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Aus: Ausgabe vom 05.11.2025, Seite 12 / Thema
Wehrpflicht

Jugend ans Gewehr!

Freiwillig zum Bund oder Pflicht? Diskussionsbedarf und Meinungsbildung in Sachen Kriegstüchtigkeit auf dem Weg zu einem zeitgemäßen Wehrdienst
Von Suitbert Cechura
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Die Nation in Reih und Glied, daran soll auch die junge Generation wieder gewöhnt werden. Soldaten der Bundeswehr bei einem Staatsempfang (Berlin, 23.9.2025)

Die Wehrdienstreform sollte im Oktober durch den Bundestag, doch dann kam es zu Verzögerungen. Sozialdemokraten und Christenparteien entdeckten bei eher nachrangigen Verfahrensfragen Differenzen. Da ging es um das notwendige Tempo bei der Reform, um die Alternative Freiwilligkeit oder Verpflichtung zum Dienst an der Waffe, um die Entscheidung durch ein Losverfahren und überhaupt um die brennende Frage der Wehrgerechtigkeit. Lebendige Demokratie, könnte man meinen. Beziehungsweise im Klartext: Profilierung der Kriegstreiber im stinknormalen Konkurrenzkampf der Parteien.

Die Medien sahen aber gleich wieder Stabilität und Ansehen der deutschen Regierung in Gefahr. So sorgte schon die Absage einer Pressekonferenz der Verteidigungspolitiker für Aufregung. Der Parteienstreit zeige den »desaströsen Zustand der beiden Regierungsparteien« (Taz, 16.10.2025). Bild und FAZ sahen in der SPD erneut vaterlandslose Quertreiber am Werk etc. pp. Dabei handelte es sich im Grunde um einen »Scheinkampf«, wie die jW schrieb (16.10.2025): Es bestehen ja »in dieser Frage zwischen SPD und Union gar keine prinzipiellen Unterschiede. Beide wollen die Bundeswehr im großen Stil aufrüsten und personell aufstocken und stellen dafür gemeinsam in den nächsten Jahren Hunderte Milliarden Euro bereit.«

In der – nach allen Regeln der Staatskunst inszenierten – Wehrdienstdebatte ist freilich einiges unterstellt, das nicht unbedingt selbstverständlich ist, auch wenn es unbestritten gilt. Das betrifft als erstes das Verhältnis von Staat und Bürgern, zu dem hier einige Überlegungen beigesteuert werden sollen.

Verfügungsmacht über Leben

Wenn darüber gestritten wird, ob und wie sich die junge Generation freiwillig für den Dienst am Vaterland entscheiden darf und wann es mit der Freiwilligkeit ein Ende hat, ob Frauen ebenfalls dienstverpflichtet werden müssen und ob der Dienst nicht auch auf Ältere auszudehnen ist, dann ist eins unterstellt: Der Staat hat die Macht und damit das Recht, über sein Menschenmaterial frei zu verfügen und es auch zum Einsatz von Leben und Gesundheit zu verpflichten. Dieses Zugriffsrecht wird in der Diskussion von keiner Seite in Frage gestellt, auch wenn junge Menschen gelegentlich reklamieren, dass die geplante Pflicht »ein Eingriff in die Persönlichkeit von Menschen« sei (zdfheute.de, 17.10.2025).

Mit solchen Äußerungen wenden sie sich nicht dagegen, dass der Staat auf seine Volksangehörigen hoheitlich zugreift; Anstoß erregt vielmehr, dass diejenigen, die betroffen sind, vorher nicht gehört wurden. Angemahnt wird ein offeneres Beteiligungsverfahren von jungen Menschen an der Politik: »Ob die Wehrpflicht komme, wie sie komme, für wen sie komme, entscheide die Mehrheit, die davon gar nicht betroffen sei« (so Simon Hoffmann vom Deutschen Jugendrat). Ein Einwand gegen den Inhalt der Entscheidungen ist das nicht gerade!

