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Aus: Ausgabe vom 14.11.2025, Seite 8 / Kapital & Arbeit
Lieferkettengesetz

Arbeitsschutz war gestern

EVP bringt neue, stark abgeschwächte Lieferkettenrichtlinie mit Stimmen von rechtsaußen durch das EU-Parlament. Auch Sozialdemokraten dafür
Von Susanne Knütter
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Ein Junge, der als Bergarbeiter arbeitet (Chinarak, Afghanistan, 12.11.2022)

Es sollte die Gewalt in der alltäglichen Ausbeutung von Arbeitskräften entlang der Lieferketten etwas abmildern und Transparenz in die illegalen Schweinereien von Unternehmen in bezug auf die Umwelt bringen: die Lieferkettenrichtlinie der Europäischen Union. Und tatsächlich wurde sie im Frühjahr 2024 bereits beschlossen. Sie galt als wesentlich weitergehend als das deutsche Lieferkettengesetz. Anfang 2025 dann – inzwischen war das Europäische Parlament neu gewählt worden – stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten für eine spätere Umsetzung der europäischen Lieferkettenrichtlinie. Seither haben Konservative und Liberale unter Hochdruck daran gearbeitet, der Richtlinie gänzlich ihre Hebel zu nehmen. Am Donnerstag nun stimmte das EU-Parlament für das zahnlose Lieferkettengesetz.

382 der Abgeordneten votierten für das Vorhaben, 249 dagegen, 13 enthielten sich. Die Vorgaben sollen künftig nur noch für wenige sehr große Unternehmen mit einem Mindestumsatz von 1,5 Milliarden Euro gelten. Es soll keine Pflicht bestehen, Klimapläne auszuarbeiten. Der Einbezug von Gewerkschaften und »zivilgesellschaftlichen« Organisationen wurde eingeschränkt. Es gibt nicht nur kein europaweites Sanktionssystem bei Verstoß gegen die Richtlinie. Selbst die Möglichkeit, Schadenersatz einzuklagen, soll gestrichen werden. Die EVP ist begeistert. »Heute ist ein guter Tag für Europas Wettbewerbsfähigkeit«, sagte ihr Fraktionsvorsitzender Manfred Weber (CSU) nach der Abstimmung. Bereits vor Wochen hatten sich die EVP-Fraktion, zu der auch CDU und CSU gehören, Sozialdemokraten (S & D) und Liberale auf einen Kompromiss verständigt. In einer geheimen Abstimmung fehlten nur wenige Stimmen für eine Mehrheit, was besonders unter Konservativen für Erschütterung sorgte. So nannte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), dessen Regierungskoalition im September bereits das schlechtere deutsche Lieferkettengesetz abgeschwächt hatte, die Entscheidung des Parlaments »inakzeptabel« und forderte eine Korrektur. Hinterher wurden Hunderte Änderungsanträge der Fraktionen eingereicht, über die am Donnerstag der Reihe nach abgestimmt wurde.

Was die EVP in der Vergangenheit immer wieder angedroht hatte, um insbesondere die Sozialdemokraten auf Kurs zu halten, ist nun den Angaben nach erstmals bei einer Abstimmung im Europäischen Parlament eingetreten. Die EVP hat die verwässerte Lieferkettenrichtlinie mit den Stimmen von rechtsaußen durch das Parlament gebracht. Ohne Stimmen von EKR, PfE und ESN hätte sich für manche der Änderungsanträge zur Abschwächung des Vorhabens wohl keine Mehrheit gefunden.

Mit der heutigen Abstimmung habe sich »eine große Koalition von rechtsaußen bis zu den Grünen« im Europäischen Parlament formiert, erklärte Özlem Alev Demirel am Donnerstag. Es sei skandalös, dass von dieser Mehrheit nun »ein wirksames Lieferkettengesetz und eine Berichterstattung entlang der Lieferkette endgültig beerdigt wurden«, so die sozial- und arbeitsmarktpolitische Sprecherin von Die Linke im Europäischen Parlament. »Europa steht vor einer neuen politischen Realität, in der rechte Mehrheiten Gesetze bestimmen.« Ähnlich kommentierten die meisten Befürworter einer starken Lieferkettenrichtlinie das Ergebnis. Sofie Kreusch von der Initiative Lieferkettengesetz sagte: »Durch die gemeinsame Mehrheit von Europäischer Volkspartei und rechtsextremen Fraktionen wurde die EU-Lieferkettenrichtlinie bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt – ein politischer Dammbruch mit unmittelbaren Folgen für den Schutz von Menschenrechten und Umwelt sowie die politische Stabilität der EU.«

Die ursprüngliche, im vergangenen Jahr verabschiedete Richtlinie verpflichtete Unternehmen, Menschenrechts- und Umweltprobleme in ihren Lieferketten zu beheben. Bei Verstößen drohten Geldstrafen von bis zu fünf Prozent des weltweiten Umsatzes. Unter anderem hatten die USA und Katar Änderungen gefordert und gewarnt, die Vorschriften könnten ihre Gaslieferungen nach Europa gefährden. Europäische Konzerne wie Total Energies hatten eine vollständige Abschaffung verlangt. Auch vom deutschen BDI kamen regelmäßig Attacken. Vertreter des Parlaments müssen nun mit den EU-Mitgliedstaaten einen endgültigen Text aushandeln.

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