Massenentlassung durch »Coboter«
Von Yaro Allisat
Mindestens 1,2 Millionen Angestellte schuften allein in den Vereinigten Staaten für den Handelsriesen Amazon, viele davon in den Lagerhallen. Der Konzern ist der zweitgrößte Arbeitgeber in den USA und hat seit seinem Bestehen den Arbeitsmarkt nachhaltig verändert. Nun steht ein weiterer Umbruch an: Die Einstellungskurve soll abflachen, Roboter und künstliche Intelligenz immer mehr Aufgaben erledigen. Rund 600.000 Stellen sollen bis 2033 durch die Automatisierungswelle eingespart werden. Allein bis 2027 sollen etwa 160.000 Neuanstellungen überflüssig werden.
Menschen mit Fleisch, Blut und Hirn würden dann nur noch benötigt, um die Maschinen zu reparieren oder deren Fehler auszubügeln. Das könnte auch auf mehr Teil- und Zeitarbeit hinauslaufen. Sollte Amazon damit Erfolg haben, könnte der Konzern damit auch für andere Unternehmen ein Vorbild werden. Und weil der Unmut seitens der bisherigen Arbeiterschaft sicher nicht ausbleiben wird, wird bereits die Imageaufhübschung anberaumt. Zuerst berichtet hatte die New York Times (NYT), die Einblicke in interne Amazon-Dokumente aus dem vergangenen Jahr erlangt haben will, darunter Planungspapiere, die die ehrgeizigen Automatisierungsbemühungen zeigen.
Seit 2012 treibt Amazon die Automatisierung seiner Betriebsabläufe voran und wirbt damit regelmäßig auf der Unternehmensseite. 2024 hatte das Unternehmen die Gründer des KI- und Roboterkonzerns Covariant angestellt, um seine Automatisierungspläne voranzutreiben. Schon jetzt laufen oft keine Menschen durch die Lagerhallen, sondern Roboter, die die Produkte zwischen den Abfertigungsschritten transportieren. Absehbar will Amazon Berichten zufolge insgesamt 75 Prozent aller Vorgänge automatisieren; das könnte 30 Cent pro verarbeitetem Produkt sparen. Udit Madan, Leiter der globalen Aktivitäten bei Amazon, äußerte gegenüber der Times, dass das Unternehmen seit langem die Einsparungen aus der Automatisierung nutze, um neue Arbeitsplätze zu schaffen, wie beispielsweise bei einer jüngeren Initiative zur Eröffnung weiterer Lieferdepots in ländlichen Gebieten.
Im Strategieplan des Robotikteams, über den die NYT berichtet, stellt sich das Thema allerdings etwas anders dar. Schon jetzt dient das im letzten Jahr eröffnete Lager in Shreveport im Bundesstaat Louisiana demnach vor allem als Vorlage für die Automatisierung anderer Zentren. Rund 1.000 Roboter arbeiten dort, wodurch laut Times ein Viertel der Jobs eingespart wurde. Weitere Roboteranschaffungen sind vorgesehen, wodurch in dem Lager nur noch halb so viele Leute beschäftigt werden sollen. »Mit diesem wichtigen Meilenstein in Sichtweite sind wir zuversichtlich, dass wir die Einstellungskurve von Amazon in den nächsten zehn Jahren abflachen können«, steht laut der Zeitung im Strategieplan. Bis Ende 2027 soll das Modell Shreveport in etwa 40 weiteren Lagern umgesetzt werden. Auch die Auslieferung zu den Kunden soll immer weiter automatisiert werden.
Insgesamt, so die Times, setzt Amazon global bereits etwa eine Million Roboter in den Logistikzentren ein. Mitte des Jahres hatte der Konzern angekündigt, 700 Millionen Euro in die Automatisierung seiner Logistikzentren auf dem europäischen Kontinent zu investieren.
Amazon sagte zu den Enthüllungen der Zeitung, die Pläne stellten nur einen Ausschnitt der Gesamtstrategie dar. Allein bis Weihnachten wolle man 250.000 neue Arbeiter in den USA einstellen. Unklar blieb aber, ob es sich dabei nur um Kurzzeitbeschäftigungen zur Bewältigung des Feiertagsgeschäftes handeln wird. Zur Glättung der Unmutswogen, die in den betroffenen Ortschaften durch den geplanten Wegfall abertausender Jobs absehbar entstehen werden, lässt der Konzern jedenfalls bereits Wohltätigkeitsevents ausrichten. Auch soll intern nicht von »Automatisierung« und »Robotern«, sondern von »neuen Technologien« und »Cobotern« gesprochen werden.
Dabei ist es freilich nicht so, dass das Unternehmen die Einsparungen dringend nötig hätte. Zum Ende des dritten Jahresquartals vermeldete der Branchengigant neue Rekordgewinne: mehr als 21 Milliarden US-Dollar gegenüber etwa 15 Milliarden im Vorjahr. Auch dabei spielte Technologie eine entscheidende, wenn auch anders geartete Rolle: Die guten Geschäftsbilanzen der Internetdienstleistungssparte unter Amazon Web Services (AWS), die weltweit die Hintergrundtechnologie für diverse Websites bereitstellt, und der gesteigerte Umsatz durch den Einsatz eines konzerneigenen KI-Assistenten im Webshop, der das Kerngeschäft Amazons darstellt, trugen erheblich zur Gesamtbilanz bei.
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