Mit den neuesten Ansagen wird unübersehbar öffentlichgemacht, wie das grundlegende Verhältnis von Staat und Bürger beschaffen ist. Im Sozialkundeunterricht wird der Staat gerne als Dienstleister für seine Bürgerinnen und Bürger vorgestellt. Nicht erst mit der Wehrpflicht stellt er dieses Verhältnis vom Kopf auf die Füße und für alle klar: Die Bürger haben für ihn da zu sein, indem sie sich für den Reichtum und die Macht der Nation nützlich machen – statt einfach, siehe die Debatte um das Bürgergeld, am Standort herumzudümpeln –, und sie haben letztendlich im Kriegsfall mit Leib und Leben für ihn einzustehen. Diese Verfügungsmacht will niemand aus dem Kreis der Bedenkenträger in Frage stellen. So auch nicht die Maßnahme, dass der Staat jetzt in einem ersten Schritt alle 18jährigen Männer anschreibt und sie verpflichtet, Auskunft zu geben, nämlich über Bildungs- und Gesundheitsstand, über Interesse und Bereitschaft, das eigene Leben für den Staat aufs Spiel zu setzen. Dies alIes gilt als eher bürokratischer Akt, der weiter keine Aufregung wert ist.

Mit der Verpflichtung der jungen Männer zur Antwort meldet er aber sofort sein Zugriffsrecht auf diesen Personenkreis an (und beginnt auch mit der Abfrage bei jungen Frauen), denn schließlich dient der Fragebogen keiner Meinungsumfrage, sondern dem Wieder- bzw. Neuaufbau einer Behörde – der Kreiswehrersatzämter. Der Staat will sich ein Bild über Umfang und Zustand des Menschenmaterials verschaffen, das er gegebenenfalls zum Wehrdienst verpflichten wird: »Mit der Aussetzung der verpflichtenden Einberufung zum Grundwehrdienst durch das Wehrrechtsänderungsgesetz vom 28. April 2011 (BGBl. I, S. 678) sind auch die Strukturen für eine Wehrerfassung, Musterung und Einberufung zum Grundwehrdienst (insbesondere die 52 Kreiswehrersatzämter) weggefallen, obwohl die auf Artikel 12 a des Grundgesetzes (GG) und dem Wehrpflichtgesetz (WPflG) beruhende Wehrpflicht für deutsche Männer als potentielle Verpflichtung weiterbesteht« (Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Wehrdienstes – Wehrdienstmodernisierungsgesetz, WDModG).

Denn die Verpflichtung zum Dienst mit der Waffe besteht seit Einführung der Bundeswehr. Von dieser Verpflichtung hat der Staat nur seit 2011 keinen Gebrauch mehr gemacht, was mit diesem Gesetz nun wieder geändert werden soll. Dass er den Personenkreis »zunächst« – wie die Kompromissformel im Koalitionsvertrag lautet – einschränkt, ist der mangelhaften militärischen Infrastruktur geschuldet. Deren Mängel sollen nicht nur mit dem aktuellen Gesetzesvorhaben, sondern auch mit umfangreichen finanziellen Mitteln für bürokratische Infrastruktur, Nutzung entsprechender »Liegenschaften« etc. beseitigt werden. Im Gesetz wird dann auch gleich die Ausdehnung der Erfassung in Aussicht gestellt:

»Der neue Wehrdienst basiert zunächst auf Freiwilligkeit, enthält mit der für Männer verpflichtenden Bereitschaftserklärung und der Wiedereinführung der Musterung von vornherein aber auch verpflichtende Elemente. Zudem wird der Bundesregierung die Möglichkeit eingeräumt, mit Zustimmung des Bundestags die verpflichtende Heranziehung von Wehrpflichtigen zu veranlassen, wenn die verteidigungspolitische Lage dies erfordert und attraktivitätssteigernde Maßnahmen zur Erhöhung der freiwilligen Bewerbungen nicht rechtzeitig wirksam werden« (WDModG).

