Aus Leserbriefen an die Redaktion
Liebesgebot aufgehoben I
Zu jW vom 11.11.: »Christlicher Pazifismus ade«
Laut einer neuen Denkschrift der EKD lässt sich der Pazifismus als generelle politische Ethik »ethisch nicht legitimieren«, berichtet die FAZ. – Karl Kraus beschrieb diesen Vorgang bereits vor mehr als 100 Jahren in »Die letzten Tage der Menschheit« (3. Akt, 15./16. Szene):
Superintendent Falke: »Jesus hat das Gebot ›Liebet eure Feinde!‹ nur für den Verkehr zwischen den einzelnen Menschen gegeben, aber nicht für das Verhältnis der Völker zueinander. Im Streit der Nationen untereinander hat die Feindesliebe ein Ende. Hierbei hat der einzelne Soldat sich gar keine Gewissensbisse zu machen! Solange die Schlacht tobt, ist das Liebesgebot Jesu völlig aufgehoben! Es gilt nicht für die Stunde des Gefechtes. Das Gebot der Feindesliebe hat für uns auf dem Schlachtfelde gar keine Bedeutung mehr. Das Töten ist in diesem Falle keine Sünde, sondern Dienst am Vaterlande, eine christliche Pflicht, ja ein Gottesdienst!«
Konsistorialrat Rabe: »Darum mehr Stahl ins Blut!«
Karl Wimmler, Graz
Liebesgebot aufgehoben II
Zu jW vom 11.11.: »Christlicher Pazifismus ade«
Es gab Zeiten, in denen die EKD die Bewegung »Frieden schaffen ohne Waffen« intensiv unterstützte. Davon ist nichts mehr übriggeblieben. Sogar die Wortwahl unterscheidet sich kaum von der der Regierenden, um die Herstellung der Kriegsbereitschaft zu unterstützen. Die traditionelle Unterstützung der Kirche für die Mächtigen wird sehr deutlich. Es ist sehr bedauerlich, dass sich nach der Linken nun auch die Kirche von den Friedenskräften verabschiedet hat, und das in einem Moment, wo der Kampf um den Frieden höchste Priorität haben sollte, um die Menschheit zu erhalten.
Horst Neumann, per E-Mail
Liebesgebot aufgehoben III
Zu jW vom 11.11.: »Christlicher Pazifismus ade«
Dass es in der BRD keine Trennung zwischen Staat und Kirche gibt, weiß jeder, der seine Steuererklärung selbst erstellt. Das Finanzamt betätigt sich bei der Kirchensteuer quasi als Inkassobüro der Kirchen. Aber »Treusorge« des Staates gegenüber seinen Kirchen (v. a. der evangelischen und katholischen) geht weit darüber hinaus. Stichwort »Dotationen«: So »bekommt ein Bischof (…) in der Regel etwa 8.000 Euro Bruttoeinkommen im Monat, ein Erzbischof erhält in der Besoldungsgruppe B 11 bis zu 12.000 Euro«, wusste die Süddeutsche.de bereits vor Jahren zu berichten.
Seit Jahrzehnten wird über die Sinnhaftig- bzw. Sinnlosigkeit dieser umfassenden staatlichen Alimentierung sich unabhängig von weltlichen Mächten wähnenden Glaubensgemeinschaften diskutiert. Ich denke, mit der neuen »Denkschrift« der EKD-Synode hat sich diese Frage zumindest für die Evangelische Kirche in Deutschland erledigt, sie ist ihr Geld wert! Sehr selten, meines Wissens nach 1945 noch nie, hat sich diese Truppe so eindeutig auf eine geradezu bedingungslose Unterstützung der aktuellen Politik des Staates einbinden lassen, der ganz offen Kurs auf Krieg genommen hat. Was bei der »Neuvermessung« der »bisherigen Friedensethik« herausgekommen ist, kann man auf knapp 150 Seiten nachlesen.
»Natürlich« wird die geänderte Bedrohungslage bereits im Vorwort geklärt: »Die Welt ist in Unordnung«, und schuld seien der »völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg« und der »Terrorakt der Hamas«. Aber auch das »überhastete Ende des Einsatzes (!) in Afghanistan« habe die EKD zur »Neuvermessung« angeregt. Kein Wort zu den Kriegsverbrechen in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien, in Palästina. Nichts zu dem NATO-Putsch in Kiew 2014 und dem folgenden Bürgerkrieg gegen die Verteidiger der ukrainischen Verfassung. Das völlige Fehlen eines Bemühens, sich den Ursachen der mörderischen Konflikte anzunähern und sie zum Ausgangspunkt der Suche nach einer wirkenden Friedensethik zu machen, erstaunt doch. (Gar nicht zu sprechen von einer Klarsicht auf die ökonomischen Ursachen von Krieg und Gewalt, wie sie Papst Franziskus besaß, als er zum Kapitalismus urteilte: »Dieses System tötet!«) So wird die »Denkschrift« eine Propagandaschrift zur geistigen Mobilmachung, die aktuelle Diskussionen wie zur Wehrpflicht und zur »Kriegstüchtigkeit« (selbst der Begriff wird nicht nur verwendet, sondern auch positiv untersetzt!) im Interesse einer Militarisierung der BRD beantwortet.
Besonders klar wird die Entwicklung, wenn man die aktuelle mit der Denkschrift von 2007 oder der Kundgebung der EKD 2019 in Dresden vergleicht. In der neuen sind sie in ihr Gegenteil verkehrt. Das Ziel ist klar: Den vielen christlich motivierten Gegnern des Kriegskurses der deutschen Regierung den inneren Halt und Kompass zu nehmen – sie »kriegstüchtig« zu machen. Wie gesagt, aus der Sicht der Kriegstreiber ist der Rat der EKD offensichtlich sein Geld wert. Dumm nur, dass wir die auch noch bezahlen.
Peter Tiedke, Golzow
Entfremdete Mittelklasse
Zu jW vom 12.11.: »Ein Vakuum zu füllen«
Im Kommentar zum BSW wird als schwer lösbarer Widerspruch definiert, die soziale Frage mit den Interessen der mittelständischen Wirtschaft zu vermitteln; im Rotlicht wird das Scheitern der Nachkriegs-SPD dabei beschrieben, von sozialistischen Positionen aus die Mitte einzubeziehen. Da aber liegt der Hund begraben, dass eine sozialistische Strategie, beim Marxismus bleibend, eine Politik entwickeln muss, die die »Mittelklassen« wie Intelligenz und Kleinbürgertum vom Großkapital entfremdet, weil dieses mit seinen imperialen Interessen deren Notwendigkeiten nicht bedient. Eine Friedensbewegung etwa kann anders nicht erfolgreich sein. Früher nannte man das z. B. »antimonopolistische Strategie«, heute scheint es keine Kraft mehr zu geben, die solche Strategien aktualisieren und popularisieren kann. Da nun alle marxistischen Kräfte am Boden sind, könnten sie es ja eventuell mit vertiefter Zusammen- und Theoriearbeit versuchen, statt mit immer kleineren Neugründungen und Beharren auf dem eigenen Gewohnten.
Walter Lambrecht, Rostock
Da nun alle marxistischen Kräfte am Boden sind, könnten sie es ja eventuell mit vertiefter Zusammen- und Theoriearbeit versuchen statt mit immer kleineren Neugründungen und Beharren auf dem eigenen Gewohnten.
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