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Aus: Ausgabe vom 29.10.2025, Seite 15 / Antifaschismus
Rechte Aufmärsche in Irland

Anläufe zum Pogrom

Irland: Mehrere Nächte hintereinander marschiert rechter Mob gegen landesweit größte Unterkunft für Geflüchtete. Bewohner und Bevölkerung verängstigt
Von Dieter Reinisch
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Blockiert: Auf der Strecke zur Citywest-Anlage haben die Jungnationalisten mehrere Mülltonnen in einem Wohngebiet angezündet (Saggart, 21.10.2025)

Auch wenn sie deutlich schwächer aufgestellt ist als ihr englisches Pendant: Irlands Rechte hat sich ebenfalls Asylsuchende und die sie beherbergenden Unterkünfte als Angriffsziel gewählt. In den vergangenen Tagen verbreiteten Sender wie Sky News sowie Blätter wie Spiegel oder Bild Aufnahmen des jüngsten Anlaufs zu rassistischen Pogromen. In Saggart, einem Ortsteil der Stadt Tallaght im Südwesten der Großstadtregion Dublin, liegt ein Freizeitareal namens Citywest – mit Golfkurs, Restaurant, Sporthalle und Veranstaltungsbauten. Im Hotel Citywest sind aktuell nahezu 2.000 Geflüchtete untergebracht.

Vergangene Woche hat ein rechter Mob mehrere Nächte in Folge versucht, bis zum Hotel vorzudringen. In der Nacht vom 21. Oktober wurden Brandsätze in Richtung der Unterkunft geworfen. Ein Fahrzeug der Polizei brannte. Die Polizeikette wurde ebenfalls angegriffen. Medienberichten zufolge nahmen bis zu 2.000 Menschen am Aufmarsch teil, ihnen sollen rund 300 Polizisten gegenübergestanden haben. Tags darauf hatten sich die Rechten zur dritten Nacht in Folge versammelt und marschierten wieder Richtung Citywest-Hotel. Nach Polizeiangaben wurden in den Nächten von Dienstag und Mittwoch 23 Personen festgenommen und drei Beamte verletzt.

Veröffentlichte Aufnahmen zeigen, wie sich das Großaufgebot der Polizei und die Nationalisten gegenüberstanden. Die Bilder stammen wohl aus unterschiedlichen Nächten. So ist eine Polizeikette aus Beamten in Kampfmontur mit sogenannten Riot-Schildern zu sehen, die sich zwischen den steinernen Pfeilern des einzigen zentralen Zugangs zum Citywest postiert hatte. Andere Aufnahmen zeigen, wie Dutzende Beamte über eine einige hundert Meter nordöstlich davon liegende Kreuzung stürmen – offenbar in Richtung einer kleineren Gruppe Nationalisten, die aus dem dortigen Wohngebiet kommend zum Citywest wollten. Es wurde erneut Pyrotechnik gezündet. Berichten zufolge sollen einzelne mit einem Pferderennwagen versucht haben, die Polizeibarriere zu durchbrechen.

Diese Aufmärsche sind dabei nur die jüngste Eskalation durch Akteure, die mutmaßlich vor allem die Gelegenheit zur Randale suchen – und dabei an bestehende Sorgen sowie Ressentiments in der Bevölkerung anzudocken versuchen. So gibt es seit Monaten gewaltfreien Protest gegen Pläne der Regierung, das Hotel und das Eventzentrum auf dem Citywest-Gelände dauerhaft für die Unterbringung von Geflüchteten zu nutzen. Das Bündnis »Saggart Guardians«, das »gemeinsam für unsere Zukunft« einstehe, habe sich gegen diese Pläne gegründet. Deren Kritik läuft darauf hinaus, dass in Saggart mittlerweile 2.300 Geflüchtete untergebracht seien. Allein »in den ersten sechs Monaten des Jahres 2025« seien mehr als 170 Vorfälle im Hotel gemeldet worden, »darunter mehrere Fälle von Aggression, Übergriffen, Diebstahl, Vandalismus, Drogenmissbrauch usw.«. Geflüchtete, denen eine Abschiebung droht, würden teils »als gefährlich gelten« oder seien mitunter bereits wegen Straftaten verurteilt worden. Außerdem gebe es »keine Baugenehmigung für eine solche Nutzung und keine Schutzmaßnahmen für die lokale Bevölkerung«, schreiben die »Guardians«.