Insofern gehören Meldungen wie »Pistorius setzt auf Freiwilligkeit« oder Söders Klage über die »Wischiwaschi-Wehrpflicht« der Sozialdemokraten (mdr.de, 6.10.2025) in die Welt der Fake News. Freiwilligkeit oder Verpflichtung benennt hier gar keinen Gegensatz in der Sache. Vaterland verpflichtet – das hat jedem Patrioten klar zu sein, wenn er sich an der öffentlichen Debatte beteiligt. Die besagte Unterscheidung verdankt sich lediglich einer pragmatischen Vorgehensweise, um Kriegstüchtigkeit bei den nachwachsenden Generationen herzustellen: hier bei der Beschaffung von Übersichtsdaten in Sachen potentielles menschliches Wehrmaterial und beim Wiederaufbau der Strukturen. Denn es braucht Musterungskapazitäten, die aktuell nicht ausreichend vorhanden sind. Bis 2027 (gerne auch früher) soll dieser Mangel dann behoben sein.

Freiheit wird gewährt

Die Debatte über die Alternative Freiwilligkeit statt Verpflichtung erzeugt den Anschein, als ginge es um ein Zugeständnis an die in Frage kommenden Jugendlichen. Sie dürfen, das heißt sollen, sich freiwillig zu dem bereitfinden, wozu sie die Politik benutzen will, nämlich als menschliches Gewaltpotential gegenüber anderen Staaten in Aktion zu treten. Doch mit der Begrenzung der Freiwilligkeit, die so lange gelten soll, wie damit das angestrebte Ziel der personellen Aufrüstung erreichbar ist, wird deutlich, dass der freie Wille in dieser Gesellschaft nur so lange zählt, wie er sich in den von der Politik vorgegebenen Bahnen bewegt. Tut er dies nicht, stehen Gesetzesreformen an, die dem Willen neue Grenzen setzen.

Auch hier zeigt sich genau das Gegenteil von dem, was Sozialkundelehrer ihren Schülern beizubringen versuchen: Die Politik ist nicht Ausdruck des Bürgerwillens, schließlich wird dieser in Wahlen gar nicht abgefragt, sondern nur das Votum für Politiker, die in ihren Entscheidungen frei, eben ihrem »Gewissen« verantwortlich, sind – wobei sich dieses Gewissen, anders als im Verfahren der Kriegsdienstverweigerung (KDV), nie auf seine Ernsthaftigkeit überprüfen lassen muss. Die Politiker geben vielmehr ihren Bürgern in Gesetzen vor, was ihr Recht ist und was nicht, in welchem rechtlichen Rahmen sie sich also bewegen dürfen. Dazu bedarf es in den Augen der Politik auch einer entsprechenden Willensbildung der Bürger, die ja keine Untertanen mehr sind. Im konkreten Fall heißt das: »Der neue Wehrdienst soll durch eine deutlich gesteigerte Attraktivität, Wertschätzung und einen sinnhaften, anspruchsvollen Dienst die Bereitschaft zum Wehrdienst dauerhaft und signifikant steigern« (WDModG).

Aber klar: Auch wenn mit dem Gesetz materielle Anreize für den Dienst bei der Bundeswehr geboten werden, so sollen sich junge Leute nicht nur aus materiellen Gründen für den Dienst mit der Waffe entscheiden, schließlich soll er »sinnvoll« und über jeden politischen Zweifel erhaben sein. So wird nicht nur von seiten der Bundeswehr, sondern auch durch Parteien und Medien das Bild der Vaterlandsverteidigung gepflegt, in der es immer nur um den Schutz der Heimat geht, auch wenn das deutsche Militär Jugoslawien angreift oder in Afghanistan einmarschiert und dort jahrzehntelang ein wüstes Besatzungsregime praktiziert. Stets wird dazu das Bild von der russischen Bedrohung bemüht: »Schon jetzt sind vermehrt Angriffe in hybrider Form auf Netze und kritische Infrastrukturen zu verzeichnen. Mit seinem Handeln stellt Russland die europäische Sicherheitsordnung fundamental in Frage. Russland wird auf absehbare Zeit die größte Gefahr für die Sicherheit in Europa bleiben und schafft militärisch die personellen und materiellen Voraussetzungen dafür, um innerhalb weniger Jahre in der Lage zu sein, NATO-Territorium angreifen zu können« (WDModG).

