BRD beantwortet.
Besonders klar wird die Entwicklung, wenn man die aktuelle mit der Denkschrift von 2007 oder der Kundgebung der EKD 2019 in Dresden vergleicht.
In der neuen sind sie in ihr Gegenteil verkehrt. Das Ziel ist klar: Den vielen christlich motivierten Gegnern des Kriegskurses der deutschen Regierung den inneren Halt und Kompass zu nehmen – sie »kriegstüchtig« zu machen. Wie gesagt, aus der Sicht der Kriegstreiber ist der Rat der EKD offensichtlich sein Geld wert. Dumm nur, dass wir die auch noch bezahlen.