Mussolinis Alleingang
Von Hansgeorg Hermann
Emmanuele Grazzi, italienischer Botschafter in der griechischen Hauptstadt Athen, überreichte am 28. Oktober 1940 morgens um sechs Uhr dem General und Diktator Ioannis Metaxas ein Ultimatum Benito Mussolinis. In dem Schreiben forderte der »Duce« das Recht, in Griechenland an strategisch wichtigen Punkten des Landes Militärstützpunkte zu besetzen. Wie es die bis heute den Geschichtsunterricht griechischer Schulkinder nationalistisch färbende Legende will, habe Metaxas im Morgenmantel selbst die Tür seiner Amtsvilla geöffnet und Grazzi mit nur einem Wort geantwortet, bevor er wieder die Tür schloss: »Ochi« (»Nein«), eine Vokabel, die 2015 noch einmal zu Ehren kam, als nicht ein Diktator, sondern das Volk »Nein« zur Knechtschaft durch das europäische Finanzkapital sagte. Wie 1940, als dem »Ochi« der Einmarsch der faschistischen italienischen Truppen folgte, bestraften auch die »demokratischen« Institutionen die Griechen 75 Jahre später mit harter, diesmal vor allem fiskalischer Unterdrückung. Der »Ochi«-Tag erinnert daher – als Nationalfeiertag – nicht mehr nur an den zunächst erfolgreichen militärischen Widerstand gegen den damaligen Aggressor, sondern heute auch an das, was den tapferen Griechen ein Dreivierteljahrhundert danach von den angeblichen Rettern in Berlin, Paris und Brüssel angetan wurde.
Zurückgeschlagen
Um es vorwegzunehmen: Die zerlumpten griechischen Soldaten, die – wie Zeitzeugen später berichteten – mit schlechtem Schuhwerk zu Fuß an die Front in den Bergen des nördlichen Epirus marschierten, warfen die modern ausgerüstete, mit neuem Kriegsgerät anrennende italienische Armee zurück und trieben sie mitten im Winter 1940/41 bis weit hinein nach Albanien. Eine strategische, psychologische und publizistische Katastrophe für die Achsenmächte, zumal Mussolini Adolf Hitler nicht von seinem Feldzug auf den Balkan in Kenntnis gesetzt hatte. Wie der Conte Galeazzo Ciano, Außenminister und Schwiegersohn Mussolinis, erinnerte, habe sich der »Duce« zunächst selbst über Hitlers dauernde Geheimniskrämerei geärgert. Ciano, zitiert in »Griechenland zwischen Revolution und Konterrevolution« des deutschen Historikers Heinz Richter: »Hitler stellt mich immer vor vollendete Tatsachen. Diesmal werde ich es ihm mit gleicher Münze heimzahlen; er wird aus den Zeitungen erfahren, dass ich in Griechenland einmarschiert bin.« Mussolini handelte gegen den ausdrücklichen Rat seines Stabschefs Pietro Badoglio, wie Ciano gehässig anmerkte, und mit gewohnt prahlerischer Geste: »Ich gebe meine Demission als Italiener, sollte jemand Schwierigkeiten darin finden, sich mit den Griechen zu schlagen.«
Die Art und Weise, wie der Griechenlandfeldzug im italienischen »Kriegsrat« am 15. Oktober 1940 vorbereitet worden war, sei »in ihrem Dilettantismus und der Ignoranz der Teilnehmer wohl einmalig in der Kriegsgeschichte gewesen«, urteilte in den 1950er Jahren die Griechenlandkennerin Ehrengard Schramm-von Thadden. Stabschef Badoglio drohte gar mit seinem Rücktritt, um den Angriff zu verhindern, erreichte aber nur eine Verschiebung des Angriffstermins auf den 28. Oktober.
Nicht nur griechische und italienische Historiker fragten am Ende des Zweiten Weltkriegs, warum sich das Regime des Ioannis Metaxas, das sich ja selbst als faschistisch verstand, gegen das faschistische Italien wandte. Metaxas hatte, genau wie später der mäßig begabte deutsch-dänische »König der Hellenen« Georg II. aus dem Hause Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, zu Beginn des Jahrhunderts die preußische Kriegsakademie besucht und 1902 »mit Auszeichnung« abgeschlossen. Er war im August 1936 mittels eines »kalten« Staatsstreichs an die Macht gekommen und vom König mit Dekreten und einer neuen Verfassung ausgestattet worden, die ihn zum Diktator machte. Worauf er – ähnlich wie seine faschistischen Brüder in Deutschland – den »Neon Kratos«, den »neuen Staat«, ausgerufen hatte, der an die griechischen Glanzzeiten der Antike und die Herrschaft von Byzanz anknüpfen sollte. Metaxas hatte die bürgerlichen Parteien im Parlament locker auf seine Seite gezogen und, von den Oligarchen gelobt, am 9. Mai 1936 in Thessaloniki einen Streik der Tabakarbeiter wüst und blutig niedergeschlagen. Ein mörderischer Tag, den der Dichter Jannis Ritsos in seiner Ballade »Epitaphios« verewigte, später vertont von Mikis Theodorakis.