Zwar schafft auch Deutschland gerade die personellen und materiellen militärischen Voraussetzungen dafür, einen Krieg gegen Russland führen zu können, aber eine Bedrohung für Russland soll an solchen Maßnahmen nicht abzulesen sein. Bei uns ist alles defensiv, bei Präsident Wladimir Putin nur offensiv, obwohl der seine Absichten und rote Linien nie verborgen hat: Die bestehen in der Verhinderung der Ukraine als Aufmarschgebiet der NATO. Eben weil er sich bedroht fühlt – und wer könnte Russland dieses Gefühl verdenken? NATO-Politiker, die gerade ihre Offensive vorbereiten, können das natürlich.

Von ihnen werden laufend ominöse »hybride Angriffe« bemüht, die den aggressiven Charakter Russlands beweisen sollen, auch wenn sich immer wieder zeigt, dass ein Beweis für diese Täterschaft nicht geführt werden kann. Aber der Verdacht genügt. Klassisch der Fall Nord Stream 2, der Putin in die Schuhe geschoben wurde, obwohl zahlreiche Indizien in Richtung Verbündete weisen. Und so manche Drohne hat sich als Schmugglerballon oder ähnliches erwiesen. Bei der bedrohlichen Schattenflotte Russlands handelt es sich um nichts anderes als die übliche Anmietung von Schiffskapazitäten, die auch deutsche Reeder praktizieren, um unter auswärtiger Flagge bei Steuern und Lohnzahlungen zu sparen.

Bedrohlich ist die Schattenflotte deshalb, weil die NATO inzwischen die ganze Ostsee als ihr Territorium beansprucht, obgleich es sich um internationale Gewässer handelt. Dennoch kapern NATO-Staaten durchfahrende Schiffe und schaffen so den Beweis einer Bedrohungslage: Sie müssen handeln! Dabei stellt sich eigentlich die Frage, wer hier wen bedroht. Das gleiche gilt für den Luftraum, der durch anfliegende Düsenjäger nach Kaliningrad verletzt wird. Durch die ständigen Wiederholungen der Verdächtigungen werden so die »Fakten« einer Lagebeschreibung geschaffen, die Deutschland zur Aufrüstung zwingt.

Wen das Los trifft

Wenn die Freiwilligkeit nicht das gewünschte Resultat in Sachen personeller Aufrüstung erzielt, steht die Verpflichtung an. Soweit der »schwarz-rote« Konsens. Ein eingeschränkter Personenkreis wird ins Auge gefasst, weil nicht alle für den Dienst an der Waffe gebraucht werden und wegen fehlender Kapazitäten auch nicht eingezogen werden können. Damit stellt sich die Frage, wie die Auswahl zu treffen ist. Die Regierungsparteien einigten sich zwischenzeitlich auf ein Losverfahren, durch das diejenigen ermittelt werden sollen, die gemustert und eingezogen werden. Das hat den regierenden Parteien die erwähnten Vorwürfe eingebracht: »Schwarz-roter Dilettantenstadl« (Taz), »total amateurhaft« (Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen), »Losbudenverfahren« (Niklas Wagner, ebenfalls Grüne), was dann auch noch Gegenstand einer gar nicht lustigen Satiresendung war (»Heute-Show« im ZDF, 17.10.2025).

Der Kompromiss wurde aber durch Kriegsminister Boris Pistorius für nichtig erklärt, »weil das Eignung und Motivation außen vor lässt (…). Eine flächendeckende Musterung ab 2027 sei zudem nötig für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr im Ernstfall« (Deutsche Welle, 15.10.2025). Das bereicherte die Debatte gleich in doppelter Hinsicht: Zum einen ging es darum, welches Verfahren der Würde des Dienens für die Nation entspricht. Zum anderen war die Frage nach der Wehrgerechtigkeit aufgeworfen.

Der Entwurf des Kriegsministers, der zur Zeit in der weiteren Abstimmung der Koalitionäre ist, sieht die vollständige Musterung eines Jahrgangs ab 2027 vor; Pistorius will sich so einen kompletten Überblick über den Zustand seines (zunächst männlichen) Menschenmaterials verschaffen, auf das er auch kurzfristig im sogenannten Spannungsfall zugreifen will. Die Kritik aus Reihen der CDU richtete sich gegen den fehlenden Automatismus zur Einführung der Pflicht. Die enthielt der Gesetzentwurf zwar ebenfalls, aber er ließ offen, wann sie greift – garantiert im Spannungsfall –, und sie wurde von einem Beschluss des Bundestages abhängig gemacht. Die Auslosung galt da einfach als gerecht, da nicht alle wehrfähigen jungen Männer gebraucht werden.

