Gegründet 1947 Montag, 13. Oktober 2025, Nr. 237
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Aus: Ausgabe vom 13.10.2025, Seite 14 / Leserbriefe

Aus Leserbriefen an die Redaktion

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»Notwendiger denn je«

Zu jW vom 7.10.: »›Zusammen können wir Stürme überstehen‹«

Herzliche Glückwünsche zum 30. Geburtstag. Wenn es die junge Welt nicht schon geben würde, dann müsste sie umgehend neu herausgegeben werden, denn sie ist als Tageszeitung im deutschsprachigen Raum, europa- und weltweit, heute notwendiger denn je bei dem allgemeinen Rechtstrend in immer mehr Staaten auf unserem Planeten, der immer stärkeren Gefährdung des Friedens global. Bei meinen vielen arbeitsbedingten Auslandsaufenthalten, so wie derzeit in Norwegen, wird immer wieder der Wunsch nach einer linken Tages(!)-Zeitung in Gesprächen geäußert, die wie hier zum Beispiel in allen skandinavischen Ländern durchweg nicht erscheint. Entweder fehlen Zeitungen als Printmedien gänzlich oder sie erscheinen nur wöchentlich bzw. monatlich.

Insofern ist eine englische, französische oder auch spanische Version der Tageszeitung junge Welt zur Verbreitung ihres Inhalts, und zur Gewinnung potentieller Leser im Ausland, angeraten, überlegens- und empfehlenswert, da auch sowohl in Norwegen, Schweden wie auch in Dänemark die englische Sprache von einem hohen Prozentsatz der Bevölkerung beherrscht wird. Der mehrsprachige Print- und Onlineauftritt der Granma in diversen Staaten ist in dieser Hinsicht ein vorbildliches Beispiel. In diesem Sinne alles Gute und viel Erfolg, viele neue interessierte Leser über Deutschland, Österreich und die Schweiz hinaus, für mindestens die nächsten 30 Jahre.

Wolfgang Ackermann, Bergen (Norwegen)

»Die Zukunft ist Geschichte«

Zu jW vom 7.10.: »Halluzinationen«

Mein größter Alptraum als Kind war, dass die Mauer fällt. In der Prignitz der 80er Jahre ging ich brav in meine POS ins Nachbardorf, guckte abends die US-amerikanischen Vorabendserien im Westfernsehen und war fasziniert und gruselte mich zugleich. Absurder Reichtum und Armut, Drogen und Gewalt. Und alles gleichzeitig!

Was war es beschaulich bei uns. Undenkbar, dass irgendwo ein Obdachloser herumgelegen hätte. Wir waren die ersten im All, hatten mit der UdSSR die meisten Medaillen bei Olympia. Und: ein Narrativ, den Kommunismus. Angeblich würden materielle Werte in Zukunft bei uns keine Rolle mehr spielen, sagte unsere Geschichtslehrerin. Niemand konnte sich das vorstellen, aber vielleicht übte gerade deshalb diese Behauptung auch einen sonderbaren Reiz aus. Bis dahin schlichen meine Brüder und ich auf Autobahnraststätten um japanische Motorräder herum und riefen uns gegenseitig zu, bis wieviel der Tacho ging. 240, 260, 280 – unfassbar. Zum Glück durften die bei uns nur hundert fahren. Als ich fünfzehn war, wurde aus dem Alptraum Wirklichkeit. Alle fuhren plötzlich begeistert mit dem alten Opel zu Aldi (der Konsum im Dorf schloss, glaube noch in der Nacht des Mauerfalls), nach Hamburg auf die Reeperbahn oder zum Arbeitsamt. Die komische Mischung aus Angst und Faszination war auch bei uns Realität.

Ich machte in Berlin eine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker, weil meine Eltern meinten, die Zukunft auf dem Dorf sei Geschichte. Plötzlich lief ich täglich an Obdachlosen, Vietnamesen, die in S-Bahn-Unterführungen polnische Kippen verkauften und plötzlich wegrannten, weil sie ihre Zivilbullen erkannt hatten, und reißerischen Berliner Kurier-Ständen vorbei. Tittengabi von der Blöd-Zeitung wurde einem natürlich auch in jeder überfüllten U-Bahn vor die Nase gehalten. Endlich Freiheit. Heute denke ich manchmal, vielleicht waren wir einfach zu früh. Jetzt sind alle so müde. Jetzt hat plötzlich niemand mehr was zu verbergen, lässt sich also überwachen. Das neueste Handy oder Auto muss man zwar irgendwie haben, aber die Faszination ist weg. Auf ’ne Art egal. Genau wie es meine Geschichtslehrerin prophezeit hat. Blöd nur, dass dabei alle so resigniert vor sich hinleben und völlig abgestumpft mit den Schultern zucken, wenn uns die Millionäre predigen, wir müssten mal wieder gegen die Russen in den Krieg. Phantasie ist jetzt die große Mangelware.

Wessis kommen mir da oft bis heute wie KI-Prototypen vor. Sozialrealismus? Narrativ? Regierungspersonal, bei dem ich denke: Das ist doch so schlecht, das übertrifft meine Alpträume aus Kindheitstagen um … Aber vielleicht wache ich ja doch noch mal auf.

B. Krumm, per E-Mail

Faust auf Faust

Zu jW vom 6.10.: »Eine Million in Rom«

Der Dank geht an die italienischen Klassenbrüder, an alle, die den Genozid in Gaza verurteilen, auch in Frankreich und in Spanien. Eine Million allein in Rom. In Deutschland wären wir als mit Palästina solidarische Menschen froh, wenn wir diese Zahl in ganz Deutschland auf die Straße brächten. Ich bin der Meinung, die Repressionen (anderes Wort für Staatsräson) gegen die Palästina-Solidarität halten viele Menschen davon ab. Aber was will die Staatsmacht machen, wenn diese Masse an Menschen auf einmal in Berlin aufmarschiert? Die Heimatschutzdivision der Bundeswehr alarmieren und diese Demonstrationen zusammenschießen und zusammenknüppeln? Wir brauchen den Mut der Masse, den Mut, die geballte Faust aus der Tasche zu nehmen und sie ganz deutlich empor zu recken. Wir müssen endlich wieder erkennen, dass es für den Kampf und die Freiheit der arbeitenden, der geknechteten Klasse keine Ländergrenzen gibt! Ernst Thälmann sagte während der Streiks im Mansfeldischen in den 1920er Jahren sinngemäß: »Einen Finger kann man brechen – aber fünf Finger sind eine Faust.« Zeigen wir diese Faust den Regierenden … Oder mit Tracy Chapman: »Talkin’ ’bout a Revolution«.

Andreas Eichner, Schönefeld

In der Prignitz der 80er Jahre guckte ich abends die US-Vorabendserien im Westfernsehen und war fasziniert und gruselte mich zugleich. Absurder Reichtum und Armut, Drogen und Gewalt. Und alles gleichzeitig!

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