Widerstand ungebrochen
Von Julieta Daza, Caracas
Tausende Jahre, bevor Christoph Kolumbus 1492 die Antillen erreichte, lebten in der Region der Karibik verschiedene Bevölkerungen – unter ihnen die »Caribe«, die diesem Meer zwischen Süd- und Nordamerika seinen Namen verliehen. Die karibischen Bevölkerungen lebten vom Fischfang und von der Landwirtschaft, stellten Werkzeuge und Kunstgegenstände aus Stein, Keramik und Metall her und waren erfahrene Seefahrer, weshalb sie ihre Umgebung sehr gut kannten. Von einer »Entdeckung« der karibischen Inseln und Amerikas durch Spanien kann deshalb nur in einer eurozentrischen Erzählung die Rede sein.
Dennoch veränderte die europäische Eroberung und Kolonisierung des karibischen Raumes dessen Geschichte für immer. Die Karibik wurde für die kolonialen Großmächte zu einer geopolitisch strategischen und umkämpften Region. Wer die Karibik kontrolliere, kontrolliere Amerika, hieß es ab dieser Epoche; einer Epoche des Kolonialismus, des Völkermordes an Indigenen, der Versklavung und Verschleppung von Afrikanern nach Amerika und der Plünderung von Ressourcen und Schätzen.
Unabhängig abhängig
Nachdem Anfang des 19. Jahrhunderts viele lateinamerikanische Nationen ihre Unabhängigkeit von Spanien oder anderen europäischen Staaten erkämpft hatten, sahen die Vereinigten Staaten im Jahr 1823 eine Möglichkeit für die Durchsetzung ihrer imperialistischen Interessen und erklärten unter der Devise »Amerika den Amerikanern« die sogenannte Monroe-Doktrin zum Prinzip ihrer Außenpolitik.
Unter dieser Doktrin lehnten die USA vorgeblich eine mögliche Einmischung europäischer Mächte in amerikanischen Ländern ab, schafften jedoch eigentlich die Grundlage für eigene Interventionen in lateinamerikanischen und karibischen Staaten. Mehrere Änderungen und Ergänzungen an der Doktrin in den folgenden Jahren legten die wahren Interessen immer deutlicher offen. Die sogenannte Hayes-Novelle von 1880 zum Beispiel legte Mittelamerika und die Karibik als exklusive Einflussbereiche der Vereinigten Staaten fest.
Laut dem Sozialforscher und Aktivisten Jesús »Chucho« García hat es seit 1492 nicht ein Jahrhundert gegeben, in dem sich eine ausländische Großmacht nicht militärisch oder politisch in irgendeine karibische Nation eingemischt hat. Heute hat eine Mehrzahl der über 45 Territorien der Karibik immer noch Verhältnisse, die man als kolonial beschreiben könnte: Es gibt unter anderem französische und britische Überseegebiete, US-Außengebiete sowie Staaten oder Gemeinden, die dem »British Commonwealth of Nations« oder dem Königreich der Niederlande angehören. Zudem bedrohen zahlreiche US- und NATO-Militärstützpunkte den Frieden in der Karibik.
Angesichts dieser vom Kolonialismus und Imperialismus geprägten Geschichte sowie angetrieben von der Überzeugung, die Integration zwischen den lateinamerikanischen und karibischen Staaten und somit ihre Unabhängigkeit, Souveränität und Selbstbestimmung zu stärken, gründeten die damaligen revolutionären Präsidenten Kubas und Venezuelas, Fidel Castro und Hugo Chávez, im Jahr 2004 das, was wir heute als Alba-TCP kennen: die »Bolivarische Allianz für die Völker unseres Amerika – Handelsvertrag der Völker«. Diese wurde jedoch vorerst unter dem Namen »Bolivarische Alternative für die Amerikas« ins Leben gerufen. Ihren endgültigen Namen hat sie seit 2009. Das spanische Kürzel »Alba« trägt sie von Beginn an – als spanisches Wort bedeutet es Morgenröte und symbolisiert den Beginn eines neuen Tages, einer neuen Zeit.
Linker Aufbruch
Es war ein Jahrzehnt, in dem der Widerstand der Völker der Region gegen den Neoliberalismus mehrere progressive und linke Regierungen an die Macht gebracht hatte. Schon im Jahr 2001 hatte Chávez bei einem Amerikagipfel in Kanada die Errichtung der von den USA unter einer neoliberalen und imperialistischen Logik geförderten Amerikanischen Freihandelszone (ALCA) kategorisch abgelehnt.
Im Jahr 2006 trat Bolivien der Allianz bei, die um das »Handelsabkommen der Völker« (TCP) ergänzt wurde. Das TCP verfolgt das Ziel, einen Handel auf der Grundlage von Komplementarität, Solidarität, Zusammenarbeit und Gerechtigkeit zwischen den Mitgliedstaaten zu garantieren. Zwischen 2007 und 2021 sind das mittelamerikanische Nicaragua und sechs Karibikstaaten in die Allianz eingetreten: Antigua und Barbuda, Dominica, Grenada, St. Kitts und Nevis, St. Lucia und St. Vincent und die Grenadinen. Weitere Staaten wie Haiti, Suriname oder Iran nehmen als Beobachter oder »Ehrengastmitglieder« an der Allianz teil.
