Die Welt hinter Havanna
Von Volker Hermsdorf
Eine Woche vor der 33. Abstimmung der UN-Generalversammlung über die Aufhebung der US-Blockade gegen sein Land hat Kubas Außenminister Bruno Rodríguez Washington vorgeworfen, andere Länder unter Druck zu setzen. In einer beispiellosen globalen Kampagne versuchten die USA, mit Drohungen, Erpressung und Desinformation insbesondere Regierungen in Lateinamerika und Europa zum Umfallen zu bewegen, erklärte er am Mittwoch in Havanna.
Auf einer Pressekonferenz präsentierte Rodríguez Schreiben des US-Außenministeriums vom 8. und 17. Oktober, die an zahlreiche Regierungen gerichtet waren und nach seinen Worten »direkte Einschüchterungsversuche« enthielten. Als Druckmittel würden unter anderem die Verweigerung von Visa, erhöhte Handelszölle und Sanktionen gegen Privatunternehmen genannt. Zuvor hatte Reuters bereits über eine Anweisung des State Departments vom 2. Oktober berichtet, wonach US-Botschaften in ihren Gastgeberländern auf »ein anderes Abstimmungsverhalten« hinwirken sollten. Hinter der Kampagne stehe US-Außenminister Marco Rubio, der über Mittelsmänner vor allem in Lateinamerika und Europa auf einen Stimmungswandel dränge. Kuba legt die Resolution, mit der die seit über 60 Jahren andauernde US-Blockade verurteilt wird, seit 1992 regelmäßig vor. Im vergangenen Jahr stimmten 187 Länder dafür, nur die USA und Israel dagegen, während sich Moldau enthielt.
Um ihrer dokumentierten Isolation entgegenzuwirken, versucht die Regierung in Washington nun, zumindest einige rechtsgerichtete Regierungen auf ihre Seite zu ziehen. Ein zentraler Vorwurf lautet, Kuba stelle eine »Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit« dar. Das sei »absurd und eine Beleidigung«, konterte Rodríguez. Er erinnerte daran, dass Havanna Gastgeber des Gipfeltreffens zur Proklamation Lateinamerikas und der Karibik zur »Zone des Friedens« gewesen sei. Während die USA mit ihrer Blockade »Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung« provozieren wollten, würden sie zugleich Kuba als Bedrohung des Friedens diffamieren. »Diese Heuchelei spottet jeder Beschreibung«, so der Minister.
Als »durchsichtige Lüge« wies Rodríguez auch die in den Schreiben verbreitete Behauptung zurück, Kuba stelle Russland 20.000 Söldner für den Krieg in der Ukraine zur Verfügung. Nach einem Bericht von Reuters behauptet das US-Außenministerium, Havanna unterstütze Moskau »aktiv« mit Tausenden kubanischen Staatsbürgern, »die an der Seite der russischen Streitkräfte kämpfen«. Quellen dieser unbelegten Anschuldigungen sind nach Angaben der spanischen Agentur Efe der ukrainische Militärgeheimdienst (GUR) sowie ein Abgeordneter der Partei »Diener des Volkes« von Staatschef Wolodimir Selenskij, der sich auf einer Veranstaltung exilkubanischer Contras in Miami geäußert habe.
»Das kubanische Volk weiß, was Krieg bedeutet. Wir waren Opfer des Terrorismus, der von Miami aus organisiert wurde«, entgegnete Rodríguez und erklärte, die US-Verleumdungen erinnerten ihn an »die schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges«. Kubas Außenministerium (Minrex) bekräftigte seine »Nulltoleranzpraxis gegenüber Söldnertum«. Nach offiziellen Angaben wurden bislang 26 Personen wegen entsprechender Straftaten zu Haftstrafen zwischen fünf und 14 Jahren verurteilt.
Neben Falschmeldungen über eine angebliche Kriegsbeteiligung belebt Washington auch die alte Kampagne gegen Kubas internationale medizinische Brigaden wieder, die als »moderne Sklaverei« diffamiert werden. Ziel ist, die weltweite Anerkennung für die mehr als 605.000 kubanischen Gesundheitsfachkräfte zu untergraben, die seit 1963 in 165 Ländern mehr als 1,9 Milliarden Behandlungen durchgeführt haben. Allein das »Kontingent Henry Reeve« betreute in 55 Ländern mehr als acht Millionen Patienten. »Wohin die USA und Europa Soldaten, Panzer und Bomben schicken, entsendet Kuba Ärzte«, kommentierte der kolumbianische Journalist Hernando Calvo Ospina die Angriffe.