Hitler greift ein
Als Hitler, auch wegen Mussolinis militärischer Niederlage in Griechenland, seinen Überfall auf die Sowjetunion, das »Unternehmen Bararossa«, um Monate verschob und am 6. April 1941 die Wehrmacht statt dessen Richtung Athen in Marsch setzen ließ, lebte Metaxas nicht mehr. Er war am 29. Januar gestorben. So erlebte dieser nicht mehr, wie die besiegten Italiener zurückkehrten und von den Deutschen als militärische Besatzungsmacht auf den Inseln des Dodekanes, auf der Peloponnes und im Norden Griechenlands eingesetzt wurden. Komninos Pyromaglou, Vizekommandeur der republikanischen Widerstandstruppe EDES, sah in Metaxas’ Entscheidung, sich lieber mit der Kolonialmacht Großbritannien zu verbünden, als sich seinen faschistischen Freunden zu unterwerfen, dessen Versuch, sich »mit seinem Volk zu versöhnen«.
Der Historiker Richter schildert in »Griechenland zwischen Revolution und Konterrevolution« Überlegungen des griechischen Diktators, die er kurz vor seinem Tod niedergeschrieben hatte: Hitler hätte zwar »mit der richtigen Ideologie begonnen«, entscheidend sei aber gewesen, dass die Nazis »diese Ideologie nicht beibehalten« hätten. Denn dann hätten sie Griechenland »mit aller Macht unterstützen müssen«. Interessanter scheint allerdings aus damaliger wie heutiger Sicht, dass der vom Königshaus gestützte griechische Faschismus dem italienischen und deutschen Faschismus wie ein Ei dem anderen glich. Bürgerliche Parteien, die sich den Faschisten nicht nur frühzeitig andienten, das Kapital, das deren Aufstieg finanzierte, und eine rassistisch geprägte Ideologie, die auch an Griechenland nicht vorbeigegangen war. Eine Statistik aus den Vorkriegsjahren zeigt, dass drei Viertel der griechischen Familien mit 20.000 bis 40.000 Drachmen im Jahr auskommen mussten – rund 100 bis 200 Euro. Mehr als eine Million Drachmen jährlich hatten insgesamt nur 900 Familien zur Verfügung. Bei dieser Vermögensverteilung und der daraus immer wieder folgenden Anfälligkeit der griechischen Gesellschaft für den Faschismus ist es bis heute weitgehend geblieben.
»Aktion hinausschieben«
In einem Brief an Benito Mussolini vom 20. November 1940 äußerte Adolf Hitler seinen Ärger über den Alleingang der Italiener: »Als ich Sie bat, mich in Florenz zu empfangen, trat ich die Reise an in der Hoffnung, Ihnen noch vor dem Beginn der drohenden Auseinandersetzung mit Griechenland, von der ich nur allgemeine Kenntnis erhalten hatte, meine Gedanken darlegen zu können. Ich wollte Sie zunächst bitten, die Aktion hinauszuschieben, wenn möglich bis zu einer günstigeren Jahreszeit (…). Auf jeden Fall wollte ich Sie aber bitten, Duce, diese Aktion nicht zu unternehmen ohne eine vorhergehende blitzartige Besetzung Kretas, und ich wollte Ihnen zu diesem Zwecke auch praktische Vorschläge mitbringen für den Einsatz einer deutschen Fallschirm-Division und einer weiteren Luftlande-Division.«
Im Gegensatz zu Mussolini, der »nur imperialistische Ziele« verfolgen wollte, zeigte sich bei Hitler eine »strategische Konzeption«. Kreta sollte eine Defensivposition gegen England im östlichen Mittelmeer werden.
(Zit. n. Heinz Richter: Griechenland zwischen Revolution und Konterrevolution. Frankfurt 1973, S. 78)
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