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Aus: Ausgabe vom 17.10.2025, Seite 15 / Feminismus
China

30 Jahre Beijing-Erklärung

Internationaler Gipfel zu Gleichstellung feiert Erfolge und berät über weiteren Kampf
Von Jörg Kronauer
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Es war ein doppelter Anlass, der am Montag und Dienstag dieser Woche rund 800 Delegierte aus mehr als 110 Staaten zum Global Leaders’ Meeting on Women nach China führte. Der erste: Es galt, das 30jährige Jubiläum der Beijing-Erklärung zu begehen, die am 15. September 1995 von der vierten Weltfrauenkonferenz in der chinesischen Hauptstadt verabschiedet worden war. Die Erklärung hat sich als ein bedeutender Markstein im globalen Kampf für die Gleichstellung von Frauen und gegen Gewalt an ihnen erwiesen. Der zweite: Es sollten Wege diskutiert werden, um diesen fortzusetzen. Denn klar ist, auch wenn es seit der Verabschiedung der Beijing-Erklärung signifikante Fortschritte in Sachen Frauenrechte gegeben hat – gewonnen ist der Kampf um sie noch lange nicht. Zuletzt waren in so mancher Hinsicht sogar Rückschritte zu beklagen.

Als im September 1995 mehr als 40.000 Frauen in die chinesische Hauptstadt reisten, um dort auf der Weltfrauenkonferenz und dem begleitenden NGO-Forum an der Beijing-Erklärung zu arbeiten und sie schließlich zu verabschieden, stand hinter dem Treffen eine starke internationale Frauenbewegung. Sie war dabei, sich auf den Marsch in die Institutionen zu machen. Das hat Erfolge mit sich gebracht, die anlässlich des Global Leaders’ Meeting on Women in Beijing ausführlich gewürdigt wurden. Gab es 1995 in gerade einmal zwölf Staaten Gesetze gegen geschlechtsspezifische Gewalt, so gibt es heute laut Zählung der UNO 1.583 einschlägige Gesetze in 193 Ländern. Auch in der Bildung hat sich eine Menge getan; die Lücke bei der Gleichstellung von Mann und Frau verringert sich global auf allen Ebenen. Die materiellen Bedingungen haben sich ebenfalls verbessert. Die Müttersterblichkeit etwa, die im Jahr 2000 noch bei 328 Todesfällen auf 100.000 Geburten lag, konnte bis 2023 auf 197 gesenkt werden: »Ein unglaubliches Niveau an Fortschritt in kurzen 25, 30 Jahren«, hielt Barbara Hendricks fest. Sie ist Leiterin der Politikabteilung von UN Women, der Vereinigung, die die Veranstaltung in Beijing gemeinsam mit der Volksrepublik organisierte.

Allerdings bleibt noch viel zu tun. Zehn Prozent aller Frauen weltweit leben weiterhin in extremer Armut. Auch wenn es gelingen sollte, die Lebensbedingungen allgemein zu verbessern und damit Frauen aus extremer Armut zu befreien, bleibt das Problem, dass viele von ihnen unbezahlte Haus- und Pflegearbeiten verrichten (müssen): Laut UN-Angaben werden so mehr als 700 Millionen Frauen aus dem Erwerbsleben und damit von der Möglichkeit zu eigenständiger Existenzsicherung ferngehalten. Und die, die in Lohnarbeit beschäftigt sind, haben weiterhin schlechter bezahlte Jobs. In den Parlamenten liegt ihr Anteil weltweit bei mageren 27 Prozent, in Führungspositionen der Wirtschaft bei nicht besseren 30 Prozent. Zudem erfährt mindestens ein Drittel aller Frauen im Lauf ihres Lebens körperliche oder sexualisierte Gewalt.

Hendricks wies darauf hin, dass die Staatenwelt jährlich 2,7 Billionen US-Dollar für Waffen ausgibt, aber nicht einmal ein Achtel davon, 320 Milliarden US-Dollar, für die Stärkung von Geschlechtergleichstellung: Die Prioritäten sind klar. Um dem in Beijing beklagten Backlash entgegenzuwirken, präsentierte China als Gastgeber des Treffens ein Papier, das in zehn Punkten die Felder festlegte, auf die in Zukunft der Schwerpunkt beim Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter gelegt werden soll. Sie reichen von der Verbesserung der geschlechtsspezifischen Lebensbedingungen, etwa der Frauengesundheit, über den Einsatz für eine gleiche Verteilung reproduktiver Hausarbeit bis zum Streben nach gleicher Teilhabe an politischen Entscheidungen. An dieser Stelle übrigens musste Gastgeber China herbe Kritik einstecken: Unter den 24 Mitgliedern des 20. Politbüros, das 2022 gewählt wurde, ist keine einzige Frau.

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