»Auf die Höfe darf nicht noch mehr Bürokratie zukommen«
Interview: Marc Bebenroth
Bei ihrem jüngsten Zusammenkommen haben sich die Agrarminister von Bund und Ländern in Heidelberg neben der EU-Agrarpolitik und dem Einsatz von Pestiziden auch mit der geplanten Neuregelung zur Kennzeichnung der Tierhaltungsform auf Lebensmitteln befasst. Weshalb ist diese Novelle so wichtig?
Zunächst sind wir froh, dass es zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz einen Referentenentwurf aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium gibt. Dieser signalisiert uns, dass die Kennzeichnung verbindlich und staatlich geregelt werden könnte. Es darf nämlich nicht länger freiwillig bleiben, weil dadurch die Planungssicherheit fehlt. So ist das Label »Nutri-Score« freiwillig, und die Großhändler auch in der Schweiz ziehen sich mittlerweile wieder daraus zurück.
Was genau soll laut dem Entwurf auf den Verpackungen tierischer Produkte stehen?
Es geht um die Kennzeichnung mittels Tierwohlstufen, anhand derer die Verbraucherinnen und Verbraucher erkennen, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden. Die Privatwirtschaft hatte ihr System mit vier Stufen. Das Gesetz, das reformiert werden soll, enthält derzeit fünf Stufen. Die fünfte entspricht den Kriterien für das Biosiegel. Und die Privatwirtschaft hat das übernommen. Der vorliegende Referentenentwurf sieht vor, die höchste konventionelle Tierwohlstufe zu schleifen, indem eine feste Bodenfläche und verbindliches Einstreu nicht mehr vorgegeben sein sollen. Deshalb fordern wir, dass diese Stufe so ausgestaltet bleibt, wie sie derzeit geregelt ist. Die Tiere brauchen das Stroh, sie müssen wühlen können. Das sagen auch unsere Praktiker. Es ermöglicht den Tieren ein artgerechtes Verhalten. Dadurch schaffen wir Bedingungen, mit denen wir in der Haltung vom routinemäßigen Schwänzekupieren wegkommen.
Ob die Kennzeichnung wirklich widerspiegelt, wie es in den Ställen aussieht, muss kontrolliert werden. Zugleich klagen Erzeuger über zu hohen Verwaltungsaufwand. Wie soll beides beim Tierwohllabel miteinander vereinbart werden?
Uns ist wichtig, dass auf die Höfe nicht noch mehr Bürokratie zukommt. Deshalb fordern wir ja auch, dass Registrierung und Kontrolle in bestehende Qualitätsprogramme eingebunden sind. Das muss quasi synchronisiert werden mit der staatlichen Haltungskennzeichnung. Wo der Gesetzentwurf noch nicht stark genug formuliert ist, sind die Sanktionsmöglichkeiten. Das will die Bundesregierung wohl eher den Ländern überlassen. Wir fordern, dass Kontrolle und Sanktionen bundesweit einheitlich geregelt werden und Überprüfungen regelmäßig erfolgen. Nur so kann die Kennzeichnung glaubwürdig sein.
Um Tiere unter besseren Bedingungen halten zu können, braucht es mitunter Um- oder Neubau. Bundesminister Alois Rainer, CSU, hat die Förderung dafür kurzerhand eingestellt. Wie sollen die Betriebe das künftig finanzieren?
Dieses Förderprogramm hat neben den Investitionskosten auch die laufenden Mehrkosten umfasst, denn wenn die Tiere auf Stroh stehen, entstehen höhere Kosten im laufenden Betrieb. Die Förderung war bis Ende 2030 vorgesehen. Rainer hat das völlig ohne Grund im September wieder zurückgenommen. Damit nimmt er den Betrieben die notwendigen wirtschaftlichen Perspektiven. Die haben sich auf dieses Programm verlassen. Deshalb fordern wir vom Minister, dass er diese vorzeitige Auflösung des Bundesprogramms zurücknimmt.
Von welchen Summen reden wir, die ausgezahlt wurden?
Es ist 2024 eingeführt worden, und soweit wir wissen, haben einige hundert Betriebe damit begonnen, Förderanträge zu stellen. Bis das ins Laufen kommt, bis man auch die Genehmigung für den Umbau im Betrieb bekommt, bis diese irgendwas geplant haben, das dauert – zum Teil Jahre. Daher lässt sich nach gut einem Jahr nicht sagen, ob dieses Förderprogramm gut lief. In Niedersachsen sind übrigens vergleichbare Förderungen mittlerweile deswegen auch eingestellt worden. So funktioniert der Umbau der Tierhaltung für mehr Tierwohl nicht.
Berit Thomsen ist Referentin für Tierhaltung und Marktpolitik in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V.
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