Alles auf Anfang in Den Haag
Von Gerrit Hoekman 
					An diesem Mittwoch wählen die Niederlande ihr nächstes Parlament. Die vorgezogene Neuwahl ist nötig geworden, weil Wahlsieger und Islamhasser Geert Wilders die vorherige Regierung nach nur elf Monaten am 3. Juni hat platzen lassen. Der Grund: Die anderen drei Parteien wollten seinem knallharten Kurs in der Asylpolitik nicht bedingungslos folgen. Deshalb muss das Wahlvolk nach 2023 erneut an die Urne.
Die anderen Parteien nennen ihn seitdem einen Wegläufer. Einer, der sich der Verantwortung entzieht, sobald innerhalb einer Koalition die Zeichen auf Sturm stehen. Wilders sieht das natürlich anders: Er hatte im vorletzten Wahlkampf versprochen, in den Niederlanden die strengste Asylpolitik in ganz Europa durchzusetzen. Um nicht sein Wort brechen zu müssen, habe er seine Partij voor de Vrijheid (PVV) aus der Regierung abgezogen. Er habe Rückgrat bewiesen. Seine Wählerinnen und Wähler sehen das anscheinend genauso – Wilders PVV wird laut den Umfragen erneut deutlich stärkste Partei.
Das zuvorderst von Wilders und PVV verursachte Regierungschaos in den vergangenen beiden Jahren hat die Ansprüche mancher bis auf ein Minimum sinken lassen: »Ich wünsche mir ein Kabinett, das einfach vier Jahre im Amt bleibt, damit auch wir Wähler etwas Ruhe haben«, so ein auf der Straße Befragter in der Tageszeitung De Volkskrant vom Dienstag. Viele wissen bei dem ganzen Tohuwabohu in Den Haag überhaupt nicht mehr, wen sie überhaupt wählen sollen. Weil die Niederlande keine Prozenthürde kennen, ist das Angebot überwältigend – im Moment sitzen sage und schreibe 15 Parteien in der Tweede Kamer.
Die 19 Jahre alte Studentin Kenza aus Rotterdam schwankte zuerst zwischen der linken Tierschutzpartei Partij voor de Dieren (PvdD) und der Socialistische Partij (SP). Das Programm der PvdD beschränkt sich mittlerweile nicht mehr nur auf die Fauna. Im Gazakrieg etwa schlug sie eine palästinasolidarische Richtung ein. Sie erzählte De Volkskrant weiter, dass aber letztlich der Spitzenkandidat der SP den Ausschlag gegeben habe, der unverbrauchte Jimmy Dijk. Er beziehe als einziger glasklar Position gegenüber den rechten Parteien. Die Sozialisten treten mit dem Slogan »Wähle supersozial – wähle SP« an. »Mir gefällt sehr gut, dass die SP eine gleichmäßigere Verteilung des Wohlstands anstrebt. Die Wohlhabendsten sollten eine höhere Selbstbeteiligung für die Gesundheitsversorgung zahlen«, so Kenza.
Die SP kann jede Stimme gebrauchen. In den Vorhersagen pendelt sie zwischen Stagnation und Verlust. Für eine Koalition gegen Wilders unter Führung der grünen Sozialdemokraten von Groenlinks-PvdA ist jeder Sitz wichtig. Ohne die linksliberalen Democraten 66 und das christdemokratische CDA wird es wahrscheinlich sowieso nicht zur Mehrheit reichen.
Wilders macht aus seinen Ambitionen keinen Hehl: Er will endlich Regierungschef werden. Aber im Moment sieht es so aus, als müsse er seinen Lebenstraum weiter träumen, weil nun auch die Spitzenkandidatin der rechtsliberalen VVD, Dilan Yeşilgöz, eine weitere Zusammenarbeit mit dem Demagogen kategorisch ausgeschlossen hat. Allerdings gilt in der Politik oft: heute versprochen, morgen gebrochen. Im Wahlkampf machte sich der rechte Kandidat rar. Die zahlreichen Talkrunden im Fernsehen holten sich allesamt eine Absage. Angeblich aus Sicherheitsgründen. Wilders hatte offenbar Morddrohungen erhalten. Er legte danach sogar vorübergehend seine Kampagne auf Eis. Auf teilweise überdimensionierten Wahlplakaten war er dennoch allgegenwärtig. »Dies ist Ihr Land. Wählen Sie PVV«, sagt Wilders auf einem und zeigt wie einst Uncle Sam energisch mit dem Finger.
Im Wahlkampf spielte er erneut die einzige Karte aus, die er kennt: Hetze. Vor allem gegen Muslime. Andere drängende Themen wie etwa die immer schlimmer werdende Wohnungsnot spielen kaum eine Rolle. Seine lapidare Antwort auf Probleme ist immer dieselbe: Niederländer zuerst! Das ist natürlich keine patente Lösung, wenn sich auf den Wartelisten der Wohnungsbaugesellschaften auch Tausende sogenannte Einheimische um eine bezahlbare Bleibe bewerben.
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