Schutzlos ausgeliefert
Von Ina Sembdner
Welches Ausmaß an Verbrechen sich aktuell in der sudanesischen Stadt Al-Fascher abspielt, lässt sich nur erahnen: Online kursierende Videos zeigen Zivilisten, die mit hinter dem Rücken gefesselten Händen an Bäumen aufgehangen, von Geländewagen überfahren oder auf der Flucht aus der belagerten Stadt erschossen werden. Die UN-Menschenrechtskommission teilte ebenfalls mit, dass »mehrere erschütternde Videos« bei ihr eingegangen seien, die Dutzende unbewaffnete Männer zeigten, die erschossen wurden oder tot daliegen. Umringt sind sie von Paramilitärs der sogenannten Schnellen Eingreiftruppe RSF des ehemaligen Vizepräsidenten Mohammed Hamdan Daglo. Das Sudanesische Ärztenetzwerk sprach von »ethnischen Säuberungen« und einem »schrecklichen Massaker am Sonntag abend an unbewaffneten Zivilisten«.
Zuvor hatten die RSF, die sich seit April 2023 einen blutigen Machtkampf mit Übergangspräsident Abdel Fattah Al-Burhan liefern, die Einnahme der seit mehr als anderthalb Jahren unter Belagerung stehenden Stadt vermeldet. Dort hatten die Streitkräfte Al-Burhans, denen in den vergangenen zwei Jahren ebenfalls zahlreiche Kriegsverbrechen angelastet werden, eines ihrer wichtigsten Hauptquartiere im Westen des Landes. Auf RSF-Plattformen geteilte Videos zeigten Kommandeure, die sich innerhalb der eingenommenen Basis an ihre Truppen wandten, darunter auch Daglos Bruder Abdelrahim, der sein Stellvertreter ist. Er spricht von einer »Befreiung« der Stadt, wie das sudanesische Portal Dabanga berichtete. In einer RSF-Erklärung war die Rede davon, »Zivilisten schützen« zu wollen und »die Rückkehr von Vertriebenen in ihre Heimat zu erleichtern«.
Davon gibt es in Al-Faschir Hunderttausende. Nach UN-Angaben sind rund 260.000 Zivilisten – darunter 130.000 Kinder – im Hauptlager für Binnenflüchtlinge in der Region gefangen und leiden seit mehr als 16 Monaten unter den verzweifelten Bedingungen, ohne Hilfe. Allein bis Ende August meldete die UNO mehr als 1.100 schwere Verstöße, darunter die Tötung und Verstümmelung von über 1.000 Kindern seit Beginn der Belagerung im Mai 2024. Aufgrund wahlloser Bombardierungen seitens der RSF und fehlender finanzieller Mittel hatten zuletzt die meisten der überlebenswichtigen Gemeinschaftsküchen aufgeben müssen, lediglich drei bis fünf waren vor einer Woche noch operabel, wie ein freiwilliger Helfer dem Portal Ayin sagte.
Und auch wenn die Streitkräfte laut Sudan Tribune die Übernahme mittlerweile eingeräumt haben, erklärte das örtliche Widerstandskomitee: »Der Einzug der Schnellen Eingreiftruppe in das Hauptquartier der Sechsten Division bedeutet nicht, dass sie die Kontrolle über die Stadt übernommen haben.« Lokale Kämpfer würden weiterhin Widerstand leisten. Die Widerstandskomitees gehen auf den revolutionären Aufstand zurück, der 2018 gegen Langzeitpräsident Omar Al-Baschir begann und letztlich vom Militär unter Führung Al-Burhans gekapert wurde. Die Komitees erheben schwere Vorwürfe gegen dessen Vertreter in der Stadt. Namentlich nicht genannte Offizielle hätten »absichtlich Lieferungen und Luftunterstützung eingestellt«, um »die Stadt an die RSF zu übergeben«. Sie verurteilten die »Nachlässigkeit und Feigheit« der lokalen Behörden und schworen, dass Al-Fascher »nicht als Verhandlungsmasse auf den Verhandlungstischen serviert werden wird«. Ein Fingerzeig auf aktuell laufende Verhandlungen in Washington – unter anderem mit dem Waffenlieferanten der RSF, den Vereinigten Arabischen Emiraten.
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