Gegründet 1947 Dienstag, 2. Dezember 2025, Nr. 280
Die junge Welt wird von 3063 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 18.10.2025, Seite 1 / Titel
Erwerbslosigkeit

Existenz am Minimum

Bürgergeld: Warme Mahlzeit, zweites Paar Schuhe und geheizte Wohnung oft Luxus. Hälfte der Eltern verzichtet für Kinder auf Essen
Von Luca von Ludwig
464406439(1).jpg

Es reicht kaum zum Leben, für unerwartete Ausgaben schon mal gar nicht: Das Bürgergeld, mit dem der Staat seine industrielle Reservearmee, die Erwerbslosen, am Leben hält, falls er sie doch noch einmal braucht. Um den Lohndruck aufrechtzuerhalten, muss diese »Daseinsfürsorge« so gestaltet sein, dass sie so nah an der Grenze des gerade noch Ertragbaren liegt wie nur möglich. Der Paritätische Gesamtverband legte am Freitag neue Zahlen zum Ausmaß der miserablen Lage der Bürgergeldbeziehenden vor. Doch Hunger hin, Kälte her, die Bundesregierung hält Kurs auf »Reformen«, die den Mangel noch verschärfen sollen.

Für mehr als die Hälfte der Menschen im Bürgergeldbezug ist es finanziell nicht möglich, defekte Möbel zu ersetzen, etwa jeder dritte kann sich keine neue Kleidung oder auch nur jeden zweiten Tag eine vollwertige warme Mahlzeit leisten, für rund ein Fünftel ist ein Ersatzpaar Schuhe oder das ausreichende Heizen der Wohnung unmöglicher Luxus, so die Erhebung. Etwa zehn Prozent leisten sich keinen Internetzugang, rund 20 Prozent haben offene Schulden, die sie nicht begleichen können. »Es ist ein Skandal, dass Millionen Menschen nicht einmal das Nötigste haben«, kommentierte Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, die Ergebnisse.

Bei den Zahlen zur Ernährung geht es nicht nur ums bloße Sattwerden: Kaum ein Zehntel der Befragten hält es für möglich, sich gesund zu ernähren, was sich mit früheren Erhebungen des wissenschaftlichen Beirates des Agrar- und Ernährungsministeriums deckt. Mehr als die Hälfte der Eltern im Bürgergeldbezug verzichtet zugunsten ihrer Kinder auf Essen. Der Wohlfahrtsverband AWO verwies am Freitag zudem auf die »galoppierende Inflation« bei den Lebensmittelpreisen im vergangenen Jahr. So seien unter anderem Fleisch, Milch, Obst und Eier im September deutlich teurer gewesen als im Vorjahresmonat, während es bei den Bürgergeld-Regelsätzen Nullrunden gab.

Schon am Donnerstag gab das Statistische Bundesamt bekannt, dass sich rund fünf Millionen Menschen das genügende Heizen ihrer Wohnung nicht leisten können. Auch hier sind die Erwerbslosen besonders betroffen: In vielen Städten decken die von den Jobcentern festgelegten »Kosten der Unterkunft« nicht mehr die tatsächlichen Preise. Immer mehr müssen sich deshalb vom »Existenzminimum« noch etwas absparen, um nicht das Dach über dem Kopf zu riskieren.

Die Pläne der Regierung sehen vor, Bürgergeldbeziehern künftig beim Verpassen von Jobcenter-Terminen Gelder auch komplett streichen zu können. Am Projekt der »Totalsanktionen« hatten sich bereits vergangene Regierungen versucht – durchgekommen ist damit beim Verfassungsgericht bisher noch keine. Das heißt allerdings nicht, dass es so bleiben muss. Auch mehrere Erhebungen, die zeigen, dass Friedrich Merz’ Rede vom nicht mehr finanzierbaren Sozialstaat schlichtweg falsch ist, bringen die Regierung nicht von ihren Vorhaben ab. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt stagnieren die Kosten für die staatliche Daseinsfürsorge. Aber der Unionskanzler braucht Geld für die Aufrüstung und lässt sich dabei von ökonomischen Rechenlektionen nicht beirren.

Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug

Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Walter Lambrecht aus Rostock (20. Oktober 2025 um 12:31 Uhr)
    Wo kommen die her, die bei der Agentur nicht auftauchen und denen deshalb sämtliche Bezüge gestrichen werden? U. a. daher: Ich betreue jemanden, dem es in seinem Elend und mit seiner Gehbehinderung nicht gelungen ist, die 30 Kilometer entfernte Agentur aufzusuchen. Zwei Termine versäumt, Geld futsch. Hier fehlte es konkret an einem, dem das Elend auffällt, und an einer Begleitperson (nach vier Fahrten zu Agentur und Jobcenter wieder alles auf der Reihe).
  • Leserbrief von B.S. aus Ammerland (18. Oktober 2025 um 09:54 Uhr)
    Dieser Sozialabbau kriminalisiert die Ärmsten der Armen. Das ist einem »politischen Dummschwatz«, wie Carsten Linnemann, völlig egal. Standesdünkel, Borniertheit und politische Irrtümer zeichnen die jetzige Regierung aus und bereiten der Gesellschaft die selbstverschuldeten Probleme. Von einer Elite, die nur von Ausbeutung und Lobbyismus getrieben ist, wird es keine Wende zu Menschlichkeit und zum Miteinander geben. Merz, der Laufbursche von Larry Fink (Chef von Blackrock) wartet auf weitere Anweisungen aus den USA. Also was er am besten kann und tut!
  • Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (18. Oktober 2025 um 02:39 Uhr)
    Mindestens genauso unerträglich wie die materielle Unterversorgung und teils von dieser verstärkt wirkt die psychologisch-gesellschaftliche Diskriminierung und Diffamierung der Betroffenen. Aber das ist ja auch kein Bug, sondern genau das gewollte Feature der herrschenden Schmarotzer, der Kapitalisten. An einer Stelle des Artikels scheint die Perfidie des pseudodemokratischen Unrechtsregimes noch nicht vollständig verstanden worden zu sein: Das BVG hatte der Totalsanktionierung, diesem krassen, todbringenden Angriff auf die Menschenwürde durch die Schröder- und folgend Merkel-Regierung zwar irgendwann einen brüchigen Riegel vorgeschoben, aber erst Jahrzehnte später und nachdem ein Betroffener, um überhaupt nach etlichen Jahren Beschreiten des sog. »Rechtsweges« vor diesem Gericht klagen zu können, immer und immer wieder dem Hungertod ins Auge blicken musste. Zur Verantwortung für die Tode, das Leid und die Qual, den Psychoterror, das jahrelange Aushungern psychisch vom System krank gemachter Leute wurde niemensch. Die Täter leben nach wie vor ungestört ihr lustig-psychopathisches Systemnuttenleben. Die Merz-Regierung plant jetzt offenbar wieder genau das gleiche in Schwarz-Rosa-Braun, wohl wissend, dass die Täter damit in unserem sog. »Justiz«-System wenn nicht für immer, dann doch für viele Jahre durchkommen werden und es keine angemessenen Konsequenzen wie z. B. lebenslange Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung aufgrund einer Verurteilung wegen (Massen-)Mordes geben wird.