Mit einem Mitglied der Gruppe, einer zweifachen Mutter, die angab, seit sieben Jahren in Saggart zu leben, hatte der öffentlich-rechtliche Sender Raidió Teilifís Éireann gesprochen. Sie kritisiert dem am Sonntag veröffentlichten Bericht zufolge, dass sich das Justizministerium oder die Regierung insgesamt zuwenig um die Kritik an den Citywest-Plänen gekümmert habe. Die Frau habe am 21. Oktober in Citywest eine Kerze für ein mutmaßlich von einem der Geflüchteten attackiertes Mädchen anzünden wollen. Beim Anblick des gewaltsamen Protestes sei sie unverrichteter Dinge umgekehrt und wieder nach Hause gegangen. Ein 26jähriger Mann war von einem Gericht angeklagt worden, da er sich am Montag vor den Aufmärschen in der Nähe des Citywest-Hotels sexuell an einer Zehnjährigen vergangen haben soll. Zur Identität des Beschuldigten äußerten sich die Behörden nicht. Ob er in Citywest lebt oder überhaupt Geflüchteter ist, ist nicht bekannt.

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Auch Tage nach den Angriffen auf die Unterkunft protestieren die Gegner der Regierungspläne gewaltfrei in Citywest (Saggart, 24.10.2025)

Angst herrscht auch unter den im Hotel Untergebrachten. Ein Bewohner, der vor einigen Wochen aus Pakistan nach Irland gekommen war, berichtete gegenüber Sky News, dass alle angewiesen wurden, nach sechs Uhr nicht mehr die Zimmer zu verlassen. »Ich fühle mich unwohl. Ich habe Angst«, sagte der Mann. So auch ein Dubliner Taxifahrer, der vor 13 Jahren aus Afrika nach Irland kam. »Meine Kinder fürchten sich auf dem Schulweg«, sagte er dem Sender. Die Schulen im Stadtteil berichteten, dass viele Kinder mit migrantischem Hintergrund in der vergangenen Woche nicht zum Unterricht erschienen seien.

Um wen genau es sich bei den vermummten Rechten vergangene Woche handelte, ist unklar. Einziges Erkennungssymbol war offenbar die irische Nationalfahne. Bekannt ist immerhin, dass auch der kanadische Neurechte Ezra Levant angereist war. Der Gründer von »Rebel News« ist für seinen Ultranationalismus bekannt und tritt als Zionist auf. Am Rande von propalästinensischen Protesten in Toronto war er mehrfach wegen Störversuchen verhaftet worden.

Die irische Rechte hatte bereits vor drei Jahren ihre Aktivitäten auf die Straße verlegt. Schließlich fehlt ihr – anders als mit Reform UK im Vereinigten Königreich – in der Republik eine starke migrationsfeindliche Kraft im Parlament. Vor zwei Jahren hatte sie im Zentrum Dublins große Ausschreitungen angezettelt. Die tagelangen rechten Unruhen im November 2023 entwickelten sich nahezu identisch zu denen der vergangenen Woche.

Die extrem rechten Kleinparteien Irlands konnten nie die Ein-Prozent-Hürde überspringen. Auch bei Präsidentschaftswahlen am vergangenen Freitag schaffte es keiner ihrer Kandidaten auf den Stimmzettel. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass die Ausschreitungen am Dienstag zeitgleich mit dem letzten TV-Duell der Kandidaten begannen.

Geholfen hat es den parlamentarischen Ambitionen jedenfalls nicht: Beide Kandidaten nahmen in ihren Anfangsstatements auf die Ausschreitungen Bezug und betonten, ein inklusives Irland des Dialogs mit allen Menschen im Land aufbauen zu wollen. Bei den Wahlen errang die linke Kandidatin Catherine Connolly einen Erdrutschsieg.

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