Im Maßstab sind sich beide Parteien einig: Der Staat soll jederzeit über den Umfang an Soldaten verfügen, den er für notwendig erachtet: »Im Falle der Landes- und Bündnisverteidigung ist insgesamt von einem notwendigen Verteidigungsumfang von 460.000 Soldatinnen und Soldaten einschließlich der Reserve auszugehen« (WDModG). Da melden sich natürlich gleich Militärexperten zu Wort, die den Nachschubbedarf an Menschenmaterial in den ersten Kriegstagen genau angeben können: »Warum es eine Musterungspflicht braucht, ist für Masala (Professor an der Bundeswehr-Hochschule München, S. C.) auch völlig klar. Man müsse sich nur einmal ansehen, wie es im Ukraine-Krieg laufe. Sollte die Bundeswehr mit etwa 200.000 Soldat:innen in den Krieg ziehen, würde nach einigen Monaten ein Drittel tot oder verletzt – also nicht mehr einsatzfähig – sein. Dann braucht es neues Kanonenfutter, das die Lücken auffüllen kann« (perspektive-online.net, 12.4.2025). Als was man die zukünftigen Wehrpflichtigen betrachten soll, daraus macht dieser berufene Mann also keinen Hehl. Auch der Präsident des Reservistenverbandes der Bundeswehr hat so seine Berechnungen: »Im Falle eines Krieges müssten geschätzt 1.000 getötete oder verwundete Soldaten pro Tag ersetzt werden« (spiegel.de, 22.10.2025).

Wer aus einem Jahrgang an die Front soll und wer sich um sein berufliches Vorankommen kümmern darf – das muss natürlich so geregelt sein, dass die Auswahl den Betroffenen irgendwie einleuchtet. Mit dem Los soll die Auswahl zwar willkürlich, aber damit auch schicksalhaft erfolgen. Andere plädieren für »objektive« Kriterien, die auch früher bei der Bundeswehr gegolten haben. Die Auswahl für die Einberufung erfolgte da nach dem Grad der Tauglichkeit, wobei nicht der »objektive« physische Zustand der Betroffenen ausschlaggebend war. Der Bedarf der Bundeswehr gab vielmehr vor, wie viele voll Taugliche oder eingeschränkt Taugliche einberufen wurden.

Kriegs-, Zivil- oder Arbeitsdienst

Da im Grundgesetz das Recht auf Kriegsdienstverweigerung festgeschrieben ist, muss dem auch im neuen Wehrpflichtgesetz Rechnung getragen werden: »Der Gesetzentwurf sieht daher vorsorglich entsprechende Anpassungen im Kriegsdienstverweigerungsgesetz und im Zivildienstgesetz vor. Sofern das Recht auf KDV greift, muss die Ableistung eines Ersatzdienstes organisiert und tatsächlich vollzogen werden; ansonsten wäre der bloße KDV-Antrag ein Mittel, dem Wehrdienst zu entgehen« (WDModG).

Eins darf es natürlich nicht geben: dass sich junge Menschen vor dem Dienst für den Staat drücken. Und sofort wird die Diskussion über ein Pflichtjahr für junge Frauen und Männer wieder belebt – mit Unterstützung von ganz oben. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der in Frage stellte, ob ein Losprinzip das geeignete Verfahren sei, hat sich schon mehrfach für eine Dienstpflicht für alle ausgesprochen – gleichgültig, ob Wehrdienst oder sozialer Dienst. Auch die Grünen können bei diesem Thema nicht abseitsstehen: »Mehrere Dutzend Grüne fordern eine Dienstpflicht für junge Menschen. Das Militär soll nicht allein im Zentrum stehen« (Taz, 20.10.2025). Schließlich werden im Krieg alle Hände gebraucht, nicht nur an der Waffe, auch im Lazarett und in der Rüstungsindustrie (wobei es für die Wirtschaft ja bereits die Rechtsgrundlage in den Notstandsgesetzen gibt).