Parallel zu den Verleumdungskampagnen verbreiten westliche Medien derzeit ein Narrativ, das die verheerenden Folgen der US-Zwangsmaßnahmen relativieren soll. Die Argumentation dient offenbar als Rechtfertigung für jene Regierungen, die sich dem Druck Washingtons beugen. So veröffentlichte Efe am 13. und 20. Oktober zwei nahezu identische Beiträge, in denen »acht der anerkanntesten unabhängigen Ökonomen des Landes« erklären: »Die US-Sanktionen gegen Kuba belasten dessen Wirtschaft und bremsen ihr Potential, sind aber nicht die grundlegende Ursache der schweren Krise.« Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist bewusst gewählt. Das Thema kehre »auf die Tagesordnung zurück, bevor die UN-Generalversammlung über die jährlich von Havanna vorgelegte Resolution gegen die US-Sanktionen abstimmt«, schreibt Efe. Die seit Jahren von diesen »unabhängigen Wirtschaftswissenschaftlern« verbreitete Botschaft ist unmissverständlich. »Die Mehrheit der befragten Fachleute hebt als erste Ursache der schweren kubanischen Krise das eigene politisch-ökonomische System der Insel hervor«, werden deren Aussagen in den Beiträgen zusammengefasst.
Trotz der US-Offensive rechnet Rodríguez mit einer erneuten, deutlichen Mehrheit für die Resolution. Die meisten Staaten, so der Außenminister, wüssten, dass die Blockade die Hauptursache der wirtschaftlichen Schwierigkeiten Kubas ist und täglich humanitäres Leid verursache. Er erwartet eine weitere klare Verurteilung der US-Politik in der UN-Vollversammlung als Ausdruck wachsender internationaler Solidarität mit der Insel.
– Kundgebung »UNO stärken – US-Blockade gegen Kuba aufheben!« Mittwoch, 29. Oktober, 17 Uhr, Auswärtiges Amt, Werderscher Markt 1, Berlin-Mitte
Hintergrund: Genozidaler Akt
Seit mehr als 63 Jahren befindet sich Kuba im Würgegriff der umfangreichsten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade, die je gegen einen Staat verhängt wurde. Ihr Beginn reicht bis in die Zeit nach dem Sieg der Revolution im Januar 1959 zurück. Bereits im April jenes Jahres empfahl US-Vizepräsident Richard Nixon, »umgehend Maßnahmen einzuleiten, um das Regime in Havanna zu beseitigen«.
Ein internes Memorandum des US-Staatssekretärs Lester D. Mallory vom 6. April 1960 formulierte ausdrücklich das Ziel, durch wirtschaftlichen Druck einen Mangel an Versorgung sowie »Hunger, Not, Verzweiflung und den Sturz der Regierung« herbeizuführen. Im Februar 1962 verstärkte Präsident John F. Kennedy das Vorgehen durch weitreichende Handelssanktionen. Seitdem haben nachfolgende US-Administrationen die Restriktionen weiter verschärft.
Laut dem von Kubas Außenminister Bruno Rodríguez präsentierten diesjährigen Bericht verursacht die Blockade erhebliche wirtschaftliche Schäden. Demnach verliert Kuba täglich mehr als 20 Millionen US-Dollar. Die direkten Verluste im vergangenen Jahr werden mit über 7,5 Milliarden US-Dollar beziffert, die Schäden seit Beginn der Maßnahmen erreichen die unvorstellbare Summe von mehr als 170 Milliarden US-Dollar. Die Folgen für die heute rund zehn Millionen Bürger des Landes sind dramatisch. Rodríguez bezeichnet die Blockade als einen »anhaltenden Angriff auf grundlegende Menschenrechte«, der ein Ausmaß an Leid und Entbehrungen verursache, das sich nicht in Zahlen fassen lasse. Parlamentspräsident Esteban Lazo sprach von einem »Akt des Völkermords«.
Trotz des jährlichen, nahezu einstimmigen Votums der UN-Vollversammlung für die Aufhebung aller Sanktionen hält Washington an seiner Politik fest. Das erklärte Ziel bleibt der Regime-Change durch wirtschaftliche Erdrosselung. (vh)
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