Aus Leserbriefen an die Redaktion
»Arbeitsam und tüchtig«
Zu jW vom 31.10.: »Was die Menschen denken«
Ich sah mir den verlinkten Film »Was denkt der Bundesbürger über die DDR?« von 1974 zweimal an und bin erstaunt über das positive Bild, das viele »normale« Bundesbürger von der DDR hatten. Vor allem die soziale Seite der DDR-Politik wussten sie zu schätzen: niedrige Preise für Lebensmittel und Mieten, bessere Ausbildung, Chancengleichheit, kostenlose Krankenbehandlung, Mitsprache auf Arbeit. »Die Leute haben was geschaffen und sind stolz drauf«; sogar gute (auch marxistische) Bücher und Theater fanden Anerkennung. Ein etwa 12jähriger Junge äußerte nach einem Ferienlageraufenthalt, »die Mädchen in der DDR würden keinen Wert auf finanzielle Dinge legen, sondern auf menschliche Qualitäten«. Die Fußballfans waren voll des Lobes über die Sportförderung in der DDR. Wir als DDR-Bürger waren »arbeitsam und tüchtig«, während man uns nach der »Wende« doch das Arbeiten angeblich erst beibringen musste.
Auch Menschen anderer Ansichten kamen zu Wort: Natürlich »opferten« sich Großaktionäre für die »Arbeitnehmer« und waren als »Demokraten« voll gegen die DDR, die nur »durch Terror« noch existiere. Die NPD-Demonstration durch Würzburg für ein einheitliches Deutschland in den Grenzen von 1938 wurde damals schon durch die Polizei der BRD geschützt. Kaum einer palaverte über »Freiheit« und »Reisefreiheit«, und wenn, dann relativierte sich das schnell durch Arbeitslose, Kinderreiche, von Mieterhöhungen Betroffene. Das Wissen über die Ursachen des »Mehr-tun-für-die-Menschen« im »Ostblock« war (und ist) natürlich gleich null, aber einen Klasseninstinkt gab es wegen eigener sozialer Sorgen noch. Diese positiven Erfahrungen sind inzwischen weitgehend durch Dauerdiffamierung der DDR weggewischt. Und ich frage mich wieder: Warum haben wir das aufgegeben? Und wo fangen wir heute neu an? An die Filme von Dr. Sabine Katins und ihrem Lebensgefährten erinnere ich mich leider nicht. Ich hätte gern die Ursache des Zerwürfnisses zwischen Adameck und den beiden Dokumentarfilmern erfahren.
Martina Dost, Vierlinden
»Von strategischer Bedeutung«
Zu jW vom 5.11.: »Kehrtwende im Kaukasus«
Die Kehrtwende in Armenien fand bereits vor vielen Jahren statt. Ich erinnere mich noch heute an den entschlossen vor den Bergleuten herstapfenden »Arbeiterführer« Paschinjan auf dem Marsch gegen die Korruption gen Jerewan. Das Ganze war die getreue Kopie des Verhaltens eines anderen »Arbeiterführers«. Von dem Polen Lech Wałęsa weiß man inzwischen ziemlich genau, welchem westlichen Geheimdienst er seine Ausbildung und seinen Aufstieg verdankte. Und wie wirksam die entsprechende Inszenierung war. Vor Jahren also Paschinjan und Jerwan statt Wałęsa und Gdańsk. In Jerewan zeigte man uns vor sieben Jahren einen imposanten Neubaukomplex. Das war die US-amerikanische Botschaft mit Platz für etwa tausend Mitarbeiter. In einem Land am Ende der Welt und mit nur drei Millionen Einwohnern. Da war klar: Hier wird Größeres geplant. Etwas von strategischer Bedeutung. Armenien, ein Land zwischen Russland und Iran, der Türkei und Mittelasien, klein und trotzdem geeignet, geopolitische Kontrolle über eine ganze Region des eurasischen Kontinents zu bekommen. Dass die einfachen Armenier bei diesem Ränkespiel irgendwann unter die Räder kommen könnten, spielt keine Rolle. Sie werden ohnhin nur als die Bauern gehandelt, die man beliebig auf dem Schachbrett der Geschichte hin- und herschieben und notfalls auch opfern kann. Auch Paschinjan wird eines Tages erfahren, wie austauschbar die Figuren in solch einem Spiel sind. Trump hat vor Monaten schon Selenskij überaus deutlich gezeigt: Oben bleibt man nur so lange, wie man seinen Herren die gewünschten Erfolge liefern kann.
Joachim Seider, Berlin
Bürger darf sich wehren
Zu jW vom 31.10.: »Einer muss es machen«
Die Aktion gegen den Verfassungsschutz in Bremen fand 1981 in der Graudenzerstraße statt. Die sogenannte Überwachung war illegal und somit diente die Aktion gegen den Verfassungsschutz dem Schutz der Bürger. Spiegel von 1981: »Die Männer, die sich am 24. Juni in der Graudenzer Straße 21 zu Bremen einquartierten, waren vom Verfassungsschutz. Als Handwerker getarnt, schleppten sie Aluminiumkisten und Pappkartons in die Dachwohnung – Mikrophone, Kameras, elektronische Apparaturen. Die beamteten Späher hatten es auf Wohngemeinschaften der Häuser gegenüber abgesehen: Drei der jungen Leute waren bei der Polizei aktenkundig und nun ›Zielpersonen‹ des Verfassungsschutzes. Einer hatte 1978 an einer Antikernkraftaktion teilgenommen; ein anderer war während der Bremer Krawalle bei der öffentlichen Rekrutenvereidigung im vergangenen Jahr mit der Polizei aneinandergeraten; gegen eine dritte Bewohnerin lief ein Verfahren wegen ›Verunglimpfung des Staates‹. Unterdessen formierten sich allerdings die Observierten. Weil ihnen die Haustürforschung ›langsam auf den Geist ging‹ und ›wir eh keinen Bock hatten, uns photographieren zu lassen‹, kamen sie überein, die Verfassungsschützer zu vertreiben. Die Observierten drangen bei den Observanten ein, feuerten das Staatsschutzwerkzeug durchs Fenster und verschreckten die beiden anwesenden Damen vom Dienst zutiefst.« Im nachhinein haben alle Parteien den Einsatz des Verfassungsschutzes gerechtfertigt. Ich war damals mit der Frau befreundet, die wegen »Verunglimpfung des Staates« in Hamburg verurteilt wurde, weil sie öffentlich sagte, dass die RAF-Leute in Stammheim ermordet wurden. Die Kernaussage von Heinrich Hannover ist, dass der Bürger das Recht hat, sich gegen staatliche Übergriffe zu wehren. Leider wird dieses Recht kaum in Anspruch genommen. In der gegenwärtigen Zeit von Kriegsvorbereitung und politischer Rechtsentwicklung sind Taten wichtiger als nur Gerede.
Manni Guerth, Hamburg
Die Kernaussage von Heinrich Hannover ist, dass der Bürger das Recht hat, sich gegen staatliche Übergriffe zu wehren. Leider wird dieses Recht kaum in Anspruch genommen.
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