Wie der neue Arbeitsdienst dann heißen soll, dafür gibt es auch genügend Ideen. So könnte er als ein »Gesellschaftsjahr« (Niklas Wagner, Grüne) firmieren, bei dem die Verpflichteten die Wahl haben, wo sie sich für den Staat nützlich machen dürfen – ob bei der Feuerwehr, im Umweltschutz oder im Pflegeheim. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretsch­mann (Grüne) schlägt ein »republikanisches Jahr« vor und bayerische Vertreter der Grünen sind für einen obligatorischen »Freiheitsdienst«. Demokratische Freiheit verwirklicht sich eben in einem verpflichtenden Dienst: In dieser Sache sind sich die streitenden Parteien einig.

Jeder ein Kriegsminister

Die umfangreiche Berichterstattung über die Alternativen der Wehrdienstreform dient der Meinungsbildung der Bürger. Sie werden gedanklich in die Planungen der Regierenden miteinbezogen, sie können und sollen dazu auch Stellung beziehen. Das findet der Kriegsminister äußerst wichtig: »Dieses Thema verdient eine ehrliche und offene Debatte, weil es das Leben vieler, vieler Menschen betrifft« (mdr.de, 17.10.2025). Dass diese Alternativen die Vorbereitung auf einen Krieg bedeuten, bleibt so nicht verborgen; auch nicht der Gegner. Dass es sich bei diesem um Russland mit Putin an der Spitze handelt, gilt nach Jahren der »Meinungsbildung« durch die Medien als selbstverständlich. Jetzt geht es darum, die Menschen auf die persönliche Beteiligung an diesem Krieg einzustimmen.

Dazu werden die Alternativen vorgestellt, und jeder Bürger kann sich ideell in die Rolle des Kriegsministers begeben, der die personelle Aufstockung der Bundeswehr plant. Die gedankliche Einbeziehung der Bürger in diese Planung heißt aber nicht, dass sie dabei etwas zu entscheiden oder zu beeinflussen hätten. Sie kommen in diesen Planungen lediglich als die Verplanten vor. Dass es gegen diese Planungen Widerstand von seiten der Betroffenen gibt, ist von den Regierenden bei ihrer Diskussion nicht vorgesehen. Wenn die Bürger sich in solche Planungsfragen gedanklich einklinken, dann haben also die Politiker im Prinzip schon gewonnen. Hinzu kommt, dass diese sich der Unterstützung der Leitmedien sicher sein können. Von denen kommen dann konstruktive Beiträge wie etwa der Hinweis, dass die Einberufung durch Losentscheid eigentlich eine lange Tradition hat oder dass es eine absolute Wehrgerechtigkeit nicht geben kann (vgl. SZ, 25.10.2025).

Wenn von seiten der Betroffenen Einwände erhoben werden, die die Politik beeindrucken, dann sind sie, wie ein Beispiel der Schülervertretungen zeigt, positiver Natur: »Der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Gärtner fordert mehr Mitsprache seiner Generation. Man müsse sich mit jungen Menschen auseinandersetzen, wenn man diese für die Landesverteidigung wolle (…). Die Debatte werde von oben herab geführt« (deutschlandfunk.de, 18.8.2025). Eine seltsame Forderung, die gar nicht in Frage stellt, was da von oben herab diskutiert wird, sondern nur die eigene Beteiligung vermisst und diese sogleich als positiven Beitrag zur Aufrüstung empfiehlt. So erweist sich der besagte Sekretär als sehr gelehriger Schüler, der begriffen hat, wozu eine solche Debatte taugt.

