Vor dem Krieg
Von Volker Hermsdorf
Die USA ziehen den militärischen Ring um Venezuela immer enger. Der seit Jahrzehnten größte Flottenaufmarsch in der Karibik, verbunden mit Drohungen aus dem Umfeld von Donald Trump, ist ein klares Signal, dass Washington gegenüber der Regierung in Caracas auf Gewalt setzt. Berichte mehrerer US-Medien, die vom Weißen Haus nur halbherzig dementiert wurden, nähren Befürchtungen, dass Luftangriffe oder Landoperationen unmittelbar bevorstehen. Während lateinamerikanische Nachbarländer, die Vereinten Nationen und selbst Teile des US-Kongresses zur Besonnenheit mahnen, drängen Hardliner um US-Außenminister Marco Rubio und die kürzlich mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete ultrarechte venezolanische Oppositionspolitikerin María Corina Machado auf eine Eskalation. Jüngste Recherchen der Agentur Reuters belegen, dass sie eine zentrale Rolle bei der Vorbereitung eines möglichen Angriffs spielt.
Aus venezolanischer Sicht wirkt die bedrohliche Konzentration gegnerischer Streitkräfte in der Karibik wie die finale Sequenz eines Agentenfilms: Seit Wochen reaktiviert und modernisiert das US-Militär in Puerto Rico und auf den Jungferninseln stillgelegte Marinebasen aus der Ära des Kalten Krieges. Die Stützpunkte liegen nur 800 Kilometer von der venezolanischen Küste entfernt. Laut Recherchen, die Reuters am Sonntag nach der Auswertung von Satellitenbildern, Flug- und Schiffsbewegungen sowie Social-Media-Daten veröffentlichte, werden gleichzeitig zivile Flughäfen zur Unterstützung möglicher militärischer Operationen ausgebaut. Dazu kreisen B-52-Bomber über dem Karibischen Meer, US-Streitkräfte führen verstärkt Manöver und Aufklärungsflüge durch. Mit der größten Militärpräsenz seit der Invasion Panamas im Jahr 1989 sind alle Elemente für Einsätze innerhalb Venezuelas vorhanden. Und die Hemmschwelle sinkt von Tag zu Tag. Seit Anfang September versenkten US-Militärs mindestens 15 angebliche Drogenboote, wobei mehr als 60 zivile Besatzungsmitglieder getötet wurden. Die Vereinten Nationen und oppositionelle US-Politiker kritisierten die Einsätze als völkerrechtswidrige »außergerichtliche Hinrichtungen«. Von derartigen Attacken bis zu ebenfalls völkerrechtswidrigen Aktionen auf venezolanischem Territorium ist es nicht mehr weit.
Dass Washingtons Interesse über den Kampf gegen den Drogenhandel hinausgeht, zeigen Aussagen von US-Beamten gegenüber dem Wall Street Journal. Nach deren Angaben habe die Regierung bereits »Ziele für Luftangriffe in Venezuela identifiziert, darunter militärische Einrichtungen, Häfen, Flughäfen und Marineanlagen«, berichtete die Zeitung am Donnerstag. Der regierungsfreundliche Miami Herald meldete einen Tag später, die Entscheidung sei bereits gefallen. Die Angriffe könnten »innerhalb von Tagen oder sogar Stunden« erfolgen. Das Ziel sei die Zerschlagung der Drogenkartelle »Tren de Aragua« und »Cártel de los Soles«, die unter Kontrolle des venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro stünden, so die Quellen. Nach den Veröffentlichungen bestritt Trump, einen Angriff auf Venezuela zu erwägen. »Nein, das stimmt nicht«, erklärte er am Wochenende an Bord der Air Force One gegenüber Journalisten. Auch Außenminister Marco Rubio dementierte entsprechende Vorbereitungen. Diese Aussagen stehen jedoch im Widerspruch zu den militärischen Aktivitäten.
Am Sonnabend veröffentlichte das Südkommando der US-Streitkräfte (Southcom) ein Video, das Einheiten des Marine Corps in Puerto Rico beim Training von Landungsmanövern zeigt, untermalt von martialischer Musik. Die Bilder erinnerten an Hollywood-Kriegsfilme, kommentierte die spanische Agentur Efe. Ein großes Luftkissenfahrzeug, das Truppen, Fahrzeuge und Ausrüstung transportiert, »Apache«-Kampfhubschrauber, amphibische Angriffsfahrzeuge, Kommandoeinheiten im Dschungel. »Was sich gerade in der Karibik abspielt, erscheint wie die Chronik eines angekündigten Krieges«, kommentierte selbst der Maduro gegenüber kritisch eingestellte Spiegel. Das Magazin verweist darauf, dass die vor der Küste des Landes aufgebaute Streitmacht zwar »zu groß ist, um lediglich Drogenschmuggler zu bekämpfen«, eine militärische Intervention jedoch ein unkalkulierbares Risiko darstelle. Eine Invasion erfordere vermutlich Hunderttausende Soldaten und könne in einem humanitären Desaster enden, so die Analyse. Die Forderung Machados nach einer Eskalation bezeichnete der Spiegel deshalb als »unverantwortlich«.
