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Aus: Ausgabe vom 24.10.2025, Seite 10 / Feuilleton
Rock ’n’ Roll

Kampfschwein 50 Jahre Motörhead – die schlechteste Band der Welt

50 Jahre Motörhead – die schlechteste Band der Welt
Von Frank Schäfer
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Mit uns ist zu rechnen: Motörhead auf Tour

Die Gruppe Motörhead wurde 1975 in London von Lemmy Kilmister gegründet. Frank Schäfer geht in der Serie »50 Jahre Motörhead – die schlechteste Band der Welt« dem sehr lauten Rock-’n’-Roll-Phänomen auf den Grund.

Auf ihrem offiziellen Debütalbum »Motörhead« zeigen die drei 1977 erstmals richtig, wohin die Reise gehen soll. Lemmy hat seine Stimme durch intensives Training an der Bar und auf der Bühne aufgerauht, er geht auch gesanglich mehr an seine Grenzen, und seine grobkörnigen Bassriffs kann man jetzt so gut hören, wie sie es verdienen.

Die wichtigsten Veränderungen bringt dann aber der neue Gitarrist ins Spiel. Fast Eddie besitzt die für diese Band obligate Verve, seine liquiden, ziemlich flinken und dennoch harmonieseligen Soli haben sich nämlich doch noch nicht ganz vom alten Rockvirtuosentum verabschiedet. Man muss nur sein forciertes Gefrickel im Opener »Motörhead« mit den harmonisch nicht unebenen, aber dagegen geradezu lethargischen Leads von Larry Wallis vergleichen. Clarke lässt die Finger fliegen, und wenn man glaubt, das Solo sei vorbei, weil Lemmys Bass Einspruch erhebt und einmal kurz böse dazwischenrüpelt, legt er noch einmal los mit einem fulminanten zweiten Teil. Diese Machtdemonstration erfolgt nicht von ungefähr so früh und an exponierter Stelle in ihrem Erkennungsstück. Er verteilt hier seine Visitenkarte: Damit müsst ihr jetzt rechnen!

Aber auch als Rhythmusgitarrist weiß er Lemmys grobianischem Bass etwas Adäquates entgegensetzen. Er dreht den Gain-Regler seines Distortion-Pedals bis zum Anschlag auf, und während Lemmy die groben Klötze aufeinanderstapelt, mörteln seine Riffs noch die letzten Lücken zu. Die brachiale Motörhead-Soundwand ist ganz offenkundig ein Gemeinschaftsprodukt. Speedy Keen und sein Toningenieur John Burns wissen, wie man so etwas produziert, nämlich am besten gar nicht – man nimmt es einfach so direkt wie möglich auf. Dem Recording-Prozess sind 1977 allerdings technisch noch gewisse Grenzen gesetzt, zumal sie unter Zeitdruck stehen. Insofern entwickeln die Songs auch erst im Livekontext ihre volle Durchschlagskraft, aber was die Band hier auf Platte pressen lässt, gibt zumindest eine gewisse Ahnung davon.

Die beiden neuen Songs »White Line Fever« und »Keep Us on the Road« umspielen dasselbe Thema, die Härten, Nöte und fragwürdigen Ablenkungen auf Tour. Die weiße Linie meint zunächst den Mittelstreifen auf der Fahrbahn, aber natürlich spielt Lemmy hier auch an auf die Droge, die so viele Musiker durch die Nacht gerettet hat. Als Texter steht er gerade mal am Anfang, sein Repertoire an Sujets erweitert sich erst langsam, aber kompositorisch kündigen die Songs bereits an, dass die Band bald nicht mehr auf Coverversionen angewiesen ist.

Noch haben sie allerdings diverse Fremdsongs in petto und auch gleich auf Tape gebannt. Einmal mehr die Wallis-Kompositionen »City Kids« und »On Parole«, den ZZ-Top-Song »Beer Drinkers and Hell Raisers«, den John-Mayall-Blues »I’m Your Witchdoctor« und nicht zuletzt den nervösen Rocker »Train Kept A-Rollin’« von Tiny Bradshaw, der es dann auch als einziger aufs Album schafft. Die anderen spart sich Chiswick für eine spätere Veröffentlichung auf. »Train Kept A-Rollin’« wird der Rausschmeißer des Albums, ursprünglich 1951 aufgenommen als zahmer Blues-Shuffle, hat er bereits eine ziemlich bewegte Cover-geschichte hinter sich. The Yardbirds, Led Zeppelin und Aerosmith haben ihn zuvor bereits erfolgreich zergniedelt, eine eigene Motörhead-Version hätte es vielleicht nicht unbedingt gebraucht, aber mithalten kann ihre allemal.

Auf dem Cover kommt auch erstmals das Wahrzeichen zum Einsatz, das bald die Kutten der Metalheads auf der ganzen Welt schmücken wird. »Snaggletooth« oder »War Pig«, diesen Hybridtotenschädel mit Pickelstahlhelm und Eisernem Kreuz – ursprünglich sogar mit Swastika auf einem der Stacheln, um eine noch gemeinere Aura zu erzeugen –, hat sich der bekannte Künstler Joe Petagno ausgedacht. Petagno, der zuvor schon für die Cover-Factory Hipgnosis tätig war, wälzt Anatomiehandbücher und bastardisiert aus Schädeln von Wolf, Gorilla und Wildschwein – markant sind die großen Hauer – einen martialischen Mutantenkämpfer, der solchen Alptraumszenarien wie H. G. Wells’ Insel des Dr. Moreau oder J. R. R. Tolkiens Mordor entstammen könnte.

Lemmy ist von Anfang an begeistert von diesem militaristischen Fantasyuntier. Ihren akustischen Extremismus auf diese Weise visuell fortzuführen ist einfach zu suggestiv, und die erstaunliche Erfolgsgeschichte gibt ihnen ohnehin recht – nur zwei ihrer 23 regulären Studioalben kommen ohne Snaggletooth-Variation aus. Er stiftet nicht nur eine bandinterne Tradition, sondern beeinflusst auch die Metal-Ikonographie maßgeblich. Buttons und Badges mit dem Konterfei gehören zum meistverwendeten Kuttenschmuck, und viele andere Metal-Formationen nehmen sich ein Beispiel an Motörhead und suchen sich ebenfalls ein Bandmaskottchen – Iron Maiden, Megadeth, Overkill, Iced Earth, Sodom, Helloween und viele andere mehr.

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