Suitbert Cechura schrieb an dieser Stelle zuletzt am 24. Oktober 2025 über Betriebsräte im Dienst ihrer Unternehmen: »Stets kompromissbereit«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (9. November 2025 um 13:43 Uhr)
    Das Wort »gerecht« bzw. »Gerechtigkeit« fristet im Grundgesetz leider nur ein Aschenputteldasein. Nur die Entschädigung bei der Enteignung Vermögender hat »gerecht« zu sein (Artikel 14). Ansonsten wird Gerechtigkeit in Artikel 1 zwar als Bedingung für den Frieden in der Welt genannt, gleichzeitig aber auch auf die Umsetzung der Menschenrechte des GG beschränkt und somit der abseits davon laufenden Politik eine Lizenz zum Blödsinn ausgestellt. Der darf dann der vollkommen machtlose Bundespräsident allenfalls noch den Anstrich der Gerechtigkeit geben (Artikel 56). Gewiss sind die Grundrechte des GG eine ganze Menge. Gerechtigkeit ist aber mehr. Dass die Rechtssprechung zur Wehrgerechtigkeit etwa fordert, dass der Zivildienst allenfalls um die Länge einer Wehrübung über die Mindestwehrdienstzeit hinausreichen darf, übersieht zwei viel größere Ungerechtigkeiten: Zum einen, dass Frauen von der Wehrpflicht ausgenommen werden. Und zum anderen, dass die Belastung eines Soldaten im Krieg sehr viel größer ist als die Belastung eines Zivilisten durch den Krieg. Dass Frauen nicht dienen müssen, deutet auf ein recht überkommenes Frauenbild hin, das der Frau allenfalls die drei K zugesteht: Kinder, Küche und Kirche. Wer sagt denn, dass eine Frau kein Auto fahren kann? Es heißt doch vielmehr, dass Frauen sogar die besseren Autofahrer sind. Warum sollen sie das dann nicht auch an der Front sein können? Und selbstverständlich ist der Einsatz an der Front viel belastender als das Dasein eines Zivilisten. Das Risiko von Verwundung, von tödlicher Verwundung und von lebenslanger Traumatisierung, warum bleibt das bei der Wehrgerechtigkeit außen vor? Das Losverfahren ist für mich nur eine absurde Herumdrückerei um derlei Fragen. Statt derlei Herumdrückerei fordere ich den Mut zu Gerechtigkeit. Und die fängt in den Köpfen an, auch in den Köpfen der Politiker, die sich mit ihrer »passiven Aggressivität« gegenüber Russland dieses Land über Jahrzehnte hinweg zum Feind aufgebaut hatten. Wozu die westlichen Fakenews über vorgebliche russische Angriffsabsichten gegen ganz Europa? Wozu die Aufkündigung diverser Rüstungsbegrenzungsverträge? Wozu der Bruch des Versprechens, auf eine NATO-Osterweiterung zu verzichten? Wozu die völkerrechtswidrige Einmischung in die Unruhen auf dem Kiewer Maidan? Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen. Da ist es für mich sehr ungerecht, dass vollkommen schuldlose Jugendliche ihren Kopf für die von westlicher Machtgier und westlichem Wahndenken fabrizierten politischen Fehler hinhalten sollen. Wenn man die Entscheidung über die politischen Fragen nunmehr den Waffen und dem zu vergießenden Blut der Soldaten überlassen will, macht man es sich intellektuell zu einfach. Natürlich wird es sehr, sehr schwer, nach den vielen Völkerrechtsbrüchen des Westens wieder Vertrauen aufzubauen. Wenn man meint, angesichts der selbstproduzierten Krise wehrfähig sein zu müssen, dann kommt dafür aus meiner Sicht aber nur ein freiwilliger Wehrdienst in Frage. Ich halte es für vertretbar, eine hinreichende Zahl von Freiwilligen für so einen Dienst allein mit diversen, den tödlichen Risiken entsprechenden Vorzügen gegenüber alternativ abzuleistenden Zivildiensten zu gewinnen. Leben und Gesundheit sind deutlich höhere Werte als 15 Monate Zeit, die mal den Wehrpflichtigen drückten. Und wer Leben und Gesundheit von einem Staatsbürger im Kriegsdienst fordert, der sollte sich das auch entsprechend mehr kosten lassen. Schließlich müssen derartige Vorteile auch stetige Zweifel an der Sinnhaftigkeit kriegerischer Problemlösungskonzepte ausbügeln. Wer der Angreifer ist, das ist ja sehr oft alles andere als eindeutig. Auch im Ukraine-Krieg. Schon das alte indische Mahabharata-Epos spielt mit der Unentscheidbarkeit der Schuldfrage in einem Krieg. Wer da mit propagierter Eindeutigkeit Schuld zuweist, der will damit meist nur vor der Vielfältigkeit aller Ursachen den eigenen Kopf in den Sand stecken. Dummheit aber rechtfertigt keinen Krieg.

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