Zeitweilig waren auch Honduras (2008 bis 2010) und Ecuador (2009 bis 2018) Mitglieder des Bündnisses. Boliviens Mitgliedschaft wurde am 24. Oktober ausgesetzt: Der neuen Regierung unter dem rechten Präsidenten Rodrigo Paz wird »antibolivarisches, antilateinamerikanisches, proimperialistisches und kolonialistisches Verhalten« vorgeworfen, was nicht im Einklang mit den Grundsätzen der Allianz stehe. Die Suspendierung habe jedoch »keinen Einfluss auf die dauerhaften, herzlichen und solidarischen Beziehungen, die wir zum bolivianischen Volk unterhalten«, heißt es in der Erklärung weiter.
Die Alba-TCP hat bisher Kooperationsabkommen unter anderem in den Bereichen Energie, Gesundheit, Bildung – zum Beispiel Alphabetisierungsprogramme –, Landwirtschaft und Wohnungsbau umgesetzt. Es hat eine eigene Entwicklungsbank geschaffen, und es hat den Versuch gegeben, auch eine gemeinsame Währung – den »Sucre« – einzuführen. Das Prinzip ist bei all diesen Initiativen, dass der Handel und die Investitionen kein Selbstzweck sind, sondern Instrumente zur Stärkung der Integration zwischen den Mitgliedstaaten und somit ihrer Unabhängigkeit von Großmächten. Verbunden wird das mit der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung in der Region, die auf sozialer Gerechtigkeit fußt.
Stärker werden, um zu überleben
Auf diesem Weg wurde das Bündnis jedoch auch mit großen Schwierigkeiten und Hindernissen konfrontiert. Die Staatsstreiche in Honduras (2009) und Bolivien (2019) oder der Rechtsruck in Ecuador sind nur einige Beispiele. Der schlimmste Schlag gegen die Alba-TCP war jedoch die von den USA angeführte Wirtschaftsblockade gegen Venezuela: Mehr als 1.000 Zwangsmaßnahmen haben die Erdölproduktion des Landes geschwächt und vielen Kooperationsinitiativen die materielle Grundlage entzogen.
Nichtsdestotrotz hat die Alba-TCP vergangenes Jahr in der venezolanischen Hauptstadt Caracas mit einem Gipfel ihr 20. Jubiläum gefeiert. Das Bündnis ist also bis heute, in einer Welt im Umbruch, eine Hochburg des Widerstandes gegen Kolonialismus und Imperialismus und für regionale Selbstbestimmung. Es setzt seine Stimme gegen den Völkermord im Gazastreifen und die aktuelle US-Aggression in der Region ein. Schon am 27. August hieß es in einer Erklärung: Das Bündnis »übt sein Recht auf Selbstbestimmung aus, verteidigt den Frieden in der Region und lehnt die militärische Eskalation der Vereinigten Staaten von Amerika, darunter den Einsatz von Kriegsschiffen und Atom-U-Booten in der Karibik, entschieden ab«. Diese »US-Militärmanöver seien kein Mittel, die Völker einzuschüchtern, sondern ein Ansporn, die Bemühungen um Integration, Zusammenarbeit und friedlichen Dialog unter strikter Einhaltung des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen zu verstärken«. »Unser Amerika wird ein Gebiet des Friedens bleiben, dessen Schicksal allein seinen Völkern obliegt, frei von jeglicher ausländischer Einmischung«, so das Kommuniqué abschließend.
Innerhalb der Allianz ist auch die »Diplomatie der Völker« aktiv: Soziale Bewegungen und Basisorganisationen der Mitgliedstaaten sowie weiterer Länder sind im »Alba Movimientos« organisiert, das von einem 2007 eingerichteten Rat koordiniert wird. Zuletzt berichteten die venezolanischen Bewegungen bei einer Onlinepressekonferenz am 20. Oktober über die Lage in ihrem Land angesichts der US-Militärbedrohung.
Hernán Vargas, Mitglied einer Bewegung für das Recht auf Wohnraum, warnte bei der Konferenz, dass die US-Kriegsschiffe nicht nur gegen Venezuela gerichtet seien, sondern gegen einen ganzen Kontinent – eine ganze Region, die die USA als ihren »Hinterhof« kontrollieren wollten. Dory Urdaneta von der »Bolivarischen und Indigenen Konföderation« informierte über ihren internationalen Aufruf zum Frieden und zur Nichtintervention; sie seien jedoch nach über 500 Jahren antikolonialen Widerstandes und nach 25 Jahren »Bolivarischer Revolution« auf alle Szenarien vorbereitet.
Genauso wie in Palästina legitimiere die US-Regierung die Straflosigkeit bei den außergerichtlichen Hinrichtungen junger und armer Männer im Rahmen der US-Militäreinsätze in der Karibik, sagte Alejandra Laprea vom »Globalen Frauenmarsch«. Außerdem seien besonders die venezolanischen Frauen von der vom US-Imperialismus aufgezwungenen »Kriegswirtschaft« betroffen. US-Präsident Donald Trump und seine Regierung verkörperten Rassismus und Sexismus.
Zuletzt warnte Robert Longa von der »Patriotischen Kraft Alexis Vive« und der »Sozialistischen Kommune Panal 2021«: Man wisse, wie viel Schmerz ein Krieg bereiten kann, erwäge jedoch keinesfalls, als Vasall des US-Imperialismus zu leben. Deshalb müssten sich die USA im Falle einer Militäraggression auf »ein zweites Vietnam, aber diesmal auf kontinentaler Ebene, vorbereiten«.
Julieta Daza ist freie Journalistin und berichtet regelmäßig für die junge Welt aus Caracas
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