Die Galionsfigur der extremen Rechten, die ihren »Friedenspreis« Donald Trump widmete, spielt eine Schlüsselrolle bei der Vorbereitung eines Krieges in der Region, die sich selbst als »Zone des Friedens« versteht. Wie Reuters am Dienstag vergangener Woche berichtete, koordiniert Machado bereits seit Trumps erneutem Amtsantritt im Januar mit den Falken in dessen Kabinett die Strategie zum Sturz der Regierung in Caracas. Bei mindestens acht Treffen mit Außenminister Marco Rubio, Trumps ehemaligem Nationalen Sicherheitsberater Mike Waltz und Mauricio Claver-Carone, einem Lobbyisten für härtere Sanktionen gegen Kuba und Venezuela, sowie weiteren Hardlinern lieferte ihr Team konstruierte »Beweise« für die angebliche Steuerung krimineller Drogenbanden durch Maduro. Die unbelegten und von US-Geheimdiensten intern angezweifelten Behauptungen wurden zur Grundlage der aktuellen Eskalation. Machados Kalkül ist durchsichtig: Da sie im eigenen Land mittlerweile selbst von anderen Regierungsgegnern abgelehnt wird, setzt sie auf eine militärische Lösung von außen. Im Gegenzug verspricht sie die Überlassung der venezolanischen Ölressourcen an US-Konzerne.
Hintergrund:
Nach Art der Monroe-Doktrin
Die derzeitige US-Militärpräsenz in der Karibik markiert lediglich den vorläufigen Höhepunkt einer langjährigen Regime-Change-Strategie gegen die venezolanische Regierung. Laut Berichten mehrerer US-Medien gingen dem aktuellen Flottenaufmarsch in den vergangenen Monaten verdeckte Geheimdienstoperationen voraus. So sollen etwa US-Agenten versucht haben, den Piloten von Präsident Nicolás Maduro für eine Entführung zu gewinnen. Unterdessen erklärte der ehemalige US-Elitesoldat Jordan Goudreau, Organisator der 2020 gescheiterten Söldneroperation »Gideon«, in Interviews mit den Portalen The Grayzone und RT, das »Cártel de los Soles« – mit dem Washington Maduro in Verbindung bringt – sei in den 1990er Jahren von der CIA geschaffen worden, um verdeckte Finanzströme aus dem Drogenhandel zu kontrollieren.
Die Pläne zur Entführung des Präsidentenflugzeugs wurden kürzlich von der Agentur AP enthüllt, die sich auf Insider aus US-Behörden und venezolanischen Oppositionskreisen berief. Demnach versuchte Edwin Lopez, ein Agent des Department of Homeland Security und damaliger Attaché der US-Botschaft in Santo Domingo, Maduros Piloten in der Dominikanischen Republik anzuwerben. Der venezolanische Brigadegeneral Bitner Villegas sollte das Flugzeug unbemerkt auf einen US-Stützpunkt umleiten, wo der Präsident festgenommen werden sollte. Während der über 16 Monate laufenden Operation habe Lopez den Piloten zuletzt auch mit dem Hinweis auf das von Washington angebotene Kopfgeld von 50 Millionen US-Dollar zu ködern versucht. Nachdem Villegas das Angebot ablehnte, sei er mit Drohungen und einer gezielten Diffamierungskampagne konfrontiert worden – angeführt vom früheren US-Sicherheitsbeamten Marshall Billingslea, einem engen Kontaktmann der venezolanischen Opposition. Verteidigungsminister Vladimir Padrino López machte den Plan später öffentlich und erklärte, die »kognitive Kriegführung gegen Angehörige der Streitkräfte« sei gescheitert.
Parallel dazu erschüttern weitere Enthüllungen die Glaubwürdigkeit der Darstellung von Maduros angeblichen Verbindungen zum Drogenhandel. Der erwähnte Jordan Goudreau sagte, die USA nutzten den »Kampf gegen den Drogenhandel« als Vorwand, um militärisch gegen Venezuela vorzugehen. Dass das »Cártel de los Soles« eine Schöpfung der CIA ist, sei »kein Geheimnis. Die Förderung des Drogenhandels durch die CIA über diese Gruppe ist gut dokumentiert.«
Seiner Ansicht nach dienen die Vorwürfe gegen Maduro und die US-Militärpräsenz vor allem dem strategischen Ziel, den russischen und chinesischen Einfluss in der Region einzudämmen. Dies sei eine klassische Anwendung der Monroe-Doktrin zur Sicherung US-amerikanischer Vorherrschaft